Plastikfreie Ozeane

Einzelkampf gegen die Plastikflut

Mit schwimmenden Plattformen, Netzkonstruktionen und Vorhängen aus Luftblasen versuchen Einzelkämpfer, die Ozeane vom Plastik zu befreien. Es ist ein immenses Vorhaben – und ein Aufruf an Politik und Wirtschaft, zu handeln

Wie sie da vorne auf dem kleinen Podium steht, erfüllt Marcella Hansch genau jenes Klischee, von dem sie gleich sprechen wird. Verträumt lächelnd, mit sanfter Stimme erzählt sie von ihrem großen Plan, das Plastik aus den Weltmeeren zu holen. Eine zarte, braun gelockte Person, die klingt, als erzähle sie guten Freunden etwas. Aber Hansch steht vor rund 100 Menschen in einer Kirche in Hamburg-St. Pauli und hat nur zehn Minuten Zeit, um ihr Meeressäuberungs-Projekt vorzustellen. „Ich höre oft“, sagt sie am Ende, „vor allem von älteren Leuten: Du bist doch nur ein kleines Mädchen, wie willst Du das denn schaffen?“ Hansch verzieht keine Miene, als sie diesen Kleine-Mädchen-Quatsch zitiert. Sie hält lieber mit einem anderen Klischee dagegen. „Ich komme aus dem Sauerland“, sagt sie mit einem Lachen. „Und habe einen echten Dickkopf.“

Marcella Hansch ist 32, Architektin, Dickkopf und Gründerin des Projekts Pacific Garbage Screening (PGS). Sie ist für diesen Abend aus Aachen, wo sie lebt, nach Hamburg gekommen, um beim „NKlub“ zu sprechen. Die Veranstaltung ist ein regelmäßiges Vernetzungstreffen der Nachhaltigkeitsszene, findet abwechselnd in Hamburg und Frankfurt am Main statt. Hansch nutzt dieses Forum, um Spenden, Unterstützer*innen und Öffentlichkeit zu gewinnen – denn ihre Idee ist ein immenses Vorhaben: die Entwicklung einer schwimmenden Plattform, die den Plastikmüll aufsammelt, der unsichtbar unter der Wasseroberfläche treibt.

Nach einem Tauch-Urlaub, in dem sie mehr Plastik als Fische sah, wollte Hansch handeln. Sie machte den Müll im Meer zum Thema ihrer Abschlussarbeit. Ihr Konzept baut auf dem Sedimentierungsprinzip auf: Das Plastik in den Ozeanen wird von der Strömung unter die Oberfläche gedrückt; sonst würde es, da es leichter als Wasser ist, obenauf schwimmen, wo man es abschöpfen könnte. Hanschs ursprünglich geplante Plattform, immerhin rund 400 Meter lang, sollte das Meerwasser so weit beruhigen, dass der Plastikmüll von selbst nach oben steigt. Ganz ohne Netze, die Fische oder andere Lebewesen schädigen könnten.

Die Plattform soll das Wasser so weit beruhigen, dass der Plastikmüll nach oben steigt

450 Jahre für eine Plastikflasche

Klar ist: In unseren Flüssen und Meeren schwimmt zu viel Plastik. Es ist eine massive Bedrohung für Ökosysteme, Meereslebewesen und – am Ende der Nahrungskette – auch für den Menschen. Denn Kunststoffe werden in der Natur nur sehr langsam abgebaut, eine Plastikflasche zerfällt in rund 450 Jahren. Von all dem Plastik, das wir verwenden und achtlos wegwerfen, sind wir sehr lange umgeben. Aber nicht nur in Gewässern schwimmen Kunststoffteile, sie schwirren auch in der Luft herum. All die Teilchen stammen aus den unterschiedlichsten Quellen: Von Mikroplastik in Kosmetik und Reinigungsmitteln bis zum Abrieb von Autoreifen. Von der Plastiktüte bis zum Einmalbecher. In die Meere gelangt Kunstoff zum größten Teil vom Land aus, durch die Flüsse.

Das Umweltbundesamt in Dessau (UBA), Deutschlands zentrale Umweltbehörde, hat im Juni 2019 ein Papier veröffentlicht: „Kunststoffe in der Umwelt“. Es analysiert den Status Quo der Belastung und seine Ursachen, empfiehlt Maßnahmen. Was die Meere betrifft, stehen für das UBA folgende Aufgaben ganz oben: Grenzwerte festlegen, Langzeitüberwachung organisieren, Auswirkungen untersuchen. Und es geht den Experten um Prävention: Mikroplastik in Kosmetik und Reinigungsmitteln müsse verboten, die Bürger sensibilisiert und das neue Verpackungsgesetz „anspruchsvoll umgesetzt“ werden. Zudem gelte es, für mehr Pfand- und Rücknahmesysteme zu sorgen, illegale Müllentsorgung auf See zu unterbinden und ein möglichst abfallarmes Produktdesign zu fördern.

Ein Job für Einzelkämpfer

Was aber Maßnahmen betrifft, den bereits in den Meeren treibenden Müll zu entfernen, bleibt die Behörde mehr als zurückhaltend: Das sei schwierig, man könne immer nur…

TITELBILD: V2OSK/UNSPLASH

Unser Meer ist verunreinigt mit unzähligen Tonnen von Müll – das ist nichts Neues, die Lösungen hingegen schon. Wir zählen verschiedene Projekte auf, die in Zukunft unsere Meere vom Müll befreien sollen

Christiane Langrock-Kögel

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