Draußen, vor der Fensterfront des Europaparlaments (EP), treibt der Wind die blauen Fahnen auseinander – als wolle er prüfen, wie viel Gezerre die zwölf Sterne aushalten. Dennoch wirkt Brüssel aufgeräumt, diszipliniert: Kein Müll auf den Straßen im Europaviertel, nicht mal ein Bonbonpapier. Ein paar Schritte weiter, auf dem Place du Luxembourg, ranken Krokusse und Märzenbecher aus der taunassen Wiese, ein paar Frühaufsteher:innen schlürfen in den ersten Sonnenstrahlen Kaffee. E-Scooter schlängeln sich durch die Straßen, Ausweise baumeln um die Hälse der Fahrer:innen – die Eintrittskarte zur Weltpolitik. Ein langes blaues Banner verbindet die eine Seite des EU-Parlaments mit den Verwaltungsgebäuden auf der anderen. Darauf die Worte: Democracy in Action. Auch wenn hier draußen nicht viel von Anspannung zu spüren ist, wirkt die EU seit dem Antritt von US-Präsident Donald Trump wie in Schockstarre.
Denn die Ereignisse überschlagen sich: Trump kündigt Europa den Beistand auf, droht mit einem Ausstieg aus der Nato und erhebt Gebietsansprüche auf das Territorium Verbündeter. Die EU könnte einen ihrer wichtigsten Bündnispartner verlieren. Und das, während Putin die Kriegsmaschinerie hochfährt, keine echte Waffenruhe in der Ukraine in Sicht ist, Israel weiter Raketen auf Gaza feuert, China vor Taiwan aufmarschiert. Keine Frage: Die EU muss künftig mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen. Doch wie? Und wer redet da überhaupt mit?
Debattenrunde: Mehr Frauen in der EU-Sicherheitslandschaft?
Drinnen, in einem Raum des verwinkelten Spaak-Gebäudes des EP, benannt nach dem ehemaligen belgischen Ministerpräsidenten Paul Henry Spaak, dominieren normalerweise Anzüge und Krawatten, Männer die über Krieg und Frieden fachsimpeln. Heute sind die Stühle besetzt von Frauen: Politikerinnen, Soldatinnen, Kriegsjournalistinnen. Sie sprechen über Strategien, Risiken, Geld, Abschreckung – und darüber, warum Frauen in diesem Raum immer noch wie eine Ausnahme wirken, statt wie die Regel. Welche Rolle sollen und wollen sie künftig in der Sicherheitslandschaft der EU spielen?
Zusammengekommen sind sie an diesem Mittwoch im März für die „Women In Leadership Conference“, moderiert von der spanischen EU-Abgeordneten Lina Gálvez. Rechts neben ihr am Rednertisch sitzen Oana Lungescu, rumänische Journalistin, ehemalige und erste weibliche Nato-Sprecherin, und Jonna Naumanen, EU-Botschafterin für Gender und Diversity. Auf einer großen Beamer-Leinwand hinter den beiden, die ukrainische Politikerin und Co-Gründerin des ukrainischen Frauenkongresses, Mariia Ionova, zugeschaltet aus Kiev. In den Zuschauerrängen: fast kein Mann. Eingeladen waren Männer genau wie Frauen. Gekommen ist kaum einer.

„Wenn du keinen Platz am Tisch hast, stehst du ziemlich sicher auf dem Menü“, sagt EU-Gender-Botschafterin Naumanen. Was sie damit meint: Wenn Frauen in der Verteidigungspolitik fehlen, dann fehlt auch die Vertretung ihrer Interessen. Dabei ist das so wichtig wie nie, in Europa und anderswo: In Afghanistan werden Frauen wie Objekte behandelt, die USA schränken das Recht auf Abtreibung ein – Rechtsextreme möchten verheirateten Frauen gar das Wahlrecht entziehen –, in Deutschland will die AfD die Frauenquote abschaffen. Immer mehr Frauen und Kinder sind in Kriegen sexualisierter Gewalt ausgesetzt. „In den vergangenen Jahren ist die Zahl drastisch gestiegen“, so Gálvez. Manche Studien sprechen von einem Anstieg von 50 Prozent allein 2023.
Doch: Nur ein kleiner Teil der Medienberichterstattung über bewaffnete Konflikte befasst sich mit Frauen. Eine 2015 von der Weltvereinigung für Christliche Kommunikation (WACC) und UN Women durchgeführte Studie untersuchte Medien in 15 Konfliktländern. Das Ergebnis: Nur 13 Prozent der erwähnten oder interviewten Personen in den Beiträgen waren weiblich. Statt mit ihnen zu sprechen, wird über sie geredet – und das nur als Opfer. „Ein Narrativ, das dringend geändert werden muss“, sagt die Ukrainerin Mariia Ionova auf der Videoleinwand. „Allein in der Ukraine kämpfen 60.000 Frauen, 10.000 davon an der Front“, sagt Ionova.
Frauen machen Friedensschlüsse nachhaltiger
Nicht nur das: Die UN haben seit 2024 eine neue Militärberaterin – die Australierin Cheryl Pierce –, in Israel und Palästina versuchen Vereine wie Women Wage Peace und Women of the Sun, Versöhnung herzustellen. Sie sind für den Friedensnobelpreis nominiert.…
EU-Parlament in Brüssel (li.), Frauen in Uniform (re.): 72 Prozent der deutschen Bevölkerung sind für die Wiedereinführung der Wehrpflicht – fast die Hälfte will auch Frauen verpflichten