Umweltaktivistin Cécile Lecomte

„Keine Frage der Behinderung, ob der Klimawandel uns bedroht“

Die Umweltaktivistin Cécile Lecomte ist Kletter-Aktivistin und Rollstuhlfahrerin. Hier spricht sie über ihren Protest und Erfahrungen mit Polizeigewalt.

Wofür machst du dich stark?

Ich bin seit 20 Jahren in der Anti-Atom-Bewegung engagiert. Wir reden in Deutschland zwar vom Atom-Ausstieg, haben aber mindestens zwei Anlagen, die unbefristet weiterlaufen. Die Uran-Anreicherung in Gronau und die Fertigung der Brennelemente Lingen. Atomkraft ist kein Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels. Die Produktion dauert zu lange, ist zu teuer und zu gefährlich. Und man weiß immer noch nicht wohin mit dem Atommüll. Auch in meinem Heimatland Frankreich ist noch jede Menge zu tun. Ich bin aber auch noch bei anderen Themen aktiv, zum Beispiel Verkehr oder Kohle.

Fridays for Future ist jetzt ein anderer Ansatz als der Aktivismus vor Ort. Wie bewertest du das?

Ich glaube, dass der Erfolg von sozialen, politischen Bewegungen auf Vielfalt basiert. Es muss von allem ein bisschen geben: Sowohl die plakative Art, die vielleicht niemanden stört, aber trotzdem einen Denkanstoß geben kann, als auch das Provozieren, damit vielleicht die, die bislang noch nicht darüber nachdenken wollten, ein Stück weit dazu gezwungen werden.

Ich zum Beispiel war zwar irgendwie gegen Atomkraft, aber damals, als ich Anfang der 2000er in Bayreuth studiert habe, hat mich das Thema Castortransporte erreicht. Als ich davon in der Zeitung las, habe ich erst gar nicht verstanden worum es geht. Mein Deutsch war noch nicht so gut und „Castor“ heißt auf Französisch „Biber“. Was soll das denn sein? (lacht) Ich dachte, es geht um Tierschutz.

Dieser Protest im Wendland sprach mich aber an, weil er so vielfältig war. Es waren nicht nur reine Demonstrationen, sondern es haben sich Leute an Schienen festgekettet. Solch radikale Aktionen funktionieren, weil darüber berichtet wird. Ich habe mich gefragt, warum machen die Leute sowas? Warum lassen sie sich auf so etwas ein? So bin ich überhaupt erst zu dem Thema gekommen.

Aktivismus und Inklusion

Cécile Lecomte, Jahrgang 1981 ist Aktivistin, freie Journalistin und Buchautorin. Sie protestiert gerne kletternd gegen Kohle und Atom, für eine Energie- und Verkehrswende. Cécile Lecomte ist seit 16 Jahren an rheumatoider Arthritis (chronische Entzündung und Zerstörung der Gelenke) erkrankt und im Alltag auf einen Rollstuhl angewiesen. Sie setzt sich für inklusiven Protest ein und gibt Kletterkurse für Menschen mit Behinderung. Ihre Arbeit wird durch die Bewegungsstiftung gefördert. Bild: Olivier Samain

Welche Rolle spielt deine Behinderung bei deinem Aktivismus? Hast du das Gefühl, dass du anders wahrgenommen oder weniger ernst genommen wirst? 

Das hat sich im Laufe der Jahre verändert, weil ich eine chronische Erkrankung habe, die immer schlimmer wird. Früher hat man mir das nicht angesehen, während ich mittlerweile im Rollstuhl unterwegs bin. Mein enger Freundinnenkreis hat sich darauf eingestellt und ich komme zurecht. Aber natürlich ist die Umwelt und die Gesellschaft nicht frei von Barrieren. Auch in der linken Szene und anderen politischen Bewegungen war nicht einfach in die Köpfe zu bringen, das Ableismus genauso zu bekämpfen ist wie Sexismus, Rassismus oder Homophobie. Ableismus ist noch nicht so präsent und ein systemisches Problem. Viele Menschen sind sich noch nicht darüber bewusst, wie sie sich verhalten. Ich erlebe aber auch eine Offenheit dafür, wenn man die Probleme anspricht und versucht, sie bewusst zu machen, gemeinsame Lösungen zu finden. 

Dadurch ist zum Beispiel der „bunte Finger“ bei “Ende Gelände” entstanden. Wir wollen genauso Aktionen wie die anderen machen, nur dass Menschen mit und ohne Behinderung zusammen gehen. Sie helfen sich gegenseitig die Barrieren, die es gibt, zu überwinden. Zum Beispiel eine Polizeikette, weil ich allein mit meinem Rollstuhl das nicht kann. Mich freut es, auch mal mittendrin dabei zu sein.

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Du hast von Polizeiketten gesprochen. Manchmal wird ja sehr massiv gegen Demonstrant*innen vorgegangen. Bleibst du da als Aktivistin im Rollstuhl verschont?

Ich weiß von anderen, dass die Polizei manchmal nicht weiß, wie sie mit behinderten Menschen umgehen soll. Bei mir ist es vielleicht anders, weil ich als Kletteraktivistin und -trainerin bekannt bin und die Polizei das weiß. Auf der einen Seite ist es manchmal schwierig, ernst genommen zu werden, weil einem schnell unterstellt wird, dass man gar nicht behindert sei, weil man Dinge macht, die Menschen mit Behinderung nicht zugetraut werden. Auf der anderen Seite habe ich aber auch persönlich erleben müssen, dass mir zum Beispiel in Gewahrsam der Zugang zu lebensnotwendigen Tabletten verwehrt wurde. Ich habe auch mal erlebt, dass ich mit Handgriffen mehrfach gezwungen wurde aufzustehen, was ich aber nicht kann, wenn ich am Boden sitze.

Weiß die Polizei denn von deiner Behinderung?

Ich habe einen Schwerbehindertenausweis, den ich den Beamt*innen immer aushändige. Und trotzdem wurden mir zum Beispiel einmal die Gelenke so stark verbogen, dass ich das Bewusstsein verloren habe. Vor Gericht wurde bescheinigt, dass es rechtswidrig war, aber das hindert die Polizei leider nicht daran, das nächste Mal genau das Gleiche wieder zu machen. Mindestens dreimal ist mir das schon an verschiedenen Orten passiert: In Hamburg, in Essen und im Braunkohlegebiet im Rheinland.

Also keine Einzelfälle.

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Es hat schon was mit dem System zu tun, denn sonst würde es sich nicht immer wiederholen. Bei „Ende Gelände“ hat die Polizei ihre Hunde auf die Gruppe losgelassen, teilweise ohne Maulkorb. So ein Hund ist selbst mit Maulkorb eine schwere Waffe und darauf gedrillt, Menschen anzugreifen. Die Gruppe bewegte sich langsam und die Polizei wusste, dass da Leute sind, die gerade in ihrem Rollstuhl geschoben werden und andere Menschen mit Gehbehinderung. Alles war überschaubar und friedlich, bis die Hunde kamen. Wenn du im Rollstuhl sitzt und der Hund ist genau auf deine Augenhöhe, dann ist das kein schönes Gefühl.

Ich halte dieses Verhalten der Polizei für behindertenfeindlich, völlig unangemessen und unverhältnismäßig. Dagegen klage ich gerade.

Häufiger habe ich stattdessen die Aussage der Polizei gehört, dass man, wenn man behindert ist, halt nicht demonstrieren gehen solle.

Was entgegnest du Leuten, die das sagen?  

Für mich ist es keine Frage der Behinderung, ob der Klimawandel uns bedroht oder nicht. Wir sind den gleichen Folgen ausgesetzt. Und es geht um Teilhabe und Inklusion. Politische Bewegungen haben auch ihre Barrieren, die es genauso abzuschaffen gilt, wie die Barrieren in der Gesellschaft. Ich möchte mich am politischen Leben genauso beteiligen, wie andere Menschen. Ich weiß, es gibt ein paar Sachen, die man nicht komplett abschaffen kann. Nicht alles ist möglich, aber vieles. Was ich sehr schön finde ist, wenn Leute mich kontaktieren und mir dazu Fragen stellen, weil sie mitbekommen haben, dass ich mit Behinderung aktiv bin.

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Cécile Lecomte bei einer Abseilaktion gegen einen Uranmülltransport aus Gronau, auf dem Weg nach Russland am 5. Oktober 2020 in Münster – Foto: urantransport.de

Durch die Corona-Pandemie ist das öffentliche Leben weitgehend heruntergefahren. Sind denn schon größere Aktionen für die Zeit danach geplant? 

Wir achten darauf, dass man coronakompatibel demonstriert. Vor Kurzem hatten wir zum Beispiel eine sehr schöne Verkehrswende-Fahrrad-Demo, die auch vor Gericht erstritten werden musste, weil die Stadt Lüneburg verboten hatte, mit dem Fahrrad über die Autobahn zu fahren.

Und auch wenn wir den Kampf um den Danni (Anm. d. Red.: Dannenröder Wald) verloren haben und der Wald gerodet wurde, so ist das Thema Verkehrspolitik und Verkehrswende in vielen Köpfen nachhaltig gesetzt.

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„Ende Gelände“ wird bestimmt auch wieder aktiv gegen Kohle sein, sobald es wieder geht. Und wenn, dann gibt es wahrscheinlich wieder so einen “bunten Finger” dabei.

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Die Neue Norm ist ein Online-Magazin, das verschiedene Fragen und gesellschaftspolitische Mechanismen behandeln und infrage stellen wird. Besonders wollen wir das Thema Behinderung in einen neuen Kontext setzen; Behinderung findet mitten in der Gesellschaft statt und muss da auch besprochen werden. Egal, ob Politik, Film, Fußball oder Landungen auf den Mars, das Magazin hinterfragt die gesellschaftlichen Normen und denkt Inklusion weiter.

Foto: Barbara Schnell

Cécile Lecomte bei einem Kletter-Workshop für behinderte Menschen im Hambacher Wald im Frühling 2019.

Jonas Karpa, Die Neue Norm

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