Bereits 1903 segelte zum ersten Mal ein Mensch mit einem am Boot montierten Drachen über den Ärmelkanal. Auch als Lastenheber wurde die Windkraft per Drachenzug immer wieder ins Spiel gebracht – oder zur ressourcenschonenden Unterstützung riesiger Tanker auf den Weltmeeren. Das billige Öl und die üppig vorhandene Kohle ließen aber immer wieder Ambitionen, damit auch kontinuierlich Strom zu erzeugen, verpuffen. Drachen blieben lediglich als Spiel- und Sportobjekte übrig. Das unglaubliche Potenzial der sauberen Energieform hielt Erfinder aber nicht vom Träumen ab.
100-mal könnte man theoretisch die ganze Erde mit Strom aus Windenergie versorgen, heißt es auf der Startseite von Makani, das die bisher fortschrittlichsten Farb (FWK) entwickelt hat. Dennoch spiele die Windkraft im globalen Strommix mit vier Prozent derzeit eine untergeordnete Rolle, erklärt X, die Forschungsabteilung des Google-Mutterkonzerns Alphabet, seine langjährige Unterstützung für Makani. Da brauche es mehr, ist die Überzeugung.
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2020 dann der Schock: Für Alphabet war das Geschäftsmodell nicht rentabel, die Unsicherheiten waren zu groß. Man gab Makani auf. Noch ist das Ende der Firma nicht besiegelt – ein Rückschlag für die Industrie ist es allemal. Also alles zurück zum klassischen Windrad?
Kleine Vorrichtung am Boden statt Betonsockel
In der heutigen Form sind die riesigen, schweren und lauten Windräder Anrainern oft ein Dorn im Auge. Dies versuchte man über die Errichtung von Windparks auf entlegenen Plätzen oder hoher See zu lösen. FWKs hingegen sind nur durch eine kleine Vorrichtung am Boden verankert, was riesige Betonsockel, wie bei Windkraftwerken üblich, obsolet macht – ebenso die riesigen Masten und Rotorblätter.
Die Energiegewinnung erfolgt je nach Modell entweder am Boden oder direkt in der Luft. Im ersten Fall wird ein Drache mittels Nutzung von Wind und Thermik so lange ausgerollt, bis das Kabel sein Ende erreicht. Beim Ausrollen erzeugt die Winde deutlich mehr Energie als beim Einholen dank ergonomischer Flugmanöver, sodass der Überschuss in ein Stromnetz eingespeist werden kann.
Weit seltener in Bodennähe – und damit sichtbar – würden jene Systeme operieren, die an Bord Energie generieren.
In Helikoptermanier steigen diese FWKs mehrere Hundert Meter senkrecht empor, ehe sie versuchen, in Windrichtung so viel Windenergie wie möglich aufzufangen und damit Rotoren zu betreiben. Im Gegensatz zu den starren Windrädern können diese jederzeit variabel in jene Höhen fliegen, wo gerade der Wind ordentlich bläst, und so ein gängiges Argument von Windkraftgegnern widerlegen. Vorausgesetzt, das Kabel ist lang genug und nicht zu schwer.
Fliegende Computer
Ein großer Vorteil solcher Systeme besteht darin, dass sie nicht nur die aufprallende Windenergie, sondern auch den Fahrtwind nutzen. Die meisten Systeme planen dafür eine kreisförmige oder eine Achterflugbahn ein. Für die Nutzung extrem starker Jetstreams in mehr als zehn Kilometer Höhe und mit Windgeschwindigkeiten, die regelmäßig rund 500 km/h erreichen, sind die technischen Voraussetzungen leider noch in weiter Ferne.
Aber warum kam man nicht schon früher auf diese Idee? Die Pläne existierten tatsächlich schon länger. Erst die Fortschritte bei Autopiloten und immer schlaueren Algorithmen, die schnelles Navigieren erlauben, brachten entscheidende Fortschritte und neue Firmen.
Das Münchner Start-up Kitekraft ist eines dieser jungen Wilden. Die vier Firmengründer sprechen von einem “Computer mit Flügeln”, wenn sie von ihrer fliegenden Windkraftanlage erzählen. Das Team hat im Sommer 2020 seinen ersten großen Testflug erfolgreich durchgeführt. Der zweieinhalb Meter breite Prototyp ist halb so groß wie jenes Modell, das später mit einer Leistung von 20 Kilowatt in Massenproduktion gehen soll.
Der Kite soll besonders in entlegenen Regionen als Microgrid eine umweltfreundliche Alternative zu Diesel- und ¬Benzinmotoren agieren. Als der Standard Co-CEO Florian Bauer am Telefon erreicht, sitzt dieser gerade daran, Flugprofile zu optimieren. Schon nächstes Jahr will man mehrere Kites über Wochen 24/7 autonom über München kreisen lassen.
Man gibt sich optimistisch, die Leistung mit größeren Drachen relativ bald auf 100 und 500 Kilowatt hochskalieren zu können. Auch im Windkanal wird dafür fleißig getestet. Sehr langfristiges Ziel sind FWKs mit zehn Megawatt, genug um über 5.000 Haushalte mit Strom zu versorgen. Dies entspräche in etwa den aktuell leistungsstärksten Windenergieanlagen, die offshore, also auf dem Wasser, mit Rotorendurchmessern von 200 Metern operieren.
Jahrzehntelange Forschung
Möglich ist das, weil man nur auf die effizientesten Teile eines Windkraftwerks, die äußeren Rotorenspitzen mit der größten durchstrichenen Fläche setzt und den Rest weglässt. Langfristig will man dadurch eine Kostenreduktion von 50 Prozent erreichen und Strom aus Windenergie auch dann noch sehr günstig anbieten, wenn die Förderungen wegfallen – wie in Deutschland schon 2021 der Fall.
Auch nach jahrzehntelanger Forschung heben FWKs noch nicht regelmäßig ab. Ihr Einsatz braucht freilich auch Flugverbotszonen, um Kollisionen zu verhindern und Konzepte, um Vögel zu schützen. Kitekraft schaltet diesbezüglich noch kurzerhand auf einen Standbymodus, sobald sich ein Vogelschwarm abzeichnet. Langfristig brauche es aber auch dafür bessere Lösungen. Keine unlösbaren Probleme.
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Dieser Text erschien zuerst in Edition Zukunft von Der Standard, dem Online-Magazin über das Leben und die Welt von morgen.Spielen auch bei der Entwicklung von Flugwindkraftwerken eine Rolle: Drachen (Symbolbild).