Im November könnte Kamala Harris zur ersten Schwarzen Präsidentin der USA gewählt werden. Was oft vergessen wird: Sie wäre auch die erste Person indischer Abstammung auf diesem Posten. Während ihr Vater aus Jamaika einwanderte, kam ihre Mutter Shyamala Gopalan aus dem damaligen indischen Madras (heute Chennai) in die USA, um zu studieren und später Brustkrebsforschung zu betreiben. Warum wird also so viel mehr über Harris jamaikanische Wurzeln gesprochen als über ihre indischen?
Zum einen, weil Schwarze Menschen in den USA eine weit größere Gruppe darstellen, die zudem historisch brutal unterdrückt wurde – und sich beeindruckend gewehrt hat. Die politische Identität, die sie auf diesem schmerzhaften Weg entwickelte, ist so besonders stark ausgeprägt. Zum anderen liegt es daran, dass „die südasiatisch-amerikanische Geschichte in den USA bis heute fast nirgends sichtbar wird“, wie der Leiter des South Asian American Digital Archives, Samip Mallick, es ausdrückt. Schuldig: Auch ich beschäftige mich fast immer nur mit lateinamerikanischer, indigener und Schwarzer Geschichte in den USA. Also los!
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kamen Tausende Inder:innen in die USA. Bald gründeten Indian Americans die „Ghadar“-Bewegung, angelehnt an das Punjabi-Wort für Revolte oder Rebellion. Insbesondere von Kalifornien aus gaben sie antikoloniale Zeitungen heraus und schmuggelten unter anderem Waffffen nach Indien für den – 1948 schließlich erfolgreichen – Widerstand gegen die britische Kolonialmacht.
Auch in der Medizin können Indian Americans beeindruckende Leistungen vorweisen: 1886 war Anandibai Gopalrao Joshi die erste Inderin überhaupt, die – wie später Kamala Harris’ Mutter – in die USA auswanderte und dort gegen alle Konventionen einen Abschluss in Medizin machte. 1968 wurde der in Indien geborene US-Mediziner Har Gobind Khorana als erster asiatischer Nobelpreisträger für seine Zellforschung ausgezeichnet. Und mit Kalpana Chawla flog in den 1990ern die erste indisch-amerikanische Astronautin für die Nasa ins Weltall.
Wenig wissen die meisten auch über die indisch-amerikanische Gegenwart: Von den weißen Tech-Baronen Mark Zuckerberg und Sam Altman liest man häufig, weit seltener von Google-Chef Sundar Pichai und Microsoft-Boss Satya Nadella. Wie die Journalist:innen Nikhil Inamdar und Aparna Alluri für die BBC schreiben: „Obwohl Indian Americans nur ein Prozent der Landesbevölkerung ausmachen, besetzen sie fast alle Tech-Topjobs im Silicon Valley.“
Laut ihrer Recherche tragen dazu mehrere Faktoren bei: Zum einen das hohe Englisch-Level und die herausragende Bildung in MINT-Fächern, die indische Migrant:innen bis heute mitbringen. Zum anderen mache ihr Hintergrund einer extrem vielfältigen und komplexen Kultur mit Hunderten Sprachen sie in einer komplexen Welt zu „geborenen Manager:innen“. Dass sie nur in Medizin und IT brillieren, ist allerdings ein rassistisches Klischee.
Ob die Hollywoodstars Priyanka Chopra und Freida Pinto oder die Politikerinnen Nikki Haley und Kamala Harris: Indian Americans haben sich längst in allen Disziplinen in die Sichtbarkeit gekämpft.
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