Buddhas Ökonomen

Mindful Finance macht den Kapitalismus menschlicher

Mindful Finance klingt ein wenig verträumt – hat aber das Potenzial, unser Wirtschaftsleben spürbar auf Menschen und deren Beziehungen auszurichten.

Es fühlt sich merkwürdig an, einen Workshop über Finanzen mit einer Meditation zu beginnen. Erst einmal zwei Minuten lang in sich hineinhören, und dann erst die eigenen Antennen auf Empfang stellen? Allerdings scheine ich der einzige im Raum zu sein, dem das seltsam vorkommt. Für alle anderen Teilnehmer*innen bei diesem Seminar zu Mindful Finance in München wirkt das wie selbstverständlich, die meisten von ihnen erzählen auch in der Vorstellungsrunde, was Meditation für sie bedeutet. Selbstfindung als Geschäftsgrundlage? Nicht ganz. Es handle sich nicht um eine individuelle, sondern um eine gemeinsame Meditation, erläutert Friedhelm Boschert, Gründer des Mindful Finance Institute und Initiator der Veranstaltung. Auf diese Weise wird eine Beziehung zwischen allen Teilnehmer*innen hergestellt. Und Beziehungen sind wichtig bei diesem Thema.

Beziehungen sind zwar auch in der herkömmlichen Wirtschaftswelt bedeutend – wie alle wissen, die sich schon einmal um einen Job oder einen Auftrag beworben haben. Aber in der Mindful-Welt spielen sie noch einmal eine ganz andere Rolle. Die eigentliche Rolle nämlich. „In der herkömmlichen Finanzwelt dreht sich alles um Transaktionen“, sagt Ernest Ng, Professor für buddhistische Ökonomie an der Universität Hong Kong. „Diese Welt besteht aus Waren und Dienstleistungen, die Menschen agieren als Produzenten oder Konsumenten.“ Die persönlichen Beziehungen sind in erster Linie Mittel zum Zweck – der Transaktion, dem Profit.

Mindful Finance nimmt Menschen als Menschen wahr

In der Welt von Mindful Finance hingegen, so Ng, würden Menschen als Menschen gesehen – Menschen, die miteinander und mit ihrer Umwelt in Beziehung stehen. Geschäfte seien nur gute Geschäfte, wenn sie diese Beziehungen verbessern, oder ihnen zumindest nicht schaden. Niemandem ein Leid zuzufügen, sei ein ebenso ehernes Ziel wie in der traditionellen Wirtschaftswelt das Erzielen von Gewinn.

Wie auch die Meditation entstammt diese Philosophie fernöstlicher Tradition. Das chinesische Guanxi-Prinzip beispielsweise basiert auf dem Wert der Netzwerke persönlicher Beziehungen. Sie binden stärker als Verträge. Für westliche Manager ist dieser Ansatz schwer verständlich; und obendrein hinderlich, weil er von ihnen erfordert, sich intensiv auf Land und Leute einzulassen sowie Netzwerke zu knüpfen, bevor sie überhaupt ins Geschäft kommen können. Für nicht-westliche Akteure hingegen, ob aus Asien oder Afrika, ist es genauso schwer verständlich, dass bei uns die Aussicht auf exorbitante Gewinne dazu führen kann, dass die Regeln des Anstands und der Menschlichkeit über Bord geworfen werden können.

Der Kapitalismus wollte sich die Erde untertan machen

Ein Zitat des englischen Gewerkschafters Thomas Dunning aus dem Jahr 1860 kommt da in den Sinn: „Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv und waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.“

Diese Einstellung war, unzweifelhaft, ein zentraler Faktor für den weltweiten Siegeszug des Kapitalismus in den letzten Jahrhunderten – sie erlaubte es, alle Gegner, alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen; sich die Erde untertan zu machen.

Diese Einstellung ist aber genauso auch ein zentraler Faktor für die fortschreitende Zerstörung der Lebensgrundlagen auf unserem Planeten; sie ordnet nicht nur den Menschen, sondern auch die Natur dem Profit-Interesse unter. Mit den allseits bekannten und sich verschlimmernden Fol…

TITELBILD: KENNY SOREN/UNSPLASH

Der Ansatz der Mindfulness wird gefördert, dass das Gewicht des Westens in der Weltwirtschaft immer geringer wird und dadurch nicht-westliche Denk- und Handlungsweisen stärker zum Zug kommen (Symbolbild).

Detlef Gürtler

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