Millionen müssen aus der Ukraine fliehen – Genau wie die Menschen aus den Bürgerkriegen in Syrien und Somalia. Doch die Sprache der Berichterstattung unterscheidet sich gewaltig.
Die Tagesschau titelte im Februar: „500.000 Menschen aus der Ukraine geflüchtet“. Über die Migrationsbewegungen vor sieben Jahren schrieb das Medium: „Flüchtlingskrise 2015”. Eine aktuelle Überschrift der Zeit lautet: „Flucht aus der Ukraine: Sie erzählen von Schrecken und Solidarität.“ 2016 schrieb die Zeitung: „Flüchtlingskrise: Das Jahr, das Deutschland veränderte“.
„Flucht aus der Ukraine“ und „Menschen aus der Ukraine“ vs. „Flüchtlingskrise“? Die Tonalität ist heute emphatischer, menschlicher. Der Diskurs über einen diskriminierungsfreien Sprachgebrauch scheint fortgeschritten. Doch dabei fällt auf: Aus der Ukraine, anders als aus Syrien und Somalia, fliehen mehrheitlich weiße Menschen. Das sie im Gegensatz zu Menschen aus dem globalen Süden mehrheitlich nicht als „fremde Bedrohung” wahrgenommen werden, sondern als Individuen, denen man helfen muss, offenbart den rassistischen Blick der Gesellschaft. Die Berichte über Diskriminierung und Gewalt gegen Schwarze Geflüchtete von ukrainischen, ungarischen und polnischen Grenzbeamt:innen zeigen, dass die Fluchterfahrung noch traumatischer sein kann, wenn man eine Person of Colour ist.
Wie können wir diskriminierungsfreier über Menschen auf der Flucht sprechen? Egal, von woher sie fliehen und wie sie aussehen? Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch forscht zu nicht-diskriminierender Sprache. Er analysiert die verschiedenen Begriffe, die Menschen auf der Flucht bezeichnen. „Flüchtling“ etwa werde meist neutral verwendet, wie in der Zusammensetzung „Kriegsflüchtling“. Problematisch jedoch sei das Suffix, -ling, das meist mit negativ konnotierten Wörtern zusammenhänge. Wie etwa bei „Schwächling“, „Widerling“ oder „Feigling“. Viele der neutralen oder positiven Wörter, etwa „Lehrling” oder „Schützling”, drücken ein Abhängigkeitsverhältnis aus.
Die negative Behaftung des Wortes „Asylant:in“ hängt nicht mit der Nachsilbe zusammen. Das Suffix -ant habe sowohl negative wie neutrale wie positive Konnotationen. Dem „Spekulant“ und „Querulant“ stehen „Lieferant“ und „Intendant“ gegenüber. Die abwertende Konnotation sei durch die rechtsideologische Instrumentalisierung des Terminus entstanden, laut Stefanowitsch. Die englische Bezeichnung „Refugee“ hingegen stellt das Ziel – den sicheren Zufluchtsort („Refuge“) – in den Vordergrund. Durch den Slogan „Refugees Welcome“ war der Anglizismus lange positiv behaftet, mittlerweile ist er durch das deutsche „Geflüchtete“ weitestgehend ersetzt. Die Zuschreibung „Geflüchtete“ impliziert, dass die Flucht eine abgeschlossene Handlung ist. „Flüchtende“ beschreibt Menschen, die sich auf der Flucht befinden.
Stefanowitsch möchte jedoch stattdessen das Wort „Migrant:in“ als neutralen Terminus zurückerobern. Das Wort eigne sich, weil es auf alle Menschen weltweit in Bewegung anwendbar wäre, ohne zwischen ihnen zu unterscheiden. Die Prämisse dafür: gesellschaftliches Umdenken. Es benötige die mehrheitliche Anerkennung, dass alle Menschen das Recht auf ein Leben ohne Hunger, Krieg, Angst und Verfolgung haben, und sie dieses Recht durch Migration durchsetzen dürfen.
Am Münchener Hauptbahnhof empfangen freiwillige Helfer:innen ankommende ukrainische Geflüchtete, wie auch 2015 syrische Geflüchtete in München zunächst freundlich begrüßt wurden.