Du hast von Polizeiketten gesprochen. Manchmal wird ja sehr massiv gegen Demonstrant*innen vorgegangen. Bleibst du da als Aktivistin im Rollstuhl verschont?
Ich weiß von anderen, dass die Polizei manchmal nicht weiß, wie sie mit behinderten Menschen umgehen soll. Bei mir ist es vielleicht anders, weil ich als Kletteraktivistin und -trainerin bekannt bin und die Polizei das weiß. Auf der einen Seite ist es manchmal schwierig, ernst genommen zu werden, weil einem schnell unterstellt wird, dass man gar nicht behindert sei, weil man Dinge macht, die Menschen mit Behinderung nicht zugetraut werden. Auf der anderen Seite habe ich aber auch persönlich erleben müssen, dass mir zum Beispiel in Gewahrsam der Zugang zu lebensnotwendigen Tabletten verwehrt wurde. Ich habe auch mal erlebt, dass ich mit Handgriffen mehrfach gezwungen wurde aufzustehen, was ich aber nicht kann, wenn ich am Boden sitze.
Weiß die Polizei denn von deiner Behinderung?
Ich habe einen Schwerbehindertenausweis, den ich den Beamt*innen immer aushändige. Und trotzdem wurden mir zum Beispiel einmal die Gelenke so stark verbogen, dass ich das Bewusstsein verloren habe. Vor Gericht wurde bescheinigt, dass es rechtswidrig war, aber das hindert die Polizei leider nicht daran, das nächste Mal genau das Gleiche wieder zu machen. Mindestens dreimal ist mir das schon an verschiedenen Orten passiert: In Hamburg, in Essen und im Braunkohlegebiet im Rheinland.
Also keine Einzelfälle.
Es hat schon was mit dem System zu tun, denn sonst würde es sich nicht immer wiederholen. Bei „Ende Gelände“ hat die Polizei ihre Hunde auf die Gruppe losgelassen, teilweise ohne Maulkorb. So ein Hund ist selbst mit Maulkorb eine schwere Waffe und darauf gedrillt, Menschen anzugreifen. Die Gruppe bewegte sich langsam und die Polizei wusste, dass da Leute sind, die gerade in ihrem Rollstuhl geschoben werden und andere Menschen mit Gehbehinderung. Alles war überschaubar und friedlich, bis die Hunde kamen. Wenn du im Rollstuhl sitzt und der Hund ist genau auf deine Augenhöhe, dann ist das kein schönes Gefühl.
Ich halte dieses Verhalten der Polizei für behindertenfeindlich, völlig unangemessen und unverhältnismäßig. Dagegen klage ich gerade.
Häufiger habe ich stattdessen die Aussage der Polizei gehört, dass man, wenn man behindert ist, halt nicht demonstrieren gehen solle.
Was entgegnest du Leuten, die das sagen?
Für mich ist es keine Frage der Behinderung, ob der Klimawandel uns bedroht oder nicht. Wir sind den gleichen Folgen ausgesetzt. Und es geht um Teilhabe und Inklusion. Politische Bewegungen haben auch ihre Barrieren, die es genauso abzuschaffen gilt, wie die Barrieren in der Gesellschaft. Ich möchte mich am politischen Leben genauso beteiligen, wie andere Menschen. Ich weiß, es gibt ein paar Sachen, die man nicht komplett abschaffen kann. Nicht alles ist möglich, aber vieles. Was ich sehr schön finde ist, wenn Leute mich kontaktieren und mir dazu Fragen stellen, weil sie mitbekommen haben, dass ich mit Behinderung aktiv bin.
Durch die Corona-Pandemie ist das öffentliche Leben weitgehend heruntergefahren. Sind denn schon größere Aktionen für die Zeit danach geplant?
Wir achten darauf, dass man coronakompatibel demonstriert. Vor Kurzem hatten wir zum Beispiel eine sehr schöne Verkehrswende-Fahrrad-Demo, die auch vor Gericht erstritten werden musste, weil die Stadt Lüneburg verboten hatte, mit dem Fahrrad über die Autobahn zu fahren.
Und auch wenn wir den Kampf um den Danni (Anm. d. Red.: Dannenröder Wald) verloren haben und der Wald gerodet wurde, so ist das Thema Verkehrspolitik und Verkehrswende in vielen Köpfen nachhaltig gesetzt.
„Ende Gelände“ wird bestimmt auch wieder aktiv gegen Kohle sein, sobald es wieder geht. Und wenn, dann gibt es wahrscheinlich wieder so einen “bunten Finger” dabei.
Unsere Kooperationspartner*innen
Die Neue Norm ist ein Online-Magazin, das verschiedene Fragen und gesellschaftspolitische Mechanismen behandeln und infrage stellen wird. Besonders wollen wir das Thema Behinderung in einen neuen Kontext setzen; Behinderung findet mitten in der Gesellschaft statt und muss da auch besprochen werden. Egal, ob Politik, Film, Fußball oder Landungen auf den Mars, das Magazin hinterfragt die gesellschaftlichen Normen und denkt Inklusion weiter.Cécile Lecomte bei einem Kletter-Workshop für behinderte Menschen im Hambacher Wald im Frühling 2019.