2021 hat Deutschland von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) einen Rüffel erhalten: Wir seien im Vergleich zu anderen Industrieländern unverhältnismäßig großzügig zu unseren Gutbetuchten – und zu hart zu den Normalverdiener:innen. Ausnahmen im Erbrecht in Deutschland ermöglichen es Reichen und Unternehmen in Familienbesitz, steuerfrei Vermögen in Millionenhöhe zu vererben, während gleichzeitig Arbeit ungleich hoch besteuert werde.
So werden die Reichen immer reicher: Laut Daten des DIW besitzen die finanzstärksten zehn Prozent der Deutschen mehr als zwei Drittel des gesamten Privatvermögens. Schon zwei Mal wurde unser Erb- und Steuerrecht in den vergangenen 20 Jahren deswegen vom Bundesverfassungsgericht als nicht verfassungskonform gerügt.
Das DIW sieht daher nun in einem vom Staat ausgezahlten „Grunderbe“ von 20.000 Euro einen effektiven Hebel, um mehr Chancengleichheit zu schaffen. Alle Deutschen hätten darauf Anspruch, sobald sie 18 Jahre alt sind. Finanziert werden soll das Grunderbe über eine höhere Erbschaftssteuer oder neue Abgaben auf hohe Vermögen. Das Geld dürften die Jungen jedoch nicht verprassen, sondern nur verwenden, um etwa in die eigene Ausbildung zu investieren, Wohneigentum zu kaufen oder eine Firma zu gründen. Erst durch eine solche Grundsicherung, die der Verschuldung von nicht vermögenden jungen Menschen entgegenwirke, sei man überhaupt erst in der Lage, sich seinen Wohlstand selbst erarbeiten zu können, findet auch der SPD-Politiker Yannick Haan. Der fordert ebenfalls ein Grunderbe. „Dass eine gerechte Gesellschaft auch an Leistung orientiert ist, ist eine urliberale Vorstellung“, sagte er jüngst in einem Interview. Er appellierte an die FDP, die von der SPD vorgeschlagenen Reformen des Steuerrechts mitzutragen, statt sie, wie bisher, völlig unter den Tisch zu kehren.
Grunderbe ab 18: Jede:r sollte die gleichen Chancen haben
Und in der Tat: Ein großes historisches Vorbild für eine Politik des Chancen-Ausgleichs durch höhere Steuern sind ausgerechnet die USA, Mutter des Raubtierkapitalismus. Wie der französische Star-Ökonom Thomas Piketty in seinem Buch „Der Sozialismus von Morgen“ schreibt, galt eine ungleiche Vermögenskonzentration in den Vereinigten Staaten des frühen 20. Jahrhunderts, als „unamerikanisch.“ Jede:r sollte die gleichen Chancen haben. Deshalb führte das Land in den 1910er und 20er Jahren eine progressive Erbschaftssteuer ein. Hohe Steuern auf große Vermögen sollten dabei zunächst vor allem auch den ersten Weltkrieg finanzieren. 1933 kam jedoch der New Deal von Roosevelt, der die USA aus der großen Depression herausholte: Er verlangte von Reichen zunächst einen Höchststeuersatz von 63 Prozent, 1940 lag er bei 94 Prozent. Nach dem Krieg lag er immer noch bei über 50 Prozent. Die Überproduktion des Landes sollte gestoppt, Reichtum umverteilt werden, die Grundlagen eines Sozialstaates wurden geschaffen. Piketty schreibt: auch wenn sie bei weitem nicht perfekt war, die Politik der Umverteilung und progressiven Besteuerung führte dazu, dass der Wohlstand der Mittelklasse wuchs und sollte die USA bis in die 80er Jahre hinein prägen. In den 60ern und 70ern setzte sich sogar der berüchtigte konservative Präsident Richard Nixon für eine Art Bedingungsloses Grundeinkommen ein, um Armut noch effektiver zu bekämpfen.
Bekanntlich folgte daraufhin Ronald Reagan, der den Spieß gewaltig umdrehte und die Steuerprogression halbierte. Laut Piketty wuchs das Nationaleinkommen pro Kopf nach Reagans Politik in den 80er Jahren nur halb so stark wie in den vorangegangenen Jahrzehnten der Spitzenbesteuerung. Stattdessen privatisierte sich das Weltvermögen von Jahr zu Jahr mehr und landete in immer weniger Geldbeuteln. Also vorbei mit der Schonzeit von Superreichen! Piketty will noch weiter gehen als das DIW: Der Ökonom fordert für Frankreich ein Grunderbe von 120.000 Euro pro Person, will gleichzeitig ein Grundeinkommen einführen und die Investitionen in Bildung massiv erhöhen, um eine echte Chancengleichheit zu ermöglichen.
Die Schonzeit für Superreiche sollte vorbei sein, findet das DIW. (Symbolbild).