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Wie sprechen wir über Suizid?

Menschen wollen sich aus unterschiedlichen Gründen das Leben nehmen. Oft befinden sie sich in seelischer Not – die jedoch mit Hilfe überwunden werden kann. Deshalb ist es wichtig, über dieses Tabuthema zu sprechen. Welche Begriffe eignen sich am besten?

Alle 40 Sekunden nimmt sich ein Mensch das Leben. 2019 haben sich weltweit laut WHO rund 703.000 Menschen selbst getötet, die Zahl der Suizidversuche lag vermutlich 20-mal höher. In Deutschland sterben täglich mehr Menschen an Suizid als durch Verkehrsunfälle, Drogen und Gewalttaten zusammen. Viele, die sich selbst töten, sind psychisch krank. Auch Menschen ohne psychische Krankheit sind gefährdet, etwa wenn sie eine akute Krise erleben oder körperlich krank sind. Fest steht: Suizidalität ist komplex und lässt sich nicht auf eine Ursache zurückführen.

Das sind die Fakten zu einem Thema, über das viele kaum zu sprechen wagen. Aus Angst etwa, jemanden auf die Idee zu bringen, Suizid zu begehen. Doch laut der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) ist das Gegenteil der Fall: Über Suizid zu sprechen, kann Leben retten. Wichtig ist, auf Hilfe hinzuweisen. Und statt Selbstmord oder Freitod beim Gespräch neutralere Begriffe wie Suizid oder Selbsttötung zu verwenden. Warum?

Selbstmord wertet Suizid sprachlich wie eine Straftat. Die strafrechtliche Definition von Mord lautet, grob gesagt, aus niederen Beweggründen jemanden zu töten. Doch das ist bei Menschen, die sich selbst töten, nicht der Fall – sie sterben, weil sie leiden und ihre subjektiv erlebte Ausweglosigkeit den Blick aufs Weiterleben verhindert, wie die DGS betont.

Dass Suizid dennoch in Gesellschaften oft als Mord und somit als moralisch falsch angesehen wird, wurzelt auch in der christlichen Theologie: Augustinus stufte im 5. Jahrhundert Suizid als unrechtmäßig ein – mit weitreichenden Folgen: Suizid-Verstorbenen wurde in England bis 1823 ein Pfahl durch das Herz gebohrt. Bis 1983 (!!) konnte ihnen ein kirchliches Begräbnis verweigert werden. In England war ein Suizidversuch bis 1961 juristisch strafbar. Und noch heute ist versuchter Suizid in 20 Ländern von Bangladesch über Singapur bis Uganda verboten, 19 davon ehemals unter britischer Herrschaft. Der Begriff Selbstmord bleibt daher stigmabehaftet und verhindert, dass Menschen offen über suizidale Absichten sprechen.

Das Wort Freitod wiederum gibt vor, dass Betroffene völlig frei wählen könnten, sich zu töten. Es klingt wie eine Wahlmöglichkeit von vielen, impliziert Freiheit, wo oft keine mehr ist. Die DGS sieht den Begriff deshalb kritisch: Menschen, die suizidal sind, sind meist nicht frei, sondern in großer Not – die mit Hilfe überwunden werden kann.

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Wenn du suizidale Gedanken hast oder jemand aus deinem Umfeld sie hat, wende dich an die Telefonseelsorge: 116 123 (rund um die Uhr erreichbar) oder hole dir Hilfe unter online.telefonseelsorge.de

Bei akuter Suizidalität helfen der ärztliche Notdienst unter 116 117 oder die Notaufnahmen der psychiatrischen Kliniken.

Foto: Unsplash / Etienne Boulanger

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