Vier-Tage-Woche in Deutschland

„Das kann bis Montag warten“

In Dresden haben eine Kreativagentur und ein Beratungsunternehmen die Vier-Tage-Woche eingeführt. Wie gut funktioniert das Modell – auch in der Coronakrise?

Eine Massage pro Monat, ein bezahltes Sabbatical alle fünf Jahre und eine Vier-Tage-Arbeitswoche bei Vollzeit-Gehalt. So liest sich eine aktuelle Stellenausschreibung der Microscape Recruitment Limited Group, kurz MRL. Das Headhunting-Unternehmen kommt aus dem Vereinigten Königreich, hat aber auch Standorte in Frankreich und Deutschland. „Die Benefits gelten auch in Zeiten der Coronakrise“, sagt Enrico Rudnick, Niederlassungsleiter in Dresden, am Telefon. „Wir drücken unseren Leuten sogar einen Fluggutschein für ihr Sabbatical in die Hand.“ Er wirkt für eine Führungskraft erstaunlich ausgeglichen. „Ich habe mich selbst durch die Vier-Tage-Woche ziemlich verändert. Früher habe ich jedes Wochenende gearbeitet, jetzt bleibt mein Laptop zu“, erzählt Rudnick „Ich gehe häufig mit meiner Frau und Freunden am Freitag in die Sächsische Schweiz wandern. Vor allem ist es aber ein Tag, an dem ich mir Zeit für mich nehme.“

Zufriedener im Alltag und erhöhte Konzentration

Die Idee, bei MRL eine Vier-Tage-Woche bei vollem Gehalt einzuführen, kam von Rudnick selbst. Er wollte neue Wege gehen, um das Wohlbefinden der Mitarbeiter:innen zu verbessern. Bei seinen Recherchen stieß er zufällig auf Studien, die zeigten: mit der Vier-Tage-Woche könnte das funktionieren. So kam 2019 ein Versuch von Microsoft Japan zur Vier-Tage-Woche zu dem Ergebnis, dass die verkürzte Arbeitszeit nicht nur zu mehr Wohlbefinden bei den Mitarbeiter:innen führt, sondern auch zu einer Produktivitätssteigerung von bis zu 40 Prozent. Allerdings währte der Versuch nur einen Monat und wurde nicht von einer unabhängigen, wissenschaftlichen Institution durchgeführt. Auch andere experimentieren mit der Vier-Tage-Woche. Das britische Unternehmen Unilever in Neuseeland erprobt sie ein Jahr lang seit Dezember 2020 – bei vollem Gehalt. Die Auswertung übernimmt die University of Technology Sydney in Australien.

Als Rudnick in einem Management-Meeting bei MRL einen eigenen Versuch zu dem Thema vorschlug, erntete er zunächst nur mildes Gelächter. „Die konnten sich das überhaupt nicht vorstellen.“ Aber seinen britischen CEO ließ der Gedanke nicht los. Mit dessen Support begann Rudnick an einem Konzept zu arbeiten. 2019 schließlich bekam er das Go: Das Modell sollte ein halbes Jahr lang getestet werden, in Großbritannien, Frankreich und Deutschland und mit dem Freitag als festem freiem Tag. Ausgewertet wurde der Versuch im Herbst 2019 in einer internen, anonymen Befragung. Das Ergebnis: 75 Prozent der Mitarbeiter:innen fühlten sich nach dem Drei-Tage-Wochenende im Alltag zufriedener. 35 Prozent gaben an, dass sie sich bei der Arbeit besser konzentrieren konnten. Obwohl ein Tag der Arbeitswoche nun wegfiel, sagte zudem ein Fünftel an, das gleiche Arbeitspensum zu schaffen wie zuvor an fünf Tagen. Der Rest schaffte 80 bis 90 Prozent des normalen Pensums.

Mehr Zufriedenheit

Bei einer anonymen Befragung während eines Modellversuchs gaben 75 Prozent der Mitarbeiter:innen an, sich nach einem Drei-Tage-Wochenende im Alltag zufriedener zu fühlen.

Seit Ende 2019 ist die Vier-Tage-Woche bei MRL nun unbefristet in Kraft. Finanzielle Einbußen gibt es laut Rudnick nicht – wegen der massiven Effizienzsteigerung der Angestellten. „Um das zu erreichen, mussten wir natürlich einiges an den Strukturen ändern: deutlich weniger Meetings, kürzere Kaffeepausen, effektivere Prozesse“, sagt Rudnick. Interne Dokumente des Unternehmens nennen als Maßnahmen unter anderem: Nach einem Feiertag wie Ostermontag muss die Belegschaft als Ausgleich am sonst freien Freitag arbeiten. Termine wie das Montagmorgen-Meeting werden strikt auf 15 Minuten begrenzt. Entsteht da nicht viel Leistungsdruck? Rudnick: „Der Schwatz in der Küche hat abgenommen, am Anfang war das wirklich zu viel. Die Leute haben sich Druck gemacht, dasselbe Pensum zu erfüllen. Auch weil sie dieselbe Menge an Boni erhalten möchten.“ Mittlerweile habe sich der neue Alltag eingependelt, das Stresslevel sei spürbar runtergegangen.

Bessere Konzentration

35 Prozent der befragten Personen des Modellversuchs, konnten sich in der Vier-Tage-Woche besser bei der Arbeit konzentrieren.
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Vier-Tage-Modell in der Pandemie

„Die Leute haben durch das lange  Wochenende mehr Power und können sich die Arbeit nun aufteilen, ohne dabei völlig gestresst zu sein“, so Rudnick. „Wenn es doch mal mehr zu tun gibt, dann arbeitet man – auch ich – eben mal ein bisschen am Freitag. Aber das ist freiwillig.“

So ähnlich handhabt das laut den Auswertungen der MRL jede:r Dritte im Unternehmen: fast 30 Prozent gaben an, regelmäßig ein paar Stunden am Freitag zu arbeiten. Auch Heiko Riemer, der seit 2015 als Berater für MRL tätig ist, verteilt insbesondere seit dem Beginn der Pandemie seine Arbeitszeit regelmäßig auf fünf Tage. „Das hat auch damit zu tun, dass ich am Freitag gerade ohnehin nichts anderes machen kann. Nur Wandern und Fahrrad fahren ist halt irgendwann ausgelutscht.“ Dennoch nutze er den Freitagnachmittag regelmäßig, um seinen Neffen aus dem Kindergarten abzuholen. „Als die Kita geschlossen hatte, habe ich den Kleinen auch mal den ganzen Tag zu mir genommen, um meine Schwester zu entlasten.“  Für Riemer ist der größte Vorteil der verkürzten Arbeitswoche die viele Zeit fürs spontane Reisen. „Für einen Wochenendausflug muss ich nicht extra am Freitag Urlaub nehmen.“

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Manager Rudnick ist stolz darauf, dass er das Vier-Tage-Modell auch während der Coronakrise aufrechterhalten konnte. In Großbritannien und Frankreich mussten die Mitarbeiter:innen freitags wieder bis mittags arbeiten, weil die Aufträge im ersten Lockdown einbrachen. „Ich habe mich dagegen gewehrt. Es wäre unfair, denn die Leute sind jetzt in ihrem Rhythmus und schaffen an vier Tagen genausoviel wie davor an fünf. Wenn du ihnen jetzt sagst, arbeite noch am Freitag, dann wäre das für sie jetzt praktisch wie eine Sechs-Tage-Woche.“

Effizienz maximieren oder Arbeitszeit reduzieren? 

Die MRL hat ihren Sitz im Herzen Dresdens, nur ein paar Minuten zu Fuß vom Residenzschloss. Steigt man dort in die Tram und überquert die Elbe, kommt man nach etwa 25 Minuten zum Büro der Frischen Fische. So heißt die PR-Agentur des Unternehmers Jan Eppers. Die Company ist auf die Tech-Branche spezialisiert und betreut Kund:innen wie den sicheren Mailprovider Mailbox.org. Eppers hat als einer der ersten in Deutschland die Vier-Tage-Woche langfristig etabliert.

Von der Effizienzmaximierung, die den MRL-Mitarbeitenden das Drei-Tage-Wochenende ermöglicht, hält er nichts. Auch den Modellversuch der spanischen Regierung, die demnächst im ganzen Land die Vier-Tage-Woche bei vollem Gehalt testen und staatlich subventionieren will, sieht er kritisch. „Wenn man den weggefallenen Tag durch eine höhere Produktivität auffangen wollte, müsste man sie dauerhaft um zwanzig Prozent steigern“, sagt Eppers. „Das wäre eine pure Kapitalistenperspektive und sehr schwer umzusetzen, ohne dabei Mitarbeitende zu zwingen, ihren Alltag stark zu kontrollieren. Ich könnte meinem Team nicht sagen: Ihr müsst alles 20 Prozent schneller machen. Kreativität braucht Zeit, in der Teeküche werden die besten Ideen geboren.“ Deshalb ist Eppers Modell flexibler: Zwar bekommen Angestellte, die 32 Stunden pro Woche an vier Tagen arbeiten, auch nur ein 32-Stunden-Gehalt. Aber sie können auch 40 Wochenstunden auf vier Tage verteilen. Wem das zu stressig ist, der kann seine Arbeitszeit jederzeit wieder reduzieren. Die meisten Mitarbeitenden sind nach zwei Jahren auf 36 oder 32 Stunden runtergegangen. Bislang hat Eppers, wie er sagt, jeden Wunsch nach weniger Arbeitszeit erfüllt. „Mich überrascht immer, wenn ich gefragt werde, ob dieses ständige Wechseln nicht ein großer Verwaltungsaufwand sei. Man muss doch nur mal eben der Krankenkasse Bescheid sagen, das war’s.“ Auch der freie Wochentag ist nicht festgelegt, manche haben lieber mittwochs oder montags frei. Der Preis für diese Flexibilität: Manchmal muss die Agentur neue Projekte absagen, weil nicht genug Kapazitäten da sind. Eppers: „Das ist zwar schade bei einem spannenden Auftrag, aber was wäre die Alternative? Dass man unglückliche Mitarbeiter:innen hat.“

Die Agentur war von der Coronakrise stark betroffen, das Team musste mehrere Monate lang in Kurzarbeit. „Jetzt muss ich wieder mehr reinstecken, um unsere Verluste wettzumachen. Einige Kolleg:innen haben von sich aus aufgestockt, weil sie nach der Kurzarbeit Lust und Kraft dazu hatten“, sagt Eppers. „Andere sind durch die Krise so belastet, dass sie nicht 100 Prozent geben können und das ist auch völlig okay. Ich erwarte das gerade von niemandem.“ Ob er sich selbst überhaupt noch jeden Freitag freigibt? „Ich schaffe es tatsächlich fast nie“, sagt Eppers. „Mit drei Kindern zu Hause ist einfach immer soviel los, dass ich am Freitagmorgen dann doch im Büro sitze.“

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„Man hat viel mehr Ruhe für die Dinge“

Neben dem Dresdner Büro der Agentur gibt es noch einen Ableger in Berlin, geleitet von Celia Gastaldi-Höppner. Unseren Videocall nimmt sie in ihrem Schlafzimmer entgegen. Ihr Sohn stünde vor der Tür, entschuldigt sie sich und ruft ein paar freundliche Anweisungen auf Italienisch in den Flur hinaus. Der Junge zieht ab.

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Gastaldi-Höppner arbeitet schon seit zehn Jahren für die Frischen Fische. Seit Herbst 2020 nur vier Tage pro Woche. „Nach dem letzten Lockdown war ich so ausgebrannt, jetzt brauche ich etwas Zeit für mich.“ Ihre Tochter geht in die Notbetreuung, ihr Sohn darf noch in die Kita. Gastaldi-Höppner genießt es, endlich Zeit zu haben, allein spazieren zu gehen und mit Freund:innen zu telefonieren. Doch sie macht an ihrem freien Tag auch viel für andere. Ein Ehrenamt in der Kita, ein kranker Vater, um den sie sich kümmern muss und der 600 Kilometer entfernt wohnt. Und am Freitag sind die Kinder nachmittags schon wieder zu Hause. Viel Luft bleibt nicht. Dennoch: „Allein, dass ich am Freitag entspannt einkaufen oder mal zu Ikea fahren kann, ist toll. Man hat viel mehr Ruhe für die Dinge.“

Versuchen Kund:innen sie nicht ständig an ihrem freien Tag zu erreichen? „Bei uns wird klar kommuniziert, wann wir unseren freien Tag haben und dass wir dann nicht erreichbar sind. Wenn Kunden dann doch mal anrufen, checken sie es sofort und entschuldigen sich: Oh sorry, du hast ja frei“, sagt Gastaldi-Höppner. Auch Enrico Rodnick von MRL geht ans Telefon, wenn er freitags angerufen wird, auch wenn durch klare E-Mail-Signaturen eigentlich verhindert werden soll, dass das passiert. „Ich sage dann freundlich, dass ich mich gerne kümmere, wenn es ein Notfall ist. Und fast immer sagt der Kunde dann: Das kann bis Montag warten.“

Bild: IMAGO / Ikon Images

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Morgane Llanque

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