Bison-Bällchen und Quinoa aus Sachsen-Anhalt

Food for Future

Sie tüfteln gegen Verschwendung, kultivieren Amaranth in Deutschland, gewinnen Proteine aus der Luft und holen indigene Speisen zurück: vier smarte Lebensmittel-Projekte.

Mit KI Nahrungsmittel retten

10,9 Millionen Tonnen – so viele Lebensmittelabfälle meldete das Statistische Bundesamt 2020. Es sind nicht nur die Haushalte, die wegwerfen, wenn sie auch für den größten Teil des Essensmülls verantwortlich sind (59 Prozent). Das Problem zieht sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette: von der Landwirtschaft (2 Prozent) über Handel (7 Prozent) und Verarbeitung (15 Prozent) bis zur Gastronomie (17 Prozent). Mit jedem weggeworfenen Lebensmittel werden unnötige Treibhausgase freigesetzt und wertvolle Ressourcen wie Wasser und Energie verschwendet. Der WWF schätzt die Zahl der verschwendeten Lebensmittel mit 18 Millionen Tonnen um einiges höher ein. Die Hälfte der Abfälle wäre jedoch vermeidbar. Die Lösung liegt auf der Hand: besser kalkulieren, weniger produzieren, nachhaltiger konsumieren. Doch das ist nicht so einfach. Die Lebensmittelindustrie baut auf Überproduktion, Konsument:innenverhalten ist schwer vorherzusagen.

Hier setzt das Berliner Start-up SPRK.global (gesprochen Spark) an – mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI). Das Konzept: ein digitaler Sekundärmarkt für überschüssige Lebensmittel. Mit einer zunehmend KI-gesteuerten Software erfasst SPRK Lebensmittel entlang der gesamten Lieferkette, zum Beispiel bei der Agrarproduktion, im Großhandel und Südfrucht-Import, die normalerweise im Abfall landen. Dann ermittelt SPRK geeignete Abnehmer, wie das SOS Kinderdorf Berlin, Cateringfirmen oder Lebensmittelhersteller, und organisiert die Umverteilung. Das KI-System lernt dabei, Muster zu erkennen und Überschüsse vorherzusagen. So sollen diese schneller umverteilt, weiterverarbeitet und langfristig vermieden werden. Nach eigenen Angaben konnte das Unternehmen seit seiner Gründung 2020 mehr als 1.000 Tonnen Lebensmittel retten.

Food for Future: Quinoa aus Sachsen-Anhalt

Steigende Temperaturen und Extremwetterlagen: Auch die Landwirtschaft in Deutschland muss umdenken. Ein Blick nach Sachsen-Anhalt: Dort hat Agraringenieurin und Umweltwissenschaftlerin Urte Grauwinkel 2019 das Projekt „Zukunftsspeisen – Superfood aus Sachsen-Anhalt“ mitgegründet. Gemeinsam mit Bio-Landwirt:innen der Region, die auf ihren Äckern Erfahrungen sammeln, und Wissenschaftler:innen der Martin-Luther-Universität Halle erprobt sie innovative, klimaangepasste Kulturpflanzen und Anbausysteme, die Böden fruchtbarer machen sollen. Das Rezept: Misch- statt Monokulturen, Pflanzenkohle, sprich verkohlte Pflanzenreste zum Düngen, und Agroforstsysteme – von Baumstreifen durchzogene Ackerflächen.

Auch bei Good Impact: Wie schaffen wir eine Zukunft, in der alle satt werden?

Dort wächst „Superfood“ wie Quinoa und Amaranth, die aufgrund ihrer Herkunft aus Lateinamerika besonders trocken- und entsprechend klimaresistent sind. Das Team von Grauwinkel experimentiert viel, um diese und andere nährstoff- und proteinreichen Nutzpflanzen aus Afrika und Asien auch hierzulande zu kultivieren: „Letztes Jahr war es sehr feucht, dieses Jahr hingegen sehr trocken. Im Moment schaffen es vor allem Buchweizen und Kichererbsen. Quinoaanbau ist etwas anspruchsvoller, was die Bodenqualität betrifft. In Bezug auf Wasser kommt er aber auch mit geringeren Niederschlägen zurecht.“ Besucher:innen können Führungen durch die 500 Quadratmeter großen Zukunftsgärten buchen, in Kochkursen gibt es Tipps für eine klimafreundliche und gesunde Ernährung.

Nö, das ist kein Taco aus Blaubeer-Sorbet, sondern ein Symbolbild. Nochmal unsere wichtige Frage dazu: Was sind gerechte und nachhaltige Nahrungsmittel – heute und in Zukunft? Illustration: Eva Leonhard

Bison-Bällchen in Blaubeersoße

Usbekische Imbisse oder hawaiianisch-japanische Fusion: In den USA gibt es Restaurants jeder erdenklichen Cuisine. Nur die eigentliche Küche des Landes, die der Native Americans, sucht man meist vergeblich. Das liegt an der jahrhundertelangen Unterdrückung der Ureinwohner:innen der USA. Ganze Stämme wurden von den Amerikaner:innen zwangsumgesiedelt, sodass sie keinen Zugang zu ihren natürlichen Nahrungsquellen mehr hatten. In den Reservaten wurden ihnen wie- derum Rationen mit europäischem Essen zugeteilt. So geriet die indigene Küche mehr und mehr in Vergessenheit. Das ändert sich jedoch seit ein paar Jahren: Vor allem in Kalifornien, wo die meisten Indigenen der USA ihr historisches Territorium haben, eröffnen sie immer mehr Restaurants.

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In Oakland etwa kann man seit Herbst 2021 in Wahpepah’s Kitchen Bison-Bällchen in Blaubeersoße oder Tacos aus blauem Mais essen. Chefin Crystal Wahpepah, die zur Kickapoo Nation gehört, bezieht ihr Gemüse vom Deep Circle Collective. Das indigene Landwirtschaftskollektiv hat sich der Ernährungssouveränität und damit auch -sicherheit der Native American Bevölkerung verschrieben. Die Idee: indigenes Land zurückgewinnen, lokale Pflanzen und medizinische Kräuter anbauen, die durch die Kolonialisierung in Vergessenheit geraten sind. So soll sich das Ökosystem, das in den USA von invasiven Pflanzen und Tieren geprägt und oft angegriffen ist, wieder erholen. Gleichzeitig schafft die Wiederbelebung indigener Ernährungsweisen Aufmerksamkeit für indigene Rechte und Identität. Die Restaurants dienen außerdem den oft von finanzieller Armut geprägten Communities der First Nations als nachhaltige Einkommensquelle. Das US-Department für indigene Angelegenheiten arbeitet derzeit mit mehreren Universitäten und indigenen Führungspersonen zusammen und unterstützt diesen Prozess finanziell.

Food for Future: Protein aus CO2

Eine Sojapflanze braucht drei Grundzutaten, aus denen sie ein Protein herstellt, das wir essen können: Kohlenstoff als Baumaterial, das in der Regel aus CO2 in der Luft stammt, Sonnenlicht als Energiequelle sowie ein paar Stoffe aus Luft und Erde in kleineren Mengen (etwa Mineralstoffe und Spurenelemente). Das finnische Start-up Solar Foods stellt aus diesen Zutaten ein Proteinpulver her. „Solein“ hat das Unternehmen sein Sonnen-Protein aus Licht und Luft getauft. Die Umwandlung der Stoffe erfolgt jedoch nicht durch Photosynthese, sondern in einem geschlossenen Prozess, ähnlich dem Brauen von Bier. Die Technik dahinter wurde von der Nasa entwickelt. Die Grundidee: Durch Fermentation gezüchtete Mikroben brauchen, um zu wachsen, lediglich Energie aus Wasserstoff, der mit Solarstrom gewonnen wird, und die Hauptbestandteile von Luft – Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff. „In kleinen Mengen fügen wir noch ein paar Nährstoffe hinzu. Der Dünger sozusagen“, erklärt Pasi Vainikka, Gründer von Solar Foods.

So entsteht Solein, ein weißes Pulver, das geschmacklich an relativ neutrales Weizeneiweiß erinnern soll und wie Sojaeiweiß alle essenziellen Aminosäuren enthält, also prinzipiell den kompletten Eiweißbedarf eines Menschen decken kann. Es könnte anderen Lebensmitteln wie etwa pflanzlichen Drinks, Joghurt, Pasta oder Fleischersatzprodukten beigemischt werden. Das nützt dem Klimaschutz, denn Solein ist CO2-neutral und spart Anbauflächen: „Wenn statt Soja- pflanzen Photovoltaikanlagen auf den Feldern stehen und mit dem gewonnenen Strom Solein produziert wird, ist die Ausbeute in Kalorien gerechnet rund zehnmal so hoch wie bei Soja“, sagt Vainikka. Dünger, Wasserverbrauch, Pestizide, Abholzung entfielen. Im Oktober 2021 hat das Start-up die europaweite Zulassung beantragt und rechnet mit dem Markteintritt im Herbst 2023. Bis dahin soll auch die erste Fabrik in Helsinki stehen und das Produkt zum Preis von etwa 6 Euro pro Kilogramm Protein auf den Markt kommen.

Der Text „Protein aus CO2“ wurde zuerst in ähnlicher Form von Perspective Daily veröffentlicht, das sich ebenfalls dem Konstruktiven Journalismus verschrieben hat.

3D-Illustration: Léonard Mariotte

Nein, das sind keine Brotscheiben aus Wackelpudding. Die Frage zu unserem Symbolbild: Was sind gerechte und nachhaltige Nahrungsmittel – heute und in Zukunft?

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