New Work-Begründer Frithjof Bergmann

Urlaub? Bloß nicht!

New Work ist längst zum Buzz-Word geworden. Alle springen auf den Zug auf, wollen irgendwie anders, flexibel, hierarchiearm arbeiten – irgendwie neu eben. Nur: So neu ist New Work gar nicht. Der Begriff stammt von dem US-amerikanischen Sozialphilosophen Frithjof Bergmann. Schon Ende der 1970er Jahre entwickelte er die Idee einer anderen Arbeitskultur – als Alternative zum Lohnarbeitssystem. Denn Bergmann war überzeugt: Dieses System macht viele Menschen krank. New Work hieß für ihn daher, eine Arbeit, die einen Sinn hat, die Menschen frei wählen und selbstbestimmt machen können, die ihnen gut tut. Mit dieser Vision tourte Bergmann bis zum Ende seines Lebens über Kongresse und durch Unternehmen und wurde zum Vorreiter der Bewegung, die heute noch lange nicht ihre Ziele erreicht hat. Anja Dilk hat ihn 2007 interviewt. Eine Zeitreise.

Herr Bergmann, Sie haben in Princeton studiert und mit 24 als Dozent unterrichtet – bis Sie sich in die Einsamkeit als Selbstversorger zurückzogen. Warum?

In Princeton habe ich unter anderem Kafka unterrichtet, Camus, Sartre, die Existenzialisten. Doch da saßen diese schrecklich verwöhnten Kinder aus diesen steinreichen Familien, deren Väter alle große Geschäftsleute waren. Das kam mir so sinnlos vor. Ich habe unter anderem den amerikanischen Philosophen Henry David Thoreau unterrichtet. Seine Idee, ganz, ganz einfach zu leben, hat mich sehr beeindruckt. Vor allem die Idee, alles selber zu machen. Ich entschloss mich, Princeton hinzuschmeißen und in den Wald zu gehen. Durch Zufall fand ich eine Hütte in New Hampshire. Bei diesem radikalen Bruch habe ich erlebt, wie es ist sich selbst vom Wald zu ernähren. Ich habe Rüben gezüchtet und Kartoffeln, habe die Bäume angezapft, um Sirup zu bekommen.

Frithjof Bergmann

Frithjof Bergmann, geboren 1930 in Sachsen, verbrachte seine Kindheit in Österreich, studierte in Oregon (USA) und blieb in Amerika. Zunächst schlug er sich als Tellerwäscher, Preisboxer, Fließband- und Hafenarbeiter durch. Später schrieb er Theaterstücke und lebte fast zwei Jahre lang als Selbstversorger auf dem Land. Er studierte Philosophie an der Universität Princeton, promovierte mit einer Arbeit über Hegel und erhielt Lehraufträge in Princeton, Stanford, Chicago und Berkeley. Ab 1978 lehrte er an der University of Michigan. Von 1976 bis 1979 reiste Bergmann oft in die damaligen Ostblockländer. Aus dem Eindruck, dass der Kommunismus keine Zukunft mehr habe, entstand seine Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus und die Idee, ein funktionierendes Gegenmodell zu entwickeln. Bergmann wurde zum Begründer von New Work. Im Mai vergangenen Jahres ist Bergmann im Alter von 91 Jahren gestorben.

Bild: Xing (Screenshot: Youtube/XING New Work Experience 2017)

Aber was hat Sie getrieben, das zu tun? Viele Menschen lesen Thoreau und gehen trotzdem nicht in den Wald.

In Princeton wurde mir klar, dass dies nicht das war, was ich wollte. Deshalb war der radikale Bruch für mich selbstverständlich. Ich wollte ausprobieren, ganz anders zu leben. Ausprobieren, ob ich das überhaupt kann, auch das Abenteuerliche daran. Schon wie unglaublich kalt es in New Hampshire war, damit hatte ich nicht gerechnet. Das war eine Herausforderung. Weil ich ideologisch voreingenommen war, nahm ich keine Kettensäge mit. Es musste eine Bogensäge sein. Und mit der habe ich unheimlich viel Holz geschnitten. Ich war in einem sehr, sehr guten körperlichen Zustand, hatte gerade viel Geld mit Boxen verdient. Trotzdem war es unfassbar anstrengend. Nach zwei Jahren im Wald wurde mir klar: Das ist nicht die Freiheit, nicht meine Freiheit, sondern eine selbst eingebrockte Sklaverei. Ich lebte so nah an der Natur, dass ich fast nichts mehr anders tat, als Holz zu sägen. Thoreau pries das als die Freiheit, für mich war es die Sklaverei. Aus dieser Erfahrung entwickelte ich einen meiner beiden wichtigsten Hauptgedanken. Nämlich: Es muss möglich sein, Technologie so zu entwickeln, dass auch in einer kleinen Gruppe, in einem kleinen Stadtteil, in einem Dorf all das erzeugt werden kann, was man zu einem modernen, fröhlichen Leben braucht.

Und Ihr zweiter Hauptgedanke?

Menschen durch die Arbeit zur Freiheit zu bringen, ist mein Thema. Denn nichts formt Menschen so formt wie Arbeit.

Wie kann so eine Arbeit aussehen?

Es kommt darauf an, dass man Arbeit tut, auf die man stolz ist, die einen Sinn hat. Es gibt Ausnahmemenschen, die auch in der Erwerbsarbeit genauso eine Arbeit tun. In der heutigen Gesellschaft ist das die Ausnahme. Die meisten Menschen erleben ihre Erwerbsarbeit als milde Krankheit, als etwas, das man überlebt. Es ist ja schon Mittwoch, bis Freitag halte ich es gerade noch aus. Es ist schlimm, wenn die Menschen keinen Sinn in ihrer Arbeit sehen.

Manche befürchten, dass uns die Arbeit in Zukunft ausgehe.

Eine unglaublich dumme Annahme. Frauen und Bauern haben immer gewusst, dass die Arbeit unendlich ist. Philosophisch ausgedrückt: Alles und jedes in der Welt, ob ein Baum, eine Bank, ein Mensch, ist eine Einladung zur Arbeit. Ich kann eine Bank verbessern, mit einem Baum etwas machen, mit einem anderen Menschen etwas tun. Oder selber machen – man kann sich einen Garten anlegen. Ich habe zwei Jahre lang nur gegessen, was in meinem Garten wuchs.

Prägt jede Art von Arbeit?

Alle Arbeit prägt, besonders in unserer Kultur, in der Arbeit 90 Prozent vom Leben ist. Wenn die Arbeit fürchterlich ist, verhunzt das den Menschen, verkrüppelt ihn. Aber Arbeit, die man wirklich will, zu der man ja sagt, gibt einem Kraft. Das ist der Unterschied. In Deutschland wird aus dem Urlaub eine Religion gemacht, auch weil die Menschen die Arbeit als erschöpfend erleben. Aber Arbeit kann alles andere als erschöpfend sein, und dann ist eine Unterbrechung sehr unlieb. Ich hasse eine Unterbrechung der Arbeit, Urlaub ist für mich absolut negativ besetzt.

Begeistert Sie Ihre Arbeit?

Absolut. Schon die Vielfalt meiner Arbeit im Unterschied zur Monotonie, unter der so viele Menschen leiden. Mal fahre ich für ein Projekt in einem zerbeulten Auto in ein afrikanisches Dorf, mal gebe ich Interviews wie jetzt, mal halte ich das Einführungsreferat bei dem Gipfeltreffen der europäischen Wirtschaftslenker. Dann beschäftige ich mich mit philosophischen Fragen oder arbeite ich mit Gründern daran, ein elektrisches Auto auf den Markt zu bringen. Sie sehen: Man hat mir das Glück in Fässern über den Kopf geschüttet …

Vielen Menschen gelingt es nicht, eine Arbeit zu finden, die sie so befriedigt. Zum Beispiel, weil sie das Gefühl haben, dass Sachzwänge ihnen wenig Spielraum lassen. Wie lässt sich das ändern?

Dazu gehört eine Fülle von Dingen. Unter anderem eine Schulbildung, die darauf ausgerichtet ist, die Menschen dahin zu bringen, das zu tun, was sie wirklich wollen. Eine Kulturkampagne, die uns ein anderes Verständnis von Arbeit vermittelt. Jedes Kind muss verstehen, dass man unheimlich darauf aufpassen muss, das zu tun, was man wirklich will. Dass man um Gottes willen nicht die Haltung wie 80, 85 Prozent der Jugendlichen in Zentraleuropa einnehmen darf, die sagen: “Ist doch eh alles Scheiße, ich mache irgendwas, irgendeinen Job, gibt doch ohnehin nichts.” Aus dieser Kulturkampagne müsste eine politische Kampagne erwachsen, daraus eine wirtschaftliche und so weiter.

Auch bei Good Impact: Margret Rasfeld zur Bildungspolitik: „Die Care-Arbeit für Mensch und Planet muss im Zentrum stehen“

Unser Verständnis von Arbeit ist also auch immer eine politische Frage …

… es ist die politische Frage!

Manche Skeptiker sagen heute, neue Arbeit – das ist doch ein Modell für nur Wenige.

Oh nein, das sehe ich vollkommen anders! Es muss möglich sein, dass alle Menschen machen können, was sie möchten. Sonst wäre es auch absolut nicht neu. Schon bei den Griechen gab es immer einige, die gemacht haben, was sie wollten.

Wie kann denn diese neue Arbeitskultur aussehen?

Was wir brauchen, ist eine neue Institution. Ihr Name ist “eine Halle”. Wir brauchen eine Fülle von Hallen. Zwei in jedem Stadtteil, eine in jedem Dorf. In so einer Halle gibt es Pflanzen und Cafés, man trifft einander und stellt alles Mögliche her. Die Zukunft der Herstellung liegt jenseits von Fabriken. Sie sind Auslaufmodelle, unwahrscheinlich ineffizient. Das Zeitalter ist gekommen, in dem man mit Computern und allen möglichen Maschinen Dinge vor Ort herstellen kann. Die Menschen, die diese Dinge vor Ort brauchen, können das tun. Selber machen – das ist die Basis für die Arbeit der Zukunft. So gewinnen die Menschen ein ganz anderes Lebensgefühl, ein anderes Selbstbild: Du bist ein Mensch, der sich heute in der Halle absolut großartige Turnschuhe gemacht hat, jetzt unterhalten wir uns, und in vier Stunden baust du an dem Kühlschrank, den du schon immer haben wolltest.

Wie soll das denn gehen?

Die ersten Pflänzchen sind die Computer, sie stehen in jedem Internetcafé. Wir haben den Computer als Vermassungsmedium erlebt, das uns in die globale Welt einbindet. Weniger erlebt haben wir den Computer als Medium der Individualisierung. Dabei gibt es sehr viele computerorientierte Menschen, die eine Fülle von Dingen selber machen. Vom ganz Banalen, dass man sich Visitenkarten basteln kann, bis zur Weiterbildung. Es gibt längst auch ganze Felder des Wandels. Zum Beispiel die Teekampagne des Gründungsprofessors Günter Faltin von der Freien Universität Berlin. Sein Kernansatz: Bei der Massenherstellung sind 80 Prozent Verschwendung. Diese 80 Prozent könnte man aussparen. Sein Unternehmen Teekampagne lässt daher alles Unnötige weg. Vermarktung, aufwendige Verpackung und so weiter.

Welche Rolle spielt die Automatisierung in diesem Wandel?

Wenn wir es klug machen, kann sie uns enorm helfen, ihn voranzubringen. Ich bin alles andere als technologiefeindlich. In den Zentren für Neue Arbeit, die wir seit 1982 gegründet haben, wollten wir erforschen, wie wir Technologie so für alle Menschen nutzbar machen können, dass sich jeder Mensch innerhalb von etwa sechs Stunden das selber herstellen kann, was er zu einem eleganten, fröhlichen Leben braucht.

Sie haben mal gesagt, dass die Zukunft der Arbeit so aussehen könnte: zwei, drei Tage Lohnarbeit, der Rest der Zeit bleibt für das, was man will.

Ich rede meist von drei Teilen. Ein Teil ist das Selbermachen. Ein Teil ist Geldverdienen, zehn Stunden die Woche etwa. Wenn es nötig ist, mit einer langweiligen Arbeit. Ein Teil ist, dass man das tut, was man selber will.

Auch bei Good Impact: Vier-Tage-Woche in Deutschland: „Das kann bis Montag warten“

Also kann man nicht nur das tun, was man selber will …

… nein, nein, nein, sogar der Frithjof Bergmann kann das nicht, das ist einfach zu anstrengend. Man muss von Zeit zu Zeit auch etwas Blödes tun.

Ist die Digitale Bohème, die mobilen Digital-Arbeiter in den Städten, von der derzeit alle reden, für Sie Vorreiter der neuen Arbeitswelt?

Es gibt viele Bewegungen, die in meine Richtung gehen. Diese Bewegungen haben sich in letzter Zeit verstärkt. Auch die neue Arbeit der Digitalen Bohème ist so ein Ansatz. Wir müssen nun diese unterschiedlichen Ansätze bündeln und dahin bringen, dass sie sich gegenseitig stärken.

Was ist Ihre Prognose – wie wird unsere Arbeitswelt in zehn, 20 Jahren aussehen?

Ich sage nicht, dass alles gut werden muss. Es ist sehr gut möglich, dass alles noch schlechter wird. Aber es kann besser werden. Wir sind nicht mehr weit weg von einem Durchbruch. Wir sind nicht mehr weit weg davon, ernst genommen zu werden.

Hier ein Video der Keynote von Frithjof Bergmann auf der XING New Work Experience 2017 in Berlin zu seinem Verständnis der neuen Arbeitswelt.

Dieser Beitrag erscheint mit freundlicher Genehmigung des online-magazine changeX  in gekürzter und leicht bearbeiteter Form.

Mehr über „New Work“ erfährst du in unserem Podcast „Good News enorm“ vom 27. Januar. Du findest den Podcast auf Spotify, Apple Podcasts und überall da, wo es Podcasts gibt. Den RSS-Feed findest du hier.

Bild: IMAGO / Ikon Images

Ausweg aus der Lohnarbeit: Frithjof Bergmann (1930-2021) ist international bekannt als Begründer der New Work-Bewegung, einer Alternative zum Lohnarbeitssystem.

Weiterlesen