Soziale Ungleichheit

Unsere Gesellschaft in Schieflage

Ungleichheit ist zunehmend Thema der Debatten. Im Kern geht es dabei um die Frage: Wie gerecht verteilt sind die Möglichkeiten, in einer Gesellschaft teilzu­haben und das eigene Leben zu gestalten? Egal ob es um Klimagerechtigkeit, Bildungschancen oder Einkommens­unterschiede geht. Eine Bestandsaufnahme

Sie sitzen auf dem Boden, sie halten Transparente. Darauf steht „The climate is changing. Why aren’t we?“ oder „Früher war der Fisch in der Packung. Heute ist die Packung im Fisch“. Sie haben ein Ziel. „Are you here to save the planet?“, fragt der junge Mann auf der Bühne. „Jaaa“, ruft die Menge und skandiert. Schnell, schrill, rhythmisch. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“ Die Sonne brennt, dicke Seifenblasen treiben über die Köpfe. Vorne ruft der junge Mann: „Es ist Zeit, dass wir Studierenden wieder radikal werden, mit auf die Straße gehen.“ Eine junge Frau ruft: „Die Europawahl in zwei Tagen ist eine Klimawahl. Diese Wahl ist unsere letzte Chance.“ Ein junges Mädchen ruft: „Wir wurden gelobt von den dreckigsten Unternehmen, von den größten Politiker*innen. Okay Kinder, verstanden, jetzt wieder ab in die Schule. Ich sage: nice try. Wir gehen erst, wenn sich die Klimakurven tatsächlich ändern.“ Die Menge klatscht und hüpft und schreit:  „Jaaa.“ „What do we want?“ – „Climate justice“, brüllt es aus tausenden Kinderkehlen. „When do we want it?“ – „Noooow!“

Berlin, Brandenburger Tor, ein Freitag Ende Mai. Zehntausende Jugendliche haben sich bei diesem Friday For Future versammelt, hier in Berlin und in mehr als 250 Städten europaweit. Um dafür zu protestieren, dass sich etwas ändert. Weil es jetzt darauf ankommt. Weil sie wissen, dass es um das Überleben des Planeten geht. Weil sie um ihre Zukunft fürchten, über die andere entscheiden, nicht sie selbst. „Das ist nicht fair“, sagt eine Studentin. „Für mich ist das eine Form Ungleichheit, die ich nicht mehr ertragen will.“

Mehr Protest

Ungleichheit – über wohl kein Thema wird derzeit wieder so heftig gestritten. Egal ob es um Klimagerechtigkeit, Einkommen, Bildung, Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland, Herkunft, Wohnen oder Geschlecht geht. Es scheint etwas in Schieflage geraten zu sein, in Deutschland und in vielen anderen westlichen Gesellschaften. In deutschen Großstädten protestieren Menschen gegen absurd überhöhte Mieten, in Frankreich radikalisieren sich Gelbwesten im Kampf um mehr sozialen Ausgleich, überall gewinnen rechtspopulistische Gruppen mit dem Versprechen einfacher Lösungen Zuspruch. „Es hilft nicht, zu hoffen, dass es vorüber geht“, sagt der Münchner Soziologe Stephan Lessenich. „Ungleichheit ist zwar ein Grundtatbestand von Gesellschaften. Aber wenn die Ungleichheiten zu groß werden, führt das zu starken Konflikten.“  Es ist Zeit für eine kritische Auseinandersetzung, fordert Lessenich. Wie akzeptabel ist Ungleichheit? Wie gleich oder ungleich ist unsere Gesellschaft überhaupt? Wie sollte sie sein? Was können wir dafür tun, damit sie so ist, wie wir sie wünschen?

Gleiche Rechte, eine Stimme

Wenn sich die Soziologie mit Ungleichheit beschäftigt, redet sie in der Regel von sozialer Ungleichheit. „Demokratische Gesellschaften bieten Gleichheitsversprechen an, die unstrittig sind: Egal wie sich Menschen sonst unterscheiden, jeder Mensch hat eine Stimme in der Demokratie und die gleichen Rechte“, erläutert Armin Nassehi, Professor für Soziologie an der Universität München. „Daneben gibt es aber auch Ungleichheitsgeneratoren. Durch das Wirtschafts- und das Bildungssystem etwa, die dazu da sind, Menschen legitim in unterschiedliche Positionen zu bringen.“ Ohne Abitur kann man in der Regel nicht studieren, nur wer Abschluss X hat, kann Beruf Y ergreifen. Wer viel leistet, so die Idee, verdient mehr. Nassehi: „Dynamische Gesellschaften produzieren immer Ungleichheiten und das wird von den Mitgliedern der Gesellschaft auch akzeptiert.“ Wenn sie es als gerechtfertigt empfinden.

Beispiel Geha…

TITELBILD: NATALYA LETUNOV / UNSPLASH

Egal ob es um Klimagerechtigkeit, Bildungschancen oder Einkommens­unterschiede geht – Ungleichheit findet in unserer Gesellschaft auf vielen verschiedenen Ebenen statt und ist ein zunehmendes Thema aktueller Debatten

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