Wieso gibt es so wenige Sozialunternehmen in der Reisebranche?
Weil das Konzept in der Branche noch nicht wirklich angekommen ist, es spielt auf Messen und an den Hochschulen praktisch keine Rolle. Seit zwei Jahren biete ich das Modul „Social Entrepreneurship, Fair Finance and Innovation“ an der Hochschule Eberswalde an, es ist das einzige zum Thema bundesweit. Zudem gibt es noch keine geeigneten Rechtsformen, daher gründen kleine Initiativen lieber einen Verein oder eine NGO. Es ist auch nach wie vor schwierig, finanziell tragfähige Geschäftsmodelle zu entwickeln. Es gibt sehr wenige Beispiele erfolgreicher Sozialunternehmer im Tourismus wie das Hotel Magdas in Wien, das gemeinsam von Geflüchteten und Profis betrieben wird. Viele Ideen scheitern an der Finanzierung. Dabei brauchen wir in der Reisebranche mehr Unternehmen, die sozialunternehmerisch denken. Die also nicht in erster Linie Profit machen wollen, sondern vor allem gesellschaftliche Probleme nachhaltig lösen möchten. Ihr ganzes Geschäftskonzept ist an diesem Ziel ausgerichtet. Der Staat braucht diese Unterstützung, egal ob es um menschenwürdige Arbeit, Bildung, Gesundheit oder nachhaltigen Tourismus geht.
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Was könnten Sozialunternehmen in der Reisebranche denn bewegen?
Sie könnten zum Beispiel effektive Lösungen für die Müllbeseitigung finden. Es bringt doch nichts, Menschen für einen Yogaretreat nach Bali zu bringen und einmal in der Woche zum Müllsammeln an den Strand zu schicken. Am nächsten Tag liegt da wieder neuer Müll. Sozialentrepreneure könnten mit nachhaltigen Alternativen die Ursachen beseitigen helfen. Wie wäre es zum Beispiel mit einer App, über die man Fotos von Müll an touristischen Orten in aller Welt hochladen und mit präzisen Geotracking- Daten versehen kann, und die App schickt die Infos automatisch an die verantwortlichen Behörden vor Ort? Egal ob Dosenberge und Müsliverpackungen in einer Landschaft oder zerschlissene Badematten und kaputte Surfbretter an einem Strand. So könnte man die Verwaltung aufmerksam auf die Probleme machen, die mit Tourismus verbunden sind, und sie ermutigen, Verantwortung zu übernehmen. Indem sie Müllbeseitigung systematisch in ihre Tourismuskonzepte einbezieht. Zum Beispiel durch Auflagen für Hotellerie und Handel oder Müllabgaben für Touristen. Unternehmerisches Handeln hätte einen nachhaltigen Impact.
Wie können wir Social Business in der Reisebranche fördern?
Es sollte genauso Pflichtmodul im Studium werden. Ein Praktikum bei einem Sozialunternehmen könnte Bewerbungsvoraussetzung für Studiengänge im Tourismus sein. Wenn sich Tourismusmanager schon in der Ausbildung mit Sozialunternehmertum beschäftigen würden, entstünde eine andere Haltung. Das hätte Einfluss auf ihre späteren Entscheidungen im Job. 2019 hat eine meiner Studentinnen in ihrer Masterarbeit solche Effekte sehr plausibel herausarbeiten können. Außerdem müssen wir in der Branche viel mehr öffentlich über Sozialunternehmertum diskutieren. Deshalb haben mein Team und ich mit der ITB Berlin, der Plattform Travelmassive.com und dem Berlin Travel Festival einen neuen Wettbewerb auf die Beine gestellt: „Social Entrepreneurship in Tourism“. 2019 wurden zum ersten Mal Sozialentrepreneure ausgezeichnet. Eine der Gewinner*innen ist die Iranerin Niky Gharahgozlouyan mit WeView, einer virtuellen Reiseapp, für alle, die nicht reisen können. Jetzt startet die Bewerbungsphase für den Wettbewerb 2020.
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