Bonn Institute für konstruktiven Dialog

Kritisches Denken muss nicht negativ sein

Ellen Heinrichs hat Mitte März das Bonn Institute für Journalismus und konstruktiven Dialog gegründet. Ein Gespräch über Leser:innen-Wünsche, neugierige Redaktionen und zuversichtliche Medien.

Womit beschäftigt sich das Bonn Institute konkret?

Ellen Heinrichs: Das Bonn Institute wurde von den Gesellschaftern Rheinische Post, RTL, Deutsche Welle und dem Constructive Institute in Dänemark gegründet. Wir sind eine gemeinnützige Organisation, die konstruktive Ansätze im Journalismus praxisorientiert erforscht – mit Redaktionen, die darauf Lust haben. Wir wollen herausfinden, welchen Impact konstruktiver Journalismus auf unsere Gesellschaft hat und unsere Ergebnisse regelmäßig mit der Branche teilen. Konstruktiv-kritischer Journalismus bleibt nicht bei der Problembeschreibung stehen, sondern stellt Lösungsansätze vor.

Im Falle des Ukraine-Kriegs erscheint das kaum möglich, oder doch?

Eine konstruktive Berichterstattung ist möglich, aber schwierig – gerade im Falle eines Kriegs oder generell in Breaking-News-Situationen. Wir treten als Institut an, um Anregungen zu geben und gemeinsam mit der Branche darüber nachzudenken, wie man besser berichten könnte.

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Bedingt konstruktiver Journalismus einen Paradigmenwechsel? Es heißt doch, der Journalismus müsse nur sein Geschäftsmodell verändern und nicht sich selbst.

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Die schmerzhafte Diskussion über das eigene Selbstverständnis und über die Frage, wie man den wertvollen Content liefert, für den die Leute bereit sind, Abo-Gebühren oder Rundfunkbeiträge zu bezahlen, hat die Branche noch nicht ausreichend geführt.

Was für ein Potenzial hat der konstruktive Ansatz?

Leser:innen wünschen sich, dass Medien aktiv dazu beitragen, dass Debatten konstruktiver geführt werden – besonders im Hinblick auf Zukunftsthemen. Es lohnt sich, endlich auf diese Stimmen zu hören. Zumal es Medien gibt, die das schon tun und ökonomisch erfolgreich sind.

Etwa?

Die Zeit sagt klar: Wir haben in der Pandemie gewonnen, weil wir auf den Wunsch der Nutzer:innen nach faktenbasierter Berichterstattung gehört haben, die aber gleichzeitig eine nicht ganz so düstere Zukunft skizziert. Oder die Sächsische Zeitung, deren Chefredaktion sagt: Seitdem wir auf Lösungsjournalismus im Lokalen setzen, steigen die Zahlen unserer regelmäßigen Leser:innen. Laut Focus Online bleiben die Leute mehr als doppelt so lange auf der Seite, wenn Texte konstruktive Ansätze verfolgen. Weitere Indizien sind, wie positiv und dankbar konstruktive Texte via Social Media kommentiert werden.

Was in der Forschung fehlt, ist die Frage nach dem dauerhaften Effekt: Was macht es mit Menschen, wenn sie regelmäßig und länger konstruktiven Journalismus konsumieren?

Mit dem englischen Gapminder-Test kann man das eigene Weltbild überprüfen. Journalist:innen schneiden nie gut ab (lacht). Sie nehmen die Welt viel schlechter wahr als sie ist. Wir möchten ein ähnliches Tool entwickeln. Gerade Journalist:innen müssen kritisch hinterfragen, inwieweit sie selbst die Realität für ihre Leser:innen, Zuhörer:innen und Zuschauer:innen konstruieren und ob sie so ein möglichst realitätsnahes Bild der Wirklichkeit zeichnen.

Hinterfragen Journalist:innen zu wenig die eigenen Routinen und Standards?

Früher war der konstruktive Journalismus eine Orchideen-Disziplin. Heute ist die Lust auszuprobieren größer. Es gibt immer noch viele Journalist:innen und Leser:innen, die sagen, es gäbe beim konstruktiven Journalismus kaumTrennschärfe zur PR.

Allein der Aspekt der Lösungsorientierung ist de facto eine elaborierte Form des kritischen Denkens. Er verharrt nicht bei den Problemen, sondern nutzt das journalistische Handwerk zur weiteren Recherche. Es gilt aufzuzeigen, welche möglichen Lösungen es bereits gibt – und ob sie überhaupt funktionieren.

Warum haben sich Journalist:innen lange so schwer damit getan?

Ein historisches Missverständnis: Kritisches Denken ist nicht gleichzusetzen mit einem Fokus auf Negativität. Wenn Journalist:innen eine vierte Säule der Demokratie bilden sollen, dürfen wir nicht bei der Problem-Analyse stehen bleiben, sondern müssen Optionen zur Diskussion stellen, wie es besser laufen könnte.

Sind die Redaktionen für diese Aufgabe divers genug, also repräsentativ für die Gesellschaft?

Redaktionen sind oft Monokulturen. Veränderungen lassen sich nicht von heute auf morgen umsetzen. Es gibt keine objektive Berichterstattung. Sie enthält immer eigene Perspektiven, eigene gelebte Werte und eigene Erfahrungen – und reflektiert sogar zumeist den eigenen finanziellen Hintergrund. Die Frage ist: Wo sind blinde Flecke?

Welche Rolle spielen mehr oder minder auch konstruktivere jüngere Medienmarken wie Perspective Daily, Krautreporter, Buzzard oder Katapult?

Es sind zumeist digitale Gründungen gewesen, die sich zuvor stark mit den Bedürfnissen der Nutzer:innen beschäftigt haben. Es braucht genau deswegen einen stärkeren Austausch zwischen jungen digitalen Medien und den etablierten. Dabei möchten wir als Institut helfen.

Was plant das Bonn Institute noch in diesem Jahr?

Es gibt bereits Einsteiger:innen-Angebote und wir probieren mit einer Pilotredaktion bei der Rheinischen Post bereits aus, wie sich lösungsorientierter Lokaljournalismus auf Monetarisierungschancen auswirkt. Bei dem Projekt in Mönchengladbach ist auch die Landesanstalt für Medien NRW mit dabei. Gespräche mit anderen Häusern zur Formatentwicklung und zur Verbesserung der Volontär:innenausbildung laufen. Und: Wir erforschen, wie sich der konstruktive Ansatz auf Journalist:innen auswirkt. Bekommt die Arbeit einen anderen Sinn, steigert das die Zufriedenheit am Arbeitsplatz?

Ellen Heinrichs

Die Journalistin ist Geschäftsführerin des Bonn Institute für Journalismus und konstruktiven Dialog. Zuvor hat sie sich bei der Deutschen Welle um die Digitalisierung des Programms und den Aufbau der hauseigenen Akademie gekümmert.Bild: privat

Bild: Pexels / Cottonbro

„Wenn Journalist:innen eine vierte Säule der Demokratie bilden sollen, dürfen wir nicht bei der Problem-Analyse stehen bleiben, sondern müssen Optionen zur Diskussion stellen, wie es besser laufen könnte,“ sagt Ellen Heinrichs vom Bonn Institute (Symbolbild).

Jan Scheper

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