Fünfmal hat Michael versucht, eine eigene Wohnung zu bekommen. Und fünfmal ist er gescheitert. Immer wieder wollte er den langen Weg durch das in Deutschland geltende Stufensystem gehen: erst ein paar Monate Übergangsheim, dann einige Zeit im Wohnheim, ein Wohntraining – und regelmäßig der Abbruch wegen seines Alkoholkonsums und seiner Heroinsucht. Also wieder auf die Straße, wie fast 20 Jahre schon. Bis der Düsseldorfer Verein „Fifty-Fifty“ Michael einfach eine günstige Wohnung zur Verfügung stellte und er mithilfe von Sozialarbeitern sein Leben langsam wieder in den Griff bekam.
Das Prinzip, Wohnungslosen zuerst ein Dach über den Kopf zu verschaffen und sich dann ihrer Probleme anzunehmen, heißt „Housing First“. Unter Experten gilt es als eine Art Wundermittel gegen Obdachlosigkeit. Der relativ neue Ansatz kommt aus der US-amerikanischen Sozialpolitik und wird seit einigen Jahren auch in Deutschland umgesetzt. „Es geht im Grunde darum, Wohnungslosigkeit zu beenden, statt diese nur zu verwalten“, sagt Volker Busch-Geertsema von der Gesellschaft für Innovative Sozialforschung und Sozialplanung in Bremen. Der promovierte Sozialwissenschaftler hat mehrere Housing-First-Projekte in verschiedenen europäischen Städten untersucht.
„Housing First“ stellt das Stufensystem auf den Kopf
Mit „verwalten“ meint Busch-Geertsema das Stufensystem, an dem auch Michael scheiterte. Doch dieses System steht seit Jahren in der Kritik. „Beim Stufenmodell bekommt ein erheblicher Teil der Leute keine Wohnung innerhalb der Begleitzeit“, sagt Volker Busch-Geertsema. „Es droht außerdem immer der Wohnungsverlust und die Ungewissheit, wie lange man bleiben kann.“ Das seien alles Belastungen, die Stress verursachen, was zum Beispiel für viele Alkoholiker oder Drogensüchtige eine Rückkehr in die Sucht bedeute. Und damit iegen sie aus dem Stufensystem raus und müssen wieder von vorne anfangen.
Mit dem Housing-First-Prinzip wird das Stufensystem auf den Kopf gestellt: Erst wenn jemand eine eigene Wohnung hat, so die Idee, erst wenn ein Mensch also eine stabile und sichere Basis hat, kann man Probleme wie Sucht oder Langzeitarbeitslosigkeit dauerhaft lösen. Außerdem, davon ist Volker Busch-Geertsema überzeugt, sei die eigene Wohnung die beste Schule, in der Menschen lernen, selbstständig und eigenverantwortlich zu leben. „Man ist dann in einer Situation mit realen Bedingungen, mit realen Nachbarn und mit realen Herausforderungen wie etwa der Einsamkeit. Schwimmen lernt man am besten im Wasser.“
Erfolgsquote? Bis zu 90 Prozent
Tatsächlich weisen die von Volker Busch-Geertsema untersuchten Housing-First-Projekte große Erfolge auf: Bis zu 90 Prozent der ehemaligen Wohnungslosen hatten nach fünf Jahren immer noch eine eigene Wohnung. Kein Wunder also, dass immer mehr Städte wie Amsterdam, Wien, Lissabon und Glasgow das Prinzip aufgreifen, um Wohnungslosen zu helfen. In Ländern wie Dänemark oder F…
Erst ein Dach über dem Kopf, dann kommt die Problembewältigung: „Housing First“ hilft Obdachlosen in ein geregeltes Leben