Gastkommentar zur Impfstoffverteilung

Eine Pandemie ist erst dann vorbei, wenn sie für alle vorbei ist

Auch, wenn die Freude über zwei kurz vor der Zulassung stehende Impfstoffe groß ist, bleibt die Frage nach einer gerechten globalen Verteilung entscheidend, um die Pandemie wirkungsvoll zu bekämpfen. Was zwingend dafür berücksichtigt werden muss, erklärt Elisabeth Massute von Ärzte ohne Grenzen.

Globale Solidarität ist in Zeiten einer weltweiten Pandemie unabdingbar und zukünftige Impfstoffe müssen gereicht verteilt werden – so bekräftigen es Politiker*innen seit Monaten. Denn: Covid-19 könne nur so effektiv eingedämmt werden. Gesundheitsminister Jens Spahn etwa sagte im Frühjahr: „Impfungen und Medikamente müssen der gesamten Menschheit zur Verfügung stehen. Künftige Impfstoffe gegen Covid sollten als globale öffentliche Güter betrachtet werden.“ Im Herbst klang das Ganze dann schon anders: „Ich gebe nachher gerne anderen Ländern auf der Welt etwas von den mit uns vertraglich geklärten Impfstoffen ab, wenn sich herausstellt, dass wir mehr haben, als wir brauchen“, so Spahn.

Was bedeutet das in der Praxis? Bereits jetzt ist mehr als die Hälfte der möglichen Impfstoffe, die im kommenden Jahr global produziert werden können, in Vorabverträgen gebunden. Das gilt auch für die Kontingente der Firma Biontech, die erste positive Ergebnisse ihrer klinischen Studien verkündete. 80 Prozent der Impfstoffdosen, die Biontech im kommenden Jahr produzieren kann, sind bereits durch Vorabverträge reserviert worden. Und das obwohl die Firma Fördergelder aus Deutschland und andere öffentliche Investitionen erhalten hat, die einen breiten und gerechten Zugang sicherstellen sollten.

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Impfstoff gegen Covid 19: Millionen Dosen bereits reserviert

Das ist nur ein Beispiel dafür, dass sich reiche Länder, unter anderem Deutschland als Teil des „Team Europe“, Impfdosen für ihre Bevölkerung exklusiv sichern, bereits bevor sich ein Impfstoffkandidat überhaupt als abschließend effektiv herausgestellt. Das ist höchst unsolidarisch. Dabei wurde im Frühjahr extra ein Programm namens ACT-A (Access to Covid-19 Tools Accelerator) ins Leben gerufen, das die Entwicklung, Produktion und Verteilung von Impfstoffen, Tests und Medikamenten voranbringen soll. Milliardenbeträge öffentlicher Gelder wurden bereitgestellt. Die Impfstoffe sollen durch die zentrale „COVAX Facility“, gebündelt für alle Länder, eingekauft und verteilt werden. Ein neuer Ansatz, der Impfstoffnationalismus vorbeugen sollte.

Aber: Wenn ein Verteilungsmechanismus wie COVAX nichts zu verteilen hat, weil der Großteil der Kontingente bereits reserviert ist, wird er nicht funktionieren. Viele ärmere Länder haben ihre Hoffnungen in den gemeinsamen Ansatz gesetzt. Sie können es sich nicht leisten, vorab in bilateralen Verträgen mit Pharmafirmen Impfstoffe für ihre Bevölkerungen zu sichern.

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Die Mehrheit der Menschen weltweit wird sich also, wie es scheint, hintenanstellen müssen bei der Verteilung eines zukünftigen Impfstoffes. Vor allem Menschen auf der Flucht oder in humanitären Krisensituationen werden bislang von der Politik komplett vergessen. Außerdem wird bei diesem nationalistischen Vorgehen außer Acht gelassen, dass Gesundheitspersonal weltweit prioritär durch einen zukünftigen Impfstoff geschützt werden muss. Ärzt*innen und Pfleger*innen sind entscheidend, um die Pandemie wirksam einzudämmen. Wenn sie nicht ausreichend geschützt werden, drohen Gesundheitssysteme zusammenzubrechen, mit fatalen Folgen gerade in ärmeren Regionen der Welt.

Elisabeth Massute ist politische Referentin in der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen in Berlin. Sie beschäftigt sich insbesondere mit dem gerechten und bezahlbaren Zugang zu lebensnotwenigen Medikamenten und Impfstoffen. Bild: MSF/Barbara Sigge

Denn die Teams von Ärzte ohne Grenzen sehen es überall in den Einsatzländern: Krankheiten wie Tuberkulose oder Malaria machen keine Pause. Ganz im Gegenteil. Malarianetze können in Zeiten der Pandemie nicht ausreichend verteilt werden, es werden weniger Tuberkulosetests und Behandlungen durchgeführt. Millionen von Menschen weltweit sind betroffen. Überall kommen Gesundheitssysteme an ihre Belastungsgrenzen. Und die meisten Auswirkungen sind heute noch gar nicht abschätzbar.

Die Weltgesundheitsorganisation warnt bereits jetzt vor einer Hungerpandemie in Afrika. Zusätzlich werden die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie viele Millionen Menschen mehr in Armut stürzen. Schon allein deshalb sollte ein Impfstoff, der Entlastung für Gesundheitssysteme bringen und Menschen effektiv schützen könnte, gerecht verteilt werden.

Die Bundesregierung muss vom Impfstoff-Nationalismus ablassen

Eine globale Pandemie ist erst dann vorbei, wenn sie für alle vorbei ist. Covid-19-Impfstoffe sollten nach dem dringendsten medizinischen Bedarf verteilt werden, nicht nach den größten finanziellen Möglichkeiten. Das sollte nicht nur ein Gebot rationaler Logik sein, sondern auch ein Gebot der Menschlichkeit.

Die Bundesregierung muss vom Impfstoff-Nationalismus ablassen und für echte globale Solidarität eintreten. Das bedeutet: Deutschland muss sich dafür einsetzten, dass Gesundheitspersonal weltweit prioritär durch einen zukünftigen Impfstoff geschützt wird, und es muss Anteile seiner bisher reservierten Impfstoffdosen für einen humanitären Mechanismus zur Verfügung stellen, damit auch Menschen in Krisensituationen geimpft werden können.

Zusätzlich muss ein Umdenken innerhalb der Bundesregierung stattfinden. Geistige Eigentumsrechte sind Barrieren für den weltweiten Zugang zu einem bezahlbaren Preis. Neue Technologien und Knowhow, etwa für Impfstoffe, müssen geteilt werden. Nur so kann die globale Produktion so ausgeweitet werden, dass schnell viele Menschen geschützt werden können. Gerade jetzt, wo Milliarden an öffentlichen Geldern in die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen fließen, dürfen hohe Preise und Intransparenz keine Hürde sein.

Firmen, die Förderungen erhalten, sollten deshalb ihre Produktionskosten und Anteile öffentlicher Investitionen offenlegen müssen. Es geht schließlich um die Gesundheit der Menschen, nicht um Profite einzelner Firmen. Damit echte globale Solidarität in Zeiten der Pandemie funktionieren kann, brauchen wir deshalb ein Umdenken, kein einfaches „Weiter so“.

Bild: imago images/Alexander Limbach

„Die Bundesregierung muss vom Impfstoff-Nationalismus ablassen und für echte globale Solidarität eintreten“, sagt Elisabeth Massute von Ärzte ohne Grenzen.

Elisabeth Massute, Ärzte ohne Grenzen

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