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Kann es noch einen Exit vom Brexit geben?

Das Vereinigte Königreich entfernt sich immer weiter von der EU. Nun sprechen sich sogar Konservative für eine Rückkehr aus. Wie realistisch ist das Szenario? Ein Gespräch mit Emma Knaggs von der Organisation European Movement.

Frau Knaggs, die Organisation European Movement ist eine der ältesten proeuropäischen Bewegungen der Welt. Sie wurde in den 1940ern unter anderem von Winston Churchill gegründet. Er träumte von den Vereinigten Staaten von Europa. Wie weit sind wir heute davon entfernt?

Emma Knaggs: Sehr weit, fürchte ich. Angesichts der jüngsten britischen Geschichte ist jedoch die Tatsache, dass unser Mitgründer Churchill für den größten Teil seines Lebens ein Konservativer war, extrem spannend. Die Geschichte des proeuropäischen Engagements im Vereinigten Königreich ist eine Geschichte der Konservativen. Und so war auch unsere Organisation, die ja international aufgestellt ist, hierzulande lange ein konservativ geprägter Verband.

Dann kam der Brexit.

Knaggs: Genau. Europa wurde ein Labour-Thema, der Brexit das Steckenpferd der konservativen Torys. Und European Movement wurde zu einer Organisation, die Kampagnen macht, während sie vorher vor allem Lobbyarbeit im Parlament betrieb. Das ist heute auch noch ein wichtiger Teil unserer Arbeit, aber wir sind viel mehr zu einer Grassroots-Organisation geworden, in der ganz normale Menschen in ihren Communitys für bessere Beziehungen zu Europa, ein besseres Verständnis unserer europäischen Identität und einen Wiedereintritt in die EU kämpfen.

Emma Knaggs ist die stellvertretende Geschäftsführerin des britischen Zweigs von European Movement. Die Organisation setzt sich seit 70 Jahren für die europäische Integration ein.

Nach der Ankündigung des Referendums galt es lange Zeit in den Rängen der Torys als völlig undenkbar, sich proeuropäisch zu positionieren. Nun sprechen Torys wie der ehemalige Minister David Gauke auf der Parteikonferenz im Oktober 2023 davon, seit dem Brexit „auf der falschen Seite zu sein“. Das Tabu scheint zu bröckeln.

Knaggs: Auf der diesjährigen Parteikonferenz der Torys waren wir erstaunt, wie viele der Teilnehmenden zu unseren Veranstaltungen und Talks gingen. Sie sagten uns, dass sie froh seien, mit uns über Europa zu sprechen. Es sind diese leisen Gespräche, in denen klar wird, wie viele Konservative, auch Mitglieder des Parlaments, verstehen, dass der Brexit nicht funktioniert – dass es eine schlechte Idee war.

Warum konkret war es eine schlechte Idee?

Knaggs: Neben dem wachsenden Populismus und der misslichen Wirtschaftslage unseres Landes, die natürlich auch vom Ukraine-Krieg und der Pandemie mitverursacht worden sind, sehen wir vor allem das Problem der neuen Grenzen. Wir haben gerade eine Umfrage unter 1.800 Unternehmen im Vereinigten Königreich durchgeführt. Die meisten von ihnen sprachen vor allem über die Komplexität des Papierkrams, der nun für den Import und Export erforderlich ist. Viele mussten schließen, weil die Hürden zu groß waren. Das ist ironisch, weil es ein Hauptversprechen des Brexits war, die Berge der europäische Bürokratie zu beseitigen, während der Austritt in Wirklichkeit zu viel mehr Bürokratie geführt hat. Ein anderes Problem ist das Verschwinden der europäischen Arbeitskräfte, die einen wichtigen Beitrag zur Wirtschaft geleistet haben. Jetzt ist es für sie sehr schwierig geworden, ein Visum zu bekommen. Außerdem haben wir das Erasmus-Programm verlassen und nun kommen kaum noch europäische Studierende und Auszubildende ins Vereinigte Königreich. Warum sollten sie auch? Es ist unglaublich teuer und kompliziert.

Gibt es Ihrer Meinung nach einen Weg zurück? Zumindest ins Erasmus-Programm?

Knaggs: Ja, insbesondere unsere Jugendorganisation arbeitet derzeit an einer entsprechenden Kampagne. Es gibt keine politischen Argumente für den Austritt, denn man muss kein Mitglied der EU sein, um an Erasmus teilzunehmen! Unsere Jugend verliert damit den Zugang zu einem der wichtigsten Austauschprogramme der Welt und es wird dazu führen, dass noch weniger qualifizierte Arbeitskräfte aus dem europäischen Ausland zu uns kommen. In unseren Kampagnen schaffen wir durch Medienarbeit und Petitionen Aufmerksamkeit für dieses Thema, suchen Gespräche mit Vertreter:innen aus Bildung und Politik.

Was sind, neben der Rückkehr in die EU, weitere Ziele der European Movement?

Knaggs: Wir wollen verhindern, was wir „weitere Brexits“ nennen, dafür sorgen, dass sich unser Land nicht noch weiter von europäischen Werten und Standards entfernt. Im Moment ist das zum Beispiel konkret der …

Foto: Unsplash / Rocco Dipoppa

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