Kommentar zum 9-Euro-Ticket

Die Richtung stimmt

Seit Juni gilt deutschlandweit das 9-Euro-Ticket. Damit kann man in Bussen, S-Bahnen und Regionalzügen günstig durchs ganze Land tingeln. Die Monatskarte kann für Juni, Juli und August gekauft werden und soll die hohen Sprit- und Energiepreise abfedern. Aber hilft der Sondertarif wirklich dabei, dass möglichst viele Menschen auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen? Und welche Vor- und Nachteile hat es? Ein erstes Fazit.

Das 9-Euro-Ticket funktioniert bestens, zumindest was die Verkäufe angeht: Noch vor dem ersten Geltungstag wurden 7 Millionen der Monatskarten verkauft. Der Verband deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) rechnet mit 30 Millionen Nutzer:innen pro Monat. Auch 82% der enorm Leser:innen sagten bei einer Umfrage auf Instagram, sie wollen sich das Ticket holen, fast alle wünschen sich ein solches Angebot auf Dauer.

Aber die Strukturen im öffentlichen Nahverkehr in Deutschland sind offenbar nicht auf diesen Ansturm ausgelegt. Kein Wunder: Volle Züge, Chaos auf Bahnsteigen gibt es nicht erst seit dem vergangenen Pfingstwochenende. Seit Jahren stockt der Ausbau der Infrastruktur. Es fehlen Fahrzeuge und Personal. In den letzten 20 Jahren wurden 18 Prozent der Stellen abgebaut – bei gleichzeitig stark steigenden Fahrgastzahlen. Der Witz ist alt: Die Bahn ist voll und mal wieder zu spät. Das ist Alltag, und jede:r noch so große Bahn-Enthusiast:in dürfte deswegen irgendwann resignieren.

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Und: Selbst wenn die Sonderaktion nicht zu einer kompletten Überlastung führen würde, von 9-Euro-Tickets profitieren nicht alle gleichermaßen. Das gilt insbesondere für die Menschen auf dem Land. Denn was hilft ein günstiges Ticket, wenn gleichzeitig kein Bus, keine Bahn in der Nähe hält? 46% der enorm Leser:innen haben angegeben, schlecht angebunden zu sein. Sie stehen damit nicht allein: Besonders im ländlichen Raum und am Rand der Großstädte gibt es zwar Haltestellen – aber sie werden viel zu selten angefahren. 55 Millionen Bürger:innen im ländlichen Raum haben keine ausreichende Anbindung an den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Mehr als die Hälfte der Haltestellen wird maximal zweimal die Stunde bedient, besagt eine Mobilitätsanalyse eines Tochterunternehmens der Deutschen Bahn. Keine komfortable Alternative zum Auto, oder?

9-Euro-Ticket: Lust machen auf die Öffis

Insgesamt ist das 9-Euro-Ticket aber ein Schritt in die richtige Richtung: Mit einer so groß aufgezogenen Aktion kann man wieder Lust machen auf die Öffis. Die Debatte um einen besseren Nahverkehr läuft an. Die Politik zeigt sich offen für Veränderung: Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) möchte tiefgreifende Verbesserungen für einen attraktiveren ÖPNV erwirken, ihn verständlicher, einheitlicher und damit kundenfreundlicher gestalten. Das wäre ein ziemlicher Fortschritt: Der Bundesrechnungshof stellte Ende November 2021 Wissings Vorgänger Andreas Scheuer (CSU) und dessen Ministerium ein desaströses Zeugnis aus. Etwa seien 124 Millionen Euro einfach zweckentfremdet worden. Statt Unternehmen einen Gleisanschluss zu legen, wurden mit dem Geld neue Straßen und Flughafengesellschaften, an denen der Bund beteiligt ist, finanziert.

Dennoch: Den Ticket-Nutzer:innen wird die Aktion vorerst wohl die Fahrtkosten zur Arbeit sparen, besonders in Großstädten, wo Monatsfahrkarten oft teuer sind. Trotzdem muss dringend bei der Gesamtstruktur nachgebessert werden. Für ein nachhaltig attraktives ÖPNV-Angebot braucht es ein Umdenken und Investitionen in Personal und Infrastruktur. Ansonsten bleibt das 9-Euro-Ticket eine günstige Sonderaktion ohne anhaltenden Effekt. Denn Öffis mögen eigentlich alle – wenn sie erreichbar, bezahlbar und verlässlich sind.

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Bild: IMAGO / Martin Wagner

Öffis mögen eigentlich alle – wenn sie denn erreichbar, bezahlbar und verlässlich sind (Symbolbild).

Ella Knigge

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