Nicola Brandt und Helge Peukert im Gespräch

Können wir mit grünem Wachstum die Klimakrise bewältigen?

Wirtschaftswachstum ohne Ressourcenverbrauch und CO₂-Emissionen: Das ist die Idee des grünen Wachstums. Doch führt der Weg aus der Klimakrise? Die Expert:innen sind uneinig: ein Streitgespräch zwischen OECD-Volkswirtin Nicola Brandt und Postwachstumsökonom Helge Peukert.

Der neueste Bericht des Weltklimarates IPCC hat gerade erst gezeigt: Die Erde hat sich bereits um 1,1 Grad erhitzt. Doch die Wirtschaft wächst weiter, der CO₂-Verbrauch steigt. Frau Brandt, können wir mit grünem Wachstum die Klimakrise noch bewältigen?

Nicola Brandt: Wir brauchen eine fundamentale Transformation unserer Wirtschaftsweise, der Mobilität und der Art, wie wir wohnen – keine Frage. Wir müssen auf erneuerbare Energien umsteigen und dürfen bei industrieller Produktion und Mobilität kein CO₂ mehr ausstoßen. Kurz: Wir brauchen Klimaneutralität. Statt von Green Growth spreche ich lieber von gesellschaftlichem Wohlergehen – Wellbeing. Bei der OECD ergänzen wir deshalb das Bruttoinlandsprodukt um Indikatoren wie Gesundheit, Bildung, Wohlbefinden, Umweltqualität. Diese Wohlstandsindikatoren hängen eng mit dem Einkommen zusammen. Wer in einem reichen Land lebt, hat größere Chancen, gesund, gebildet und zufrieden zu sein. Ohne Wachstum können wir Wohlstand nicht erhalten.

Herr Peukert, was halten Sie davon?

Helge Peukert: Klingt schön, wird aber nicht reichen: Wir müssen die Wirtschaft brutal schrumpfen, Netto-Null-Emissionen. Der Ressourcenverbrauch muss um 70 Prozent zurückgehen. Anders geht es nicht. Wenn die Parteien, die jetzt als Umweltschützer auftreten, einen grünen Wachstumskurs vor 30, 40 Jahren vorgeschlagen hätten, hätte das Restbudget vielleicht noch für eine grüne Wachstumsstrategie gelangt. Heute tut es das nicht mehr. Alle Statistiken zeigen, dass der CO₂-Ausstoß weltweit nur sinkt, wenn die Produktion sinkt. Laut IPCC-Bericht können wir – bei weltweit gerechter Gleichverteilung – in Deutschland nur noch 2,4 Gigatonnen CO₂ ausstoßen, wenn wir die 1,5-Grad-Grenze nicht überschreiten wollen. In drei, vier Jahren ist das überschritten.

Wie wollen Sie denn das Wachstum um 70 Prozent drosseln?

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Helge Peukert: Indem wir eine Art Kriegsökonomie starten, wir führen ja gerade Krieg gegen die Natur, befinden uns also in einer absoluten Notlage. In den Weltkriegen ist es, zum Beispiel in den USA, in kürzester Zeit gelungen, mit planwirtschaftlichen Methoden systematisch ganze Industriebereiche umzustellen. Wir müssten in den nächsten fünf Jahren Pkw weitgehend abschaffen. Millionen Arbeitslose werden sich nicht vermeiden lassen, Corona war da nur eine Vorübung.

Brandt: Worin ich Ihnen zustimme: Wir sind nicht auf dem richtigen Pfad, aber wie wollen Sie denn solche Maßnahmen in einem demokratischen Staat durchsetzen? Und was wollen Sie den fünfzig Prozent der Weltbevölkerung sagen, die heute von weniger als sieben Dollar pro Tag leben? Bleib so arm, wie du bist? Wenn das Pro-Kopf-Einkommen weltweit nicht mehr steigen darf, sogar schrumpfen soll, können wir höchstens noch umverteilen. Dann müssten 85 Prozent der Menschen in den Industriestaaten einen großen Teil ihres Einkommens abgeben. Sie fordern eine unglaubliche Verzichtsleistung …

Peukert: … die unvermeidbar ist. Mit CO₂-Atomen kann man nicht diskutieren. Und wenn ich den Menschen in Bangladesch sage, ihr könnt in den nächsten drei, vier Jahren ein Motorrad kaufen, aber in zehn werden dafür eure Städte weggespült sein, ist auch nichts gewonnen. Das ist alles schwer vermittelbar, aber ich bin Wissenschaftler.

Nicola Brandt

…ist seit 2019 Leiterin des Berlin Centre der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). In der OECD sind 38 Staaten weltweit vertreten, um sich über Strategien für die Weiterentwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft auszutauschen. Brandt ist promovierte Volkswirtin. Sie hält eine grüne Ökonomie für den besten Weg aus der Klimakrise.

Helge Peukert

…ist Professor für Plurale Ökonomik an der Universität Siegen. Peukert vertritt die Idee einer Postwachstumsökonomie, in der die Bedürfnisse einer Gesellschaft ohne Wachstum befriedigt werden. Er hält Degrowth für den Schlüssel zur Bekämpfung der Klimakrise. Im Juli erschien sein neues Buch Klimaneutralität jetzt!.

Brandt: Aber das löst das Problem doch gar nicht. Selbst wenn wir die Wirtschaft radikal herunterfahren, würden wir weiterhin Ressourcen verbrauchen und CO₂ ausstoßen, nur auf niedrigerem Niveau. Wir müssen Ressourcenverbrauch und Wirtschaftsleistung entkoppeln – mit oder ohne Wachstum. So oder so geht das nicht ohne ungeheure Investitionen in Infrastruktur und Innovationen. Wir brauchen eine Vision. Die italienische Ökonomin Mariana Mazzucato nennt das Mondlandungsmentalität.

Peukert: Noch verursacht die Produktion einer Batterie für ein E-Auto rund 15 Tonnen CO₂. Wasserstoff etwa kann in einigen Bereichen sicher sinnvoll sein, wird sich aber erst in zehn, zwanzig Jahren durchsetzen können. Ich halte es für einen Irrglauben, mit technischer Innovation in der kurzen Zeit auch nur annäherungsweise so viel erreichen zu können, wie nötig wäre.

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Brandt: Das stimmt doch nicht. Sie unterschätzen die Innovationskraft der Wirtschaft. Ein Beispiel: Als der Club of Rome 1972 von den „Grenzen des Wachstums“ sprach, war das keineswegs eine normative Aussage – Wir sollen nicht mehr wachsen – sondern eine Feststellung: Wir können es de facto in einer Welt mit endlichen Ressourcen nicht. Aber das war ein Irrtum. Die Energieeffizienz stieg durch neue Technologien, wir fördern immer noch Rohstoffe und es gibt immer noch Wachstum.

Auch bei Good Impact: Klima als entscheidendes Wahlthema: Lösungen sind da, der Neustart muss radikal sein

Herr Peukert, Sie schlagen nun eine Postwachstumsökonomie vor. Wie wollen Sie diese organisieren?

Peukert: Die Arbeitslosen, die es geben wird, wenn die Wirtschaft drastisch schrumpft, finanzieren wir mit Schenkgeld der Europäischen Zentralbank, das sie der öffentlichen Hand ohne Rückzahlungsverpflichtung zur Verfügung stellt. So bauen wir einen dritten ökosozialen Arbeitssektor auf. Zudem müssen wir endlich unsere Konsummuster ändern. Wir wissen doch schon lange, dass Teilen oft viel besser wäre als individueller Konsum. Heute kauft sich jeder einen Rasenmäher, genauso gut könnten sich zehn Leute einen teilen. Und warum nutzen wir nicht die vielen guten Lösungen, die längst Praxis sind? Wie das türkische Dolmus-System. Das ist ein Netz von Kleinbussen auch im ländlichen Raum, die Passagiere fast im Minutentakt überall ein- und aussteigen lassen. Vielleicht könnten wir solche Kleinbusse sogar selbstfahrend herstellen.

Brandt: Da sind viele kleine Lösungsansätze dabei, gegen die ich nicht unbedingt etwas habe. Nur erreichen wir damit allein nicht die Entkopplung, die wir brauchen. Auch der Dolmus stößt CO₂ aus. Es geht nicht um das Wachstum des BIP, sondern um CO₂-Ausstoß und den Verbrauch anderer Ressourcen, den wir zurückfahren müssen. Nochmal: Diese Entkopplung ist der Schlüssel.

Bisher allerdings fressen Rebound-Effekte die Effizienzgewinne auf. Die CO₂-Emissionen im deutschen Straßenverkehr sind 2020 im Vergleich zu 1990 um vier Prozent gestiegen. Autos werden effizienter, aber größer und schwerer, die Menschen fahren mehr.

Brandt: Deshalb müssen wir CO2 und Umweltgüter konsequent bepreisen, das diskutieren wir ja seit sehr langer Zeit. Dass es funktionieren kann, zeigt Schweden. Es hat schon in den 1990er-Jahren CO2 bepreist, heute steht das Land in Sachen Energieeffizienz bei Gebäuden europaweit ganz vorn, vor allem durch den Ausbau von Fernwärme. Wenn Güter durch die Bepreisung teurer werden, müssen wir das natürlich sozial abfedern.

Peukert: Der Preis für eine Tonne CO2 müsste laut Bundesumweltamt zur Internalisierung der berechneten Schadenswirkung bei 200 Euro liegen, aber er ist gerade auf 25 Euro festgelegt. Was wäre los, wenn wir tatsächlich einen solchen Preisaufschlag durchzögen? Ich habe übrigens folgenden Vorschlag: Statt Investitionsschutzabkommen mit Ländern zu treffen, die systematisch globale Naturgüter zerstören, sollten wir einen konsequenten Importstopp ihrer Güter beschließen. Wenn Brasilien den Regenwald abholzt, führen wir etwa keine Sojabohnen aus dem Land mehr ein. Der europäische Emissionshandel hat ein großes Problem: Wenn man hier Öl teurer macht und so den Erdölverbrauch rasch reduziert, dann wird Öl auf dem Weltmarkt billiger. Umso schneller werden die Erdölländer ihre Schätze fördern, um noch Geld damit zu verdienen.

Wie wollen Sie das verhindern?

Peukert: Indem wir ein internationales Kartell mit den Förderländern aufziehen und ihnen einen gesicherten Abnahmepreis für Öl über fünfzig Jahre garantieren. Voraussetzung: Das Öl bleibt im Boden. In Französisch-Guayana sind gerade neue Ölfelder entdeckt worden. Den Menschen müsste man einen Handel anbieten – ihr bekommt, sagen wir, drei Milliarden Euro und lasst nicht fördern. Tatsächlich ist jetzt aber ein Ölmulti dort und wird bald täglich bis zu einer Million Barrel Öl hochpumpen.

Brandt: Ärmere Länder beim Erhalt von Umweltgütern, etwa durch Verzicht auf Waldrodung oder Ölförderung, zu unterstützen, ist ein interessanter Vorschlag. Er gehört in den Instrumentenkasten.

Peukert: Trotzdem fehlt es an innovativen Ideen und den richtigen Förderungen. Warum subventionieren wir nicht massiv den Schienenverkehr in Europa? Dafür bräuchten wir bessere Strecken und technologische Superprojekte wie den japanischen Shinkansen Schnellzug. Mit dem wäre man in fünf Stunden von Frankfurt in Athen. Stattdessen wird jedenfalls in Europa immer noch der Flugverkehr gepäppelt.

Brandt: Der Shinkansen ist eine charmante Idee. Allerdings produzieren Sie auch mit dieser Investition Wirtschaftswachstum.

Peukert: Ich habe noch mehr. Warum schafft die Europäische Union nicht endlich ein sicheres europäisches Internet, damit wir uns auch dienstlich abhörsicher unterhalten können, statt Dienstreisen zu machen. Aber Europa ist hasenfüßig.

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Brandt: Ein sicheres Internet reicht nicht. Auch die Computer, über die wir kommunizieren, wenn wir keine Geschäftsreisen mehr machen wollen, müssten von erneuerbaren Energien betrieben werden. Ich sehe daher immer noch keine Alternative zu Investitionen in neue Technologien, einer schnell steigenden CO2-Bepreisung und einer konsequenten Bepreisung der Nutzung von Naturgütern, wie Luft und Wasser, um einen nachhaltigen Ressourcenverbrauch zu sichern. Solche Maßnahmen können das Wachstum durchaus zunächst verlangsamen, aber dafür ist es in einer Green Economy dauerhaft nachhaltig. Je länger wir warten, desto teurer wird es allerdings.

Peukert: Ich habe Zweifel, dass unser politisches System das bei den gegebenen Mehrheiten hinbekommt. Deshalb gehe ich am Freitag mit Fridays for Future demonstrieren.

Dieser Text erschien in der Ausgabe August/September 2021 mit dem Titel „Schatzinseln: Diese Orte zeigen uns, wie wir den Kampf gegen die Klimakrise meistern“. Das aktuelle Heft könnt ihr hier kaufen.

FOTOS: PRIVAT

Um die Klimakrise zu bekämpfen, muss viel getan werden – und zwar schnell, da sind sich Nicola Brandt und Helge Peukert einig. Auf die Frage, welche Maßnahmen dafür nötig sind, haben sie aber unterschiedliche Antworten.

Anja Dilk

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