Auf dem Weg zu einer klimafreundlicheren Produktion wird grünem Wasserstoff oft eine Schlüsselrolle zugeschrieben. Bei vielen Experten herrscht die Überzeugung, dass es ohne die Technologie nicht geht. Noch zu Beginn des Jahres gab es aus der energieintensiven Stahlindustrie allerdings den Ruf nach politischer und finanzieller Hilfe, um einen Beitrag zur CO2-Minderung überhaupt leisten zu können. Reicht die neue Wasserstoffstrategie der Regierung und der im Konjunkturpaket der Bundesregierung reservierte Betrag von neun Milliarden Euro als Antwort aus?
Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) besuchte am 13. Juli den Stahlkonzern Salzgitter in Niedersachsen. Mit dabei hat sie den Abgeordneten Stefan Kaufmann, seit wenigen Tagen Innovationsbeauftragter „Grüner Wasserstoff“ im Ministerium. Wichtiger als dieser Titel scheint aber die Botschaft dahinter. Denn die Personalie ist Teil der neuen nationalen Wasserstoffstrategie, mit der Deutschland bei der grünen Technik weltweit führend werden will. Gelingt damit ein Schulterschluss zwischen Industrie, Wissenschaft und Politik? Zumindest sitzen dann in Salzgitter Vertreter aller Bereiche zusammen.
Wasserstoff entsteht zum Beispiel durch Elektrolyse von Wasser, das in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten wird. Dafür braucht es elektrischen Strom. Stammt dieser ausschließlich aus erneuerbaren Energien, wird das Ergebnis als grüner Wasserstoff bezeichnet. Dieser steht im Zentrum der Wasserstoffstrategie, weil in Industrie und Verkehr die Nutzung von Kohle, Öl und Erdgas reduziert werden soll. Grauer Wasserstoff wird dagegen aus fossiler Energie wie etwa Erdgas hergestellt. Das dabei entstehende CO2 wird in die Atmosphäre abgegeben und verstärkt den globalen Treibhauseffekt.
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Grün ist also die Farbe der Hoffnung – auch für den Umbau der Stahlindustrie. Vor einem Monat verabschiedete das Bundeskabinett das Programm, das Milliarden-Zuschüsse, rechtliche Erleichterungen und konkrete Produktionsziele vorsieht. Mit Förderprogrammen und sieben Milliarden Euro soll erreicht werden, dass sich Wasserstoff am Markt durchsetzt, weitere zwei Milliarden sind für internationale Partnerschaften eingeplant. „Der Schlüssel, um die Stahlbranche in Deutschland zu halten, ist der Einsatz von grünem Wasserstoff“, sagte Karliczek in Salzgitter.
Dort informierte sich die Ministerin über das Projekt SALCOS (Salzgitter Low CO2 Steelmaking), mit dem der Stahlhersteller den CO2-Ausstoß erheblich senken will. Als Teil der Klimastrategie des Unternehmens soll Kohle bei der Erzeugung von Eisen schrittweise durch Wasserstoff und Strom aus erneuerbaren Quellen ersetzt werden. Am Ende soll eine Verminderung der CO2-Emissionen um 95 Prozent stehen. Zur Stahlerzeugung mit Wasserstoff prüft der Stahlkonzern Salzgitter mit Partnern derzeit einen Standort in Wilhelmshaven. Es werde angestrebt, zwei Millionen Tonnen direktreduziertes Eisen pro Jahr zu erzeugen, das per Bahntransport nach Salzgitter gebracht werden soll, hieß es vor wenigen Tagen.
„Handlungskonzept Stahl“
Noch im Januar 2020 hatte Salzgitter-Vorstand Heinz Jörg Fuhrmann betont: „Die Stahlindustrie ist zwar in der Lage, einen substanziellen eigenen finanziellen Beitrag zur CO2-Minderung unserer Gesellschaft zu leisten, aber ohne eine öffentliche Anschub-Finanzierung wird das nicht umzusetzen sein“. Nun gibt es die Wasserstrategie und auch die EU will den Energieträger bis 2030 wettbewerbsfähig machen und die Energiewende in Europa voranbringen.
Auf der Hauptversammlung des Konzerns vor wenigen Tagen bewertete Fuhrmann die jüngsten Maßnahmen der deutschen Regierung und der EU-Kommission positiv. Das Konjunkturpaket und die Wasserstoffstrategien des Bundes und der EU seien geeignet, bei der Dekarbonisierung der Industrie zügige Fortschritte zu unterstützen. Dasselbe gelte auch für das „Handlungskonzept Stahl“, sagte Fuhrmann. Das will die Bundesregierung am 15. Juli im Kabinett verabschieden.
Bei aller Euphorie hinsichtlich der kommenden Investitionen und entsprechender Kooperationsbereitschaft der Industrie hinsichtlich der Wasserstoffförderung bleibt die Frage: Woher den all der grüne Strom, erzeugt insbesondere durch Windkraft, kommen soll, der wiederum die Produktion des grünen Wasserstoffs erst ermöglicht. Der Zubau stockt seit langem.
Elektrolyseanlage in Mittelbüren
Dennoch: Den Optimismus der niedersächsischen Stahlindustrie teilt auch der Wissenschaftsminister des Bundeslandes, Björn Thümler (CDU). Er bescheinigt seinem Land eine „sehr gute Ausgangslage für die Herstellung grünen Wasserstoffs“. Schon heute würden große Mengen regenerativen Stroms dort produziert. Thümler verweist auf „günstige geologische Bedingungen“ und ein ausgedehntes Gasnetz, das auch für den Transport von Wasserstoff genutzt werden könnte. Der Bund stelle mit der neuen Strategie bis 2023 rund 310 Millionen Euro für die Förderung von Forschung und Innovation in diesem Bereich zur Verfügung.
Dazu passt auch eine anvisierte Produktion von grünem Wasserstoff in Bremen. Am Kraftwerkstandort Mittelsbüren soll eine Elektrolyse-Anlage entstehen, die das Stahlwerk von ArcelorMittal versorgt. Der luxemburgische Stahlkonzern ist mit 97,3 Tonnen jährlich der größte Produzent weltweit. Eine entsprechende Absichtserklärung unterzeichnete der Stahlbauer am Montag mit dem Energieunternehmen EWE aus Oldenburg und dessen Tochterfirma swb.
Steht die Solarindustrie in Deutschland wieder vor einem Boom?
Interesse und Begeisterung hinsichtlich der Wasserstoffwirtschaft erinnern auch an die Anfangsjahre der deutsche Solarindustrie. Internationale Konkurrenz machte der Branche in den letzten Jahren massiv zu schaffen. Einst als Hoffnungsträger der ostdeutschen Wirtschaft gefeiert, setzten Dumpingpreise aus Asien viele Unternehmen massiv unter Druck. 2018 meldete Deutschlands größter Solarmodulhersteller Solarworld endgültig Insolvenz an und schloss den Standort im sächsischen Freiberg mit rund 600 Mitarbeitern.
Im sachsen-anhaltischen Bitterfeld-Wolfen wurde sogar ein ganzes Gewerbegebiet „Solar Valley“ genannt, weil es einer der größten Solarstandorte Europas war. Dann kam die bittere Pleitewelle – hier schon vor gut einem Jahrzehnt. Auch der Zubau geht nur langsam voran. 2019 deckten Photovoltaik-Anlagen laut dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE etwa 8,2 Prozent des Brutto-Stromverbrauchs in Deutschland. Vordergründig scheinen nun etwa die Prämie für E-Autos und der „Green Deal“ der EU Hersteller von Solarmodulen wieder zu helfen. Steht die einstige Vorzeigeindustrie Ostdeutschlands also wieder vor einem Boom?
Die Schweizer Meyer Burger Technology AG sieht jedenfalls Potential. Der Maschinen- und Anlagenbauer will in die Produktion von Solarzellen und Solarmodulen einsteigen und zwar in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Geschäftsführer Gunter Erfurt spricht von einem „fundamentalen Richtungswechsel“.
Jetzt will Meyer Burger in Freiberg wie im „Solar Valley“ an die alten Zeiten anknüpfen. Firmenchef Erfurt sieht im Thema Solarenergie „einen enormen Reiz“ – vor allem angesichts der Neuausrichtung der Wirtschaft nach der Corona-Krise und dem angestrebten europäischen „Green Deal“. Nicht zuletzt könnte auch die Prämie für den Kauf von E-Autos der Solarindustrie neuen Rückenwind geben. „Sicher ist das Timing für diesen Schritt auch deshalb interessant“, meint Erfurt. Der bisherige Maschinenbauer will künftig Solaranlagen für Dächer, aber auch für kleinere Kraftwerke bauen. Er strebt eine jährliche Produktionskapazität von 400 Megawatt an.
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Für den Strategiewechsel war allerdings noch die Entscheidung der Aktionäre wichtig, die am 10. Juli 2020 einer Kapitalerhöhung über 165 Millionen Schweizer Franken zustimmten. Mit der Summe sollen die Investitionen in den Aufbau der Produktion gestemmt werden. Nach Unternehmensangaben ist es die sechste Kapitalerhöhung seit 2010.
Meyer Burger verweist darauf, dass viele Solarmodule weltweit bereits mit Technologie aus ihrem Hause hergestellt werden. „Bisher haben wir die eigentliche Wertschöpfung dann den Kunden überlassen. Was wir tun, ist, genau diesen Mechanismus zu unterbrechen“, erklärt Erfurt. Mehr als 3000 Arbeitsplätze sollen langfristig entstehen. Im ersten Halbjahr 2021 soll die Produktion starten – symbolträchtig in den einstigen Hallen der pleitegegangenen Solarfirmen Sovello (Bitterfeld-Wolfen) und Solarworld (Freiberg).
Forschungs- und Entwicklungscrew von Q-Cells
Dass die deutsche Solarindustrie eine zweite Chance bekommt, hat der künftige Nachbar von Meyer Burger im „Solar Valley“, Q-Cells, bereits bewiesen. Als Start-up gestartet, schaffte es das Unternehmen bis an die Weltspitze, machte Milliardenumsätze – und ging doch zunächst pleite. Die Konkurrenz war zu groß. Seit 2012 gehört Q-Cells zum koreanischen Konzern Hanwha, die Produktion wanderte nach Asien ab.
Der Sitz in Bitterfeld-Wolfen sowie die Forschungs- und Entwicklungscrew aber blieben. In den kommenden drei Jahren will das Unternehmen 125 Millionen Euro investieren, um die nächste Generation von Solarzellen mit höherem Wirkungsgrad zu entwickeln. Eine Rückkehr der Produktion ist nicht zu erwarten. Q-Cells sei gut durch die Zeit der coronabedingten Lockdowns in vielen Ländern gekommen und habe keine Lieferengpässe gehabt, sagt Sprecher Oliver Beckel.
Auch jetzt gebe es keine größere Auftragsdelle. Mit einem Anteil von 20 Prozent sei Q-Cells Marktführer in Deutschland. Doch die Firma räumt ein: Die Preise für Solaranlagen seien derzeit stark unter Druck. „Das ist gut für die Verbreitung der Photovoltaik, für die Welt und das Klima, aber das ist ein Problem für die Hersteller.“ Q-Cells setzt verstärkt darauf, neben reinen Solaranlagen neue Produkte anzubieten. So können Firmen seit zwei Monaten ihre Dächer an das Unternehmen verpachten, das darauf dann auf eigene Kosten eine Anlage baut. Zudem ist Q-Cells auch als Stromanbieter aktiv.
Bis 2030 sollen erneuerbare Energien 65 Prozent des Stroms liefern
Für den Bundesverband Solarwirtschaft ist klar: Ohne einen entschlosseneren Ausbau der Solarenergie wird Deutschland die selbst gesetzten Klimaziele nicht erreichen können. Bis 2030 sollen erneuerbare Energien 65 Prozent des Stroms liefern. Dazu müsse ab 2022 die jährlich installierte Photovoltaik-Leistung verdreifacht werden, so Hauptgeschäftsführer Carsten Körnig. Von Januar bis Mai 2020 wurden bisher 1,9 Gigawatt neu installiert. Insgesamt liegt die Photovoltaik-Leistung derzeit bei knapp 51 Gigawatt. Der Geschäftsführer des Dresdner Modul- und Systemherstellers Solarwatt, Detlef Neuhaus, sieht ebenfalls neue Hoffnung für die Branche: „Jetzt haben wir eine zweite Chance, vor allem über Innovation und komplexe Produkte.“
Wie lässt sich der erzeugte Solarstrom am besten speichern? Wie bindet man das E-Auto in der Garage in das eigene Energiesystem ein? Mit der Energiewende seien neue Technologien gefragt, Vertriebs- und Servicestrukturen, Installateure und nicht zuletzt auch die Beratung von Endkunden. Längst gehe es nicht mehr nur darum, „Container mit möglichst billigen Modulen über den Großen Teich“ zu schicken, so Neuhaus. Genau darin sieht er die deutschen Hersteller und Anbieter im Vorteil gegenüber den Firmen aus Asien.
Trotz Corona-Krise stieg bei Solarwatt die Nachfrage nach Solaranlagen für Einfamilienhäuser und mittlere Gewerbeflächen um 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Verbuchte das Unternehmen mit rund 400 Beschäftigten 2019 einen Umsatz von rund 90 Millionen Euro, rechnet Neuhaus für dieses Jahr mit 115 Millionen Euro. Geliefert werden die Glas-Glas-Module vor allem nach Deutschland, Benelux, Österreich und in die Schweiz, aber auch nach Schweden, Norwegen und Australien. Erleichtert ist Neuhaus, dass der sogenannte Solardeckel – die Ausbaubegrenzung auf 52 Gigawatt – inzwischen weg ist. „Das hing wie ein Damoklesschwert über uns.“ Entsprechende Wachstumspläne hat Solarwatt. Eine neue Fertigungsanlage für Module entsteht derzeit in Dresden, auch eine neue Speicherfertigung ist geplant. Rund zehn Millionen Euro will Neuhaus investieren – er glaubt an die zweite Chance.
Wasserstoff soll ein zentraler Baustein für die klimaneutrale Produktion der Stahlindustrie in Deutschland werden (Symbolbild).