Frau Goodall, in Ihrem Vortrag „Reasons for Hope“ nennen Sie einen Ihrer Gründe für Hoffnung uns junge Menschen. Das ist großartig! Gleichzeitig kann sich das für die junge Generation aber auch nach sehr viel Verantwortung und damit als eine große Last anfühlen. Was ist Ihr Rat, damit wir uns nicht lähmen lassen von dieser großen Aufgabe, unsere Erde zu retten?
Es fühlen sich so viele Menschen hoffnungslos. Je mehr man auch darüber erfährt, was wir unserem Planeten antun und je mehr über immense Probleme geredet wird, desto mehr Hoffnung verliert man, dass sich etwas verändern kann. Jeder einzelne Mensch hat jedoch einen Einfluss auf die Entwicklung unserer Erde! Und wir haben die Wahl, welche Art von Unterschied wir machen wollen. Das Wichtigste, das wir im Kopf behalten müssen, ist, dass eine Person nicht alles alleine machen kann. Am sinnvollsten ist es, in einer Gruppe zusammenzukommen. Gemeinsam können wir dann die Ärmel hochkrempeln und beginnen zu handeln, ohne uns gelähmt zu fühlen.
Die größten Unterschiede können wir also nur kollektiv bewirken.
Richtig. Und diese Unterschiede beginnen dennoch zuerst im Kleinen, bei jedem Einzelnen. Das können zum Beispiel die kleinsten Kaufentscheidungen sein. Wir setzen uns damit auseinander, wie ein Produkt hergestellt wurde, ob dies zur Umweltverschmutzung beigetragen, Tierquälerei verursacht oder Kinderarbeit unterstützt hat. Diese Fragen klären wir, um wirklich ethische Entscheidungen beim Einkaufen zu treffen. Das klingt erst mal nach nicht viel, aber wenn Millionen, ja Milliarden von Menschen diese ethischen Entscheidungen treffen und das jeden einzelnen Tag, dann führt das zu einer anderen Welt.
Ethische Kaufentscheidungen zu treffen ist nur eine Art, sich aktiv für den Umweltschutz einzusetzen. Es gibt noch so viele andere: Wir können Menschen informieren, zu Demonstrationen gehen, den eigenen Lebensstil ändern, Bäume pflanzen, in einer politischen Partei aktiv werden. Gibt es einen Weg, den Sie uns empfehlen würden?
Verschiedene Menschen haben verschiedene Leidenschaften. Manche möchten sich für die Abschaffung von Wegwerf-Plastiktüten stark machen, andere kämpfen gegen Tierquälerei, wieder andere pflanzen Bäume. Du versuchst am besten, nicht alles zu tun, sondern suchst dir ein oder zwei Dinge heraus, die dir speziell am Herzen liegen. Gleichzeitig sei dir bewusst, dass andere Menschen sich um andere Dinge kümmern.
Bevor ich aktiv werde, ist es also wichtig, dass ich mich selbst gut kenne. Damit ich weiß, worum ich mich am meisten sorge und was ich am besten kann. Man beginnt also zuerst bei sich selbst, bevor man sich über die Welt dort draußen Gedanken macht?
Genau! Du musst erst herausfinden, wofür du brennst. Denn jeder Mensch ist anders. Wenn du dein Thema gefunden hast, informierst du dich darüber, was man dafür machen kann. Anschließend nimmst du es in Angriff. Dann wirst du hart dafür arbeiten – und etwas verändern. Außerdem wirst du andere Menschen treffen, die sich darüber Gedanken machen, wie du. Die auch sehr hart für etwas arbeiten. Und das gibt Hoffnung.
Hart für etwas zu arbeiten kostet auch Zeit. Selbst als junge Menschen spüren wir, dass wir in einer temporeichen Leistungsgesellschaft leben. In meiner Uni gab es das Sprichwort: „Der Klimawandel wartet nicht, bis dein Bachelor beendet ist.“ Dennoch ist es oft nicht leicht, Zeiträume zu finden, um aktiv zu werden.
Wofür du aktiv wirst, hängt von vielen Faktoren ab – natürlich auch davon, wie viel Zeit du investieren kannst. Gebe der Sache die Zeit, die sie benötigt. Vielleicht ist es nur etwas Kleines jeden Tag, wie das Licht auszuschalten. Solange du etwas tust und versuchst, die Welt zu einem besseren Ort zu machen – die Hauptsache ist, dass du etwas tust.
Wenn wir uns nun engagieren, unser Feld gefunden haben, kann es dennoch immer wieder demotivierend sein mitzubekommen, was in unserer Welt alles nicht gut läuft. Wir werden so häufig konfrontiert mit negativen Nachrichten, apokalyptischen Entwicklungen. Es kann hart sein, wenn man etwas verbessern möchte und doch immer wieder davon liest, was schlecht läuft. Haben Sie auch diese Zeiten des Zweifelns?
Ich reise an mehr als 300 Tagen pro Jahr durch die Welt und treffe beeindruckende Menschen, die erstaunliche Projekte machen. Das inspiriert mich immer wieder aufs Neue. Deshalb denke ich, es ist mein Job und der der anderen, die sich um Umweltschutz sorgen, über die positiven Dinge, die passieren, zu reden. Dass Lebensraum zurückgegeben wird, dass Tierarten, die vom Aussterben bedroht sind, noch eine Chance erhalten. Medien können dabei eine wichtige Rolle einnehmen und zum Beispiel über die guten Nachrichten berichten. Meistens empfinden es Medienschaffende aber als weniger wert, über diese Mitteilungen zu informieren, als über Katastrophenmeldungen. Deshalb liest man meist von den Negativnachrichten. Die Medien müssen sich ändern, damit wir mehr motiviert werden, aktiv zu werden. Denn es ist nicht zu spät. Wenn wir jetzt alle zusammenkommen, können wir wirklich Veränderung bewirken.
Ich nehme Sie als sehr entschlossene und gleichzeitig friedliche Person wahr. Gibt es denn irgendein bestimmtes Motto, das Sie über Ihr Leben hinweg begleitet und motiviert hat?
Was mich motiviert, ist meine Leidenschaft für Tiere und unsere Umwelt. Ich lehne Tierquälerei stark ab, ich hasse die Zerstörung unserer Erde. Eine Art, damit umzugehen, ist, mehr und mehr Menschen bewusst zu machen, dass wir unsere Umwelt brauchen. Wir brauchen sauberes Wasser, wir brauchen einen Wald, der uns mit frischer Luft versorgt und Kohlendioxid aufnimmt. Es geht nicht nur um die Rettung unserer Umwelt, wie es manche Menschen denken. Wenn wir die Umwelt schützen wollen, sind wir keine „verrückten Baumumarmer“ und wir mögen Tiere nicht mehr als Menschen, nein.
Wir vergessen auch häufig, dass wir auch selbst Tiere und damit Teil der Umwelt sind.
Es ist bewiesen, dass Kinder die Natur für ihre gesunde psychologische Entwicklung brauchen. Zu oft sind Kinder getrennt von der Natur. Die Umwelt zu retten bedeutet also nicht nur, Flora und Fauna zu schützen, sondern auch unsere eigene Zukunft zu sichern. Das Problem ist, dass wir fast zu spät damit beginnen.
Haben Sie einen letzten Rat für uns, damit wir dennoch Hoffnung behalten, selbst in Zeiten der Klimakrise?
Der einzige Weg, diese dunklen Zeiten zu überstehen, ist es, zu wissen, dass man selbst alles macht, was in der eigenen Macht steht. Das können bewusstere Kaufentscheidungen sein, man kann aufhören, Fleisch zu essen, oder eine Fundraising-Aktion für Klimageflüchtete starten und vieles Weiteres. Wenn du wirklich hart an einem Projekt arbeitest, das du für wichtig hältst, dann kannst du abends zu Bett gehen und sagen: „Ich habe heute mein Bestes getan.“ Und das hält dich am Laufen. Gib einfach dein Bestes, jeden Tag.
Jane Goodall
*1934 in London, Großbritannien
Mit 23 Jahren und ohne wissenschaftliche Vorbildung begann Jane Goodall als Assistentin des Anthropologen Louis Leakey im Gombe-Nationalpark in Tansania ihre Forschung an wild lebenden Schimpansen. Fast 30 Jahre lang studierte sie das Verhalten der Primaten. Unter anderem entdeckte sie, dass Schimpansen in der Lage sind, Werkzeuge herzustellen und differenziert Sprache zu nutzen. 1977 gründete sie das Jane Goodall Institute for Wildlife Research, Education and Conservation, 14 Jahre später die Jugendorganisation „Roots & Shoots“. Als Mitte der achtziger Jahre die Abholzung des afrikanischen Urwalds begann, die den Lebensraum der Schimpansen bedrohte, hängte Goodall ihre Feldstudien an den Nagel und wurde Umweltaktivistin. Seit 2002 ist Goodall Friedensbotschafterin der UNO. Die 85-Jährige reist heute noch durch die Welt, um auf Themen wie Umweltverschmutzung, Klimakrise und illegalen Tierhandel aufmerksam zu machen.
Was wie ein jugendliches Abenteuer schien wurde für Jane Goodall zur Lebensaufgabe – 1960 schlägt sie zum ersten Mal im heutigen „Gombe Stream National Park“ in Tansania ihr Lager auf und lebt dort fünfundzwanzig Jahre mit Schimpansen. Seit 1986 ist sie Aktivistin für ein Leben, in dem Mensch, Tier und Umwelt eine Zukunft haben