Die Utopie

Weniger einsame Menschen

Gegen Einsamkeit braucht es kreative Lösungen: Von Plauderkassen im Supermarkt bis zu sozialen Rezepten vom Arzt.

Das ist das Problem: 

Einsamkeit nimmt zu in Deutschland. 2024 hat das Bundesfamilienministerium erstmals ein Einsamkeitsbarometer veröffentlicht. Demnach fühlte sich 2022 jede:r Sechste über 18 oft einsam – unter den 18- bis 29-Jährigen sogar jede:r vierte. Besonders betroffen sind auch Menschen mit Fluchterfahrungen, geringem Einkommen, Arbeitslose und Personen, die in strukturschwächeren Regionen leben. Das bestätigt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung vom Juli 2024. Generell gilt: Einsam ist, wer sich einsam fühlt. Entscheidend ist, ob die sozialen Beziehungen den individuellen Bedürfnissen entsprechen. So kann es sein, dass ich zahlreiche Freund:innen habe und mich trotzdem einsam fühle, oder viel Zeit allein verbringe, ohne dass ich darunter leide. Einsamkeit, die chronisch wird, kann krank machen: Schlafprobleme, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, depressive Störungen. Und sie kann Demokratie gefährden. Nach einer Studie des Progressiven Zentrums Berlin von 2023 neigen einsame Menschen eher zu antidemokratischen Einstellungen, Extremismus und dem Glauben an Verschwörungstheorien.

Das ist der Impuls:

Immer mehr Länder führen Aktionspläne zur Bekämpfung von Einsamkeit ein. So stellten die Niederlande 2014 als erstes Land ein Programm zur Bekämpfung von Einsamkeit vor. Als Vorreiter gilt jedoch das United Kingdom (UK): Schon seit 2017 veranstaltet der britische Marma-lade Trust jedes Jahr eine „Loneliness Awareness Week“, um auf Einsamkeit aufmerksam zu machen. 2018 wurde im UK nicht nur eine nationale Strategie zur Bekämpfung von Einsamkeit eingeführt, sondern sogar eine Ministerin ernannt, die Maßnahmen partei- und ressortübergreifend koordinieren soll. Das UK will das Thema von seinem Stigma lösen, es gibt finanzielle Unterstützung für Forschung und konkrete Projekte zur Bekämpfung von Einkamkeit. In Deutschland sehen wir nun ähnliche Ansätze.

Das ist die Lösung: 

Um es Betroffenen zu erleichtern, sich ohne Scham frühzeitig Hilfe zu suchen, braucht es ein dichtes Netz von Initiativen, die Menschen aller Altersklassen und in unterschiedlichen Lebenssituationen ansprechen. Strategien auf nationaler Ebene können den Grundstein dafür legen. Doch auch niederschwellige Projekte sind wichtig, um Einsamkeit vorzubeugen: Plauderkassen im Supermarkt etwa, an denen sich Kassierer:innen bewusst Zeit für ein Gespräch mit ihren Kund:innen nehmen, die ein Schwätzchen halten möchten, oder die „Ratschbankerl“ in München, auf die sich alle setzen dürfen, die mit anderen ins Gespräch kommen möchten. Wer bereits unter Einsamkeit leidet, für den kann das „Social Prescribing“ eine Lösung sein: Ärzt:innen stellen ein „soziales Rezept“ aus, wenn gesundheitliche Probleme durch Einsamkeit entstanden und sozialer Natur sind. Anschließend suchen sogenannte „Link Workers“ mit den Betroffenen nach Teilhabemöglichkeiten, um sie aus der Einkamkeit zu holen, von Wandern, Tanzen oder Gärtnern über Kochen bis Töpfern. Im UK arbeiten seit 2023 bereits etwa 3.200 „Link Workers“. Ein Pilotprojekt läuft bis 2028 in Zürich. Ob Social Prescribing auch in Deutschland eingeführt wird, ist aktuell noch in der Diskussion – eine Frage ist dabei, wie das System finanziert werden könnte.   

Fotos: Pexels / Eugenelisyuk / Markusspiske

Einsamkeit ist ein wachsendes Problem – mit Folgen für Gesundheit und Gesellschaft.

Mona Gnan

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