Die Utopie

Elternschaft für alle

Sie helfen bei den Hausaufgaben, trösten traurige Kindergesichter und bringen die Kleinen am Abend ins Bett – und dennoch wird ihnen die Elternschaft nicht rechtlicht anerkannt. Das ist die Realität vieler queerer Eltern in Deutschland. Grund dafür ist ein veraltetes Abstammungsrecht. Organisationen fordern mehr Rechte für Regenbogenfamilien.

Das ist das Problem:

Mutter, Vater, Kind. So sieht es das deutsche Abstammungsrecht vor. Wer ein Kind auf die Welt bringt, ist rechtlich gesehen die Mutter. Wer an der Zeugung beteiligt war, ist der Vater. Logisch, oder? Ganz so einfach ist es nicht. Im Abstammungsrecht spielt keine Rolle, ob der zweite Elternteil der Erzeuger ist. Sind eine Frau und ein Mann verheiratet, ist der Mann qua Ehe der Vater des Kindes, völlig unabhängig davon, ob er mit dem Kind blutsverwandt ist oder nicht. Ist das Hetero-Paar nicht verheiratet und der Mann auch nicht der Erzeuger, kann er dennoch die Vaterschaft anerkennen – und wird so zum Vater. Gut für Hetero-Patchwork-Familien und bei künstlicher Befruchtung, aber: Queere Eltern können das nicht. Wenn etwa zwei verheiratete Frauen durch eine Samenspende gemeinsam ein Kind bekommen, kann die nicht-gebärende Frau rechtlich gesehen weder die Mutter noch, naja, der Vater sein – und muss ein Stiefkindadoptionsverfahren durchlaufen. Das ist langwierig, bürokratisch und diskriminierend. Und es gefährdet das Kindeswohl: In der Zwischenzeit gibt es keinen Anspruch auf Unterhalt vom (noch) nicht anerkannten Elternteil. Und falls der rechtlich anerkannten Mutter etwas zustößt, wird das Kind zur Vollwaise.

Das ist der Impuls:

Schon 2016 empfahl der Deutsche Juristentag dem Gesetzgeber, das Abstammungsrecht zu reformieren, folgenlos. 2020 zog das werdende Elternpaar Gesa Teichert-Akkermann und Verena Akkermann vor Gericht, weil sich letztere nicht als zweiter Elternteil beim Standesamt eintragen durfte. Im Frühjahr 2021 entschied das Oberlandesgericht Celle, erstmals überhaupt: Das Abstammungsrecht ist verfassungswidrig. Die Initiative NoDoption erwirkte seither mehrere weitere Urteile, die zu dem gleichen Ergebnis kamen. Ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts jedoch steht bis heute aus. Auf politischer Seite luden die Grünen im Bundestag 2021 dazu ein, interfraktionell an einer Reform des Abstammungsrechts zu arbeiten. Allerdings erschien die damals noch regierende CDU nicht am Verhandlungstisch. Die Ampelkoalition wurde schließlich tätig – jedenfalls im Koalitionsvertrag: Regenbogenfamilien sollen besser abgesichert werden, und sogar vier Elternteile möglich sein. Eine kleine Revolution.

Das ist die Lösung:

Die einstige Utopie, Kinder queerer Eltern besser abzusichern, ist in greifbarer Nähe. Die Ampelkoalition müsste lediglich ihr Versprechen einlösen, zuständig ist das Bundesjustizministerium. Vorschläge, wie es gehen kann, liegen vor: Der Deutsche Juristinnenbund, der Lesben- und Schwulenverband, NoDoption und die Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule Juristen haben Leitplanken für eine zügige Reform des Abstammungsrechts erarbeitet. Im Grunde müsste der Gesetzgeber vor allem das Abstammungsgesetz geschlechtsneutral formulieren, schon damit wären die meisten Ungleichbehandlungen von queeren Familien und ihren Kindern beseitigt. Auch international gibt es Vorbilder: In den USA wie in weiten Teilen Westeuropas – etwa Spanien, Frankreich, den skandinavischen Ländern – sind Regenbogenfamilien abgesichert. In Teilen Kanadas und in Kalifornien sind sogar Mehrelternschaften rechtlich anerkannt.

Foto: IMAGO / Westend61

Allein in Deutschland gibt es über 12.000 Regenbogenfamilien.

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