Ab dem zweiten Lebensjahr beginnen Kinder, sich als eigenständige Person wahrzunehmen und ihre Grenzen abzustecken. Sie lernen, wann es wichtig ist, Regeln zu befolgen und wann nicht. Dabei ist gerade auch das Neinsagen sehr wichtig, findet die Designerin Eva-Maria Klingovsky. Die Wienerin hat vor zwei Jahren selbst “Nein” zu ihrem alten Bürojob gesagt und nun per Crowdfunding ein Kinderbuch zu diesem Thema herausgegeben
Frau Klingovsky, in Ihrem Buch geht es darum, Nein zu sagen. Dabei hat ein “Ja” doch einen viel besseren Ruf, im Arbeitsleben und privat sollen wir doch zu allem Ja sagen. Warum ist Neinsagen wichtig?
Mit einem Nein grenzen wir uns von der Welt ab. Von Regeln, die oftmals andere aufgestellt haben, und die ihre Bedeutung längst verloren haben. Von der Vereinnahmung durch andere. Von den Wünschen und Erwartungen anderer Menschen an uns. Von den Rollen, die uns oft übergestülpt werden. Diese Abgrenzung ist zum einen wichtig, um unsere Gesellschaft immer wieder zu erneuern und voranzubringen. Zum anderen, um unseren eigenen, ganz persönlichen und individuellen Weg gehen zu können, der uns selbst zufrieden macht. Nur wer seine eigenen Grenzen kennt, kann die Regeln neu verhandeln.
Ist es nicht auch wichtig, dass Kindern Grenzen gesetzt werden und dass sie lernen, Regeln zu akzeptieren?
Ein ganz klares Ja hierzu. Und genau um diese Grenzen geht es in meinem Buch. Die Figuren erleben verschiedene Situationen, in denen sie eine wichtige Entscheidung treffen müssen. Macht eine Regel Sinn, oder darf ich in bestimmten Situationen auch laut und bestimmt “Nein!” sagen?
“Alle Erwachsenen wollten einen Nono als Erinnerung ans Neinsagen”
Sagen wir heutzutage zu wenig Nein? Braucht es mehr Neinsager in der Gesellschaft?
Auf jeden Fall! Gerade in unserer heutigen vernetzten, globalen Welt ist es oft einfacher, sich anzupassen, mit dem Strom zu schwimmen, nicht aufzufallen, die bestehenden Strukturen als naturgegeben anzusehen. Doch wohin führt das letztendlich? In der jüngeren Geschichte Europas gab es eine Zeit, in der ein NEIN nicht geduldet wurde, und dorthin – da sind wir uns sicher einig – wollen wir in keinem Fall zurück! Doch solche Entwicklungen beginnen im Kleinen. Wenn eine Freundin gemobbt wird, und sich keiner für sie einsetzt. Wenn jemand ausgegrenzt wird, weil er uns “anders” erscheint. Wenn man zulässt, dass Respekt für die Arbeit und Leistung mancher verlorengeht.
Wozu sagen Sie privat Nein oder haben Sie in Ihrer Vergangenheit Nein gesagt?
Mein Nein zum alten Job in der Werbewelt hat mich erst dazu gebracht, dieses Buch zu schreiben. Daran kann man gut erkennen: Ein NEIN zum Einen bedeutet oft ein JA zu etwas Anderem, Neuerem, Besserem.
Die Figuren in Ihrem Buch heißen “Nonos”, knuffige Tierchen mit verschränkten Armen. Wann und wie kam Ihnen die Idee dazu?
Ursprünglich war der erste Nono als Geschenk für eine Freundin gedacht, die sich – wie wir alle manchmal – sehr schwer tut mit dem Nein-Sagen. Den Nono habe ich damals öffentlich gezeigt, und war erstaunt über den grossen Zuspruch, vor allem auch von Erwachsenen. Jeder wollte einen haben, zur Erinnerung ans Nein-Sagen. Zu dieser Zeit war mir schon bewusst, dass ich mich in meinem Job als Grafikerin nicht mehr so richtig aufgehoben und gefordert fühlte. Doch erst dieser erste Nono machte mir plötzlich selbst klar, dass ich NEIN zum alten Job und JA zu etwas Neuem sagen muss. Also hab ich mein Label Polaripop gegründet, unter dem ich seit drei Jahren anfängertaugliche Häkelanleitungen entwerfe. Daher können im Buch auch alle Hauptfiguren nachgehäkelt werden, damit die Geschichten für die Kinder noch mehr zum Leben erwachen.
“Die kürzesten Wörter erfordern das meiste Nachdenken”
Das Buch heißt “NEIN sagen mit der NONOs Häkelbande”. Wozu sagen denn die Figuren nein?
Jeder Nono im Buch hat seine ganz eigene Geschichte. Dabei habe ich versucht, möglichst unterschiedliche Themenbereiche abzudecken und die Geschichten aus unterschiedlichen Perspektiven zu erzählen. Darf Mama die Gutenachtgeschichte auch mal auf morgen verschieben, wenn sie den Kopf voller Arbeit hat? Darf Berta den Honig der Bienen stehlen, damit sie besser schlafen kann, oder gibt´s dafür nicht vielleicht eine bessere Lösung? Muss Ferdinand Freiherr von Brunn zu Tümpel wirklich eine Prinzessin heiraten, wie es das Märchen für ihn vorsieht, oder darf er mit seinem Traumfrosch Fridolin Unkenruf ein glückliches Leben am anderen Ufer des Teiches führen?
Lässt sich Nein sagen lernen?
Ja, unbedingt! Wer in sich hineinhört, abwiegt, nachdenkt, sich nicht gleich von der ersten Emotion tragen lässt, der wird bald merken, dass ein Nein oft sogar für beide Seiten die viel vernünftigere Entscheidung ist. Schwierig ist das aber in jedem Fall. Nicht umsonst beginnt das Buch der Nonos mit einem Zitat des Philosophen (und Mathematikers) Pythagoras: “Die kürzesten Wörter, nämlich JA und NEIN, erfordern das meiste Nachdenken.”
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