„Ich sitze mit meinem Label Sabinna in London, und bislang kommen wir gut durch diese spezielle Zeit. Vermutlich liegt das daran, dass unser Konzept auf lokaler Produktion, digitaler Innovation und direktem Kund*innenkontakt fußt. Wir verkaufen unsere Stücke nur in unserem eigenen Laden, in eigenen Pop-up-Stores oder über eigene digitale Channels. Zudem sind wir auf Social Media aktiv, versenden Newsletter – hauptsächlich Informationen, wenig Werbung – und veranstalten Events wie Stick-, Strick-, Näh- oder Häkelkurse. Nachhaltigkeit lässt sich nicht nur über Produkte vermitteln, es braucht auch education und experience.
Wer erlebt hat, wie viel Zeit und Arbeit in ein handgefertigtes Kleidungsstück fließen, geht anders damit um. Verständnis und Wertschätzung für Materialien und Mode steigen. Während des Lockdowns und auch jetzt bieten wir vieles online und für zu Hause an. Es gibt DIY-Kits, Videos mit Anleitungen, Podcasts und Livesessions, um gemeinsam via Bildschirm zu basteln. Zudem versuchen wir, uns hineinzufühlen in unsere Kund*innen, und fragen auch direkt nach: Was braucht ihr? Zum einen sind das nach wie vor Masken, kein Geheimnis, zum anderen Geschenkartikel für Freunde und Familienmitglieder, die man aufgrund von Reise- oder Besuchsbeschränkungen nicht sehen kann. Wir haben dafür eigens Reconnect-Sets kreiert mit T-Shirt, Maske und von Hand beschriebener Grußkarte.
Modelabel Sabinna: Nachhaltigkeit zu Ende denken
An der University of the Arts London unterrichte ich Entrepreneurship and Innovation – und ich bekomme mit, wie schnell sich kleine, unabhängige Green-Fashion-Labels verunsichern lassen. Natürlich ist es schwierig, ohne gesicherten Cashflow und ohne große Rücklagen klarzukommen. Doch wir sollten unbedingt auch die Vorteile sehen. Als kleines, unabhängiges Label kann man sich schneller anpassen, zudem produzieren die meisten lokal, kennen ihre Lieferanten und müssen nicht auf Ware aus China warten. Sie haben einen persönlichen Draht zu ihren Kund*innen und Nachhaltigkeit von Anfang an für alle Ebenen mitgedacht – im Gegensatz zu konventionellen Labels, die mühsam versuchen, ihr Businesskonzept zumindest an der ein oder anderen Stelle grüner zu bekommen.
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All diese Trümpfe müssen wir ausspielen, denn die wirkliche Challenge liegt noch vor uns. Ein Zurück in die Vor-Corona-Zeit halte ich für unrealistisch. Weil sich das Konsumverhalten der Menschen ändern wird und auch ändern muss. Ich bin mit pauschalen Tipps vorsichtig – auch weil wir davon wegkommen müssen, vermeintlich erfolgreiche Businessmodelle zu kopieren. Das passiert noch viel zu oft. Was wir stattdessen brauchen, sind neue Ansätze für eine neue Zeit. Und die müssen aus meiner Sicht weit über das eigentliche Produkt hinausgehen. Beyond the Product. Und um dieses ‚beyond‘ zu finden, müssen sich Modelabels auf ihre ganz eigenen Stärken, Ideen und Überzeugungen konzentrieren und ihnen auch vertrauen.“
Sabinna Rachimova ist Gründerin des Labels Sabinna, hält Vorträge über ethische Mode und unterrichtet den Master-Kurs Fashion Entrepreneurship & Innovation an der University of Arts London.
Sabinna Rachimova ist Gründerin des Labels Sabinna.