Facelift für die Demokratie

Wie kann Wählen attraktiver werden?

Verschiedene Initiativen wollen Wählen interaktiver, spielerischer und emotionaler machen. Ist das eine Chance oder Zeitgeist-Deko? Lässt sich Demokratie neu in Szene setzen?

„Wieso ist das so umständlich?“, fragt Pauline Muszi, hebt die Arme und schiebt hinterher: „Es kann doch nicht sein, dass die hier das Aushängeschild unserer Demokratie sind.“ Sie meint die Briefwahlunterlagen. Muszi studiert an der Ecosign-Akademie für Gestaltung in Köln und hat eine Idee, wie Briefwahlunterlagen verständlicher und visuell ansprechender gestaltet werden könnten. Entstanden ist ihr Projekt „Deine Wahl“ im Rahmen der Initiative „Demokratie positionieren“, einer Hochschulkooperation der Fachhochschule Dresden, der Ecosign-Akademie und der Werbeagentur Gute Botschafter aus Köln.

Die Demokratie ist in die Jahre gekommen. Altbacken, altmodisch, staatstragend-nüchtern erscheint sie vielen. Muss das sein? Ließen sich nicht mehr Menschen erreichen, wenn sich das politische System ein wenig flotter und zugänglicher präsentierte? Und wie könnte man Demokratie neu inszenieren?

Ein Semester lang haben sich die Studierenden der Initiative „Demokratie positionieren“ mit diesen Fragen auseinandergesetzt. „Wenn man etwa an die Kampagnen der Olympischen Spiele oder der Europameisterschaft denkt, fragt man sich, ob es für die Demokratie nicht auch eine bessere Herangehensweise geben könnte“, sagt Projektkoordinatorin Julia König von der Ecosign-Akademie. Entstanden sind Projekte, die sich mit verschiedenen Facetten von Demokratie beschäftigen: „Filmclips, klassisches Kommunikationsdesign bis zu einem Spiel über unterschiedliche politische Positionen“, so Elmar Sander, Projektleiter an der Ecosign. Und eben ein neues Design für Briefwahlunterlagen.

Wahlbenachrichtigung und Briefwahl in einem

„Alle Bürger:innen bekommen eine Wahlbenachrichtigung, eigentlich eine super Sache“, sagt Pauline Muszi. Seit 1957 haben sie dann die Wahl: vor Ort oder per Brief wählen. Doch die Entscheidung zur Briefwahl erfordert viel Eigeninitiative: Sie muss beantragt werden. Tatsächlich gebe es einen Zusammenhang zwischen der optischen Gestaltung von Briefwahlunterlagen und deren Rücklaufraten, sagt Bernhard Weßels, Politologe am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Für dieses Problem hat Pauline Muszi eine Lösung gefunden. Die Idee: „Eine Art Wahlpaket.“ „Deine Wahl“ ist Benachrichtigung und Wahlunterlage in einem, mit persönlicher Ansprache, wenig Text und modernem Design.

Im nächsten Schritt möchte die Studentin das Wählen in den öffentlichen Raum bringen. „Dafür ist der Briefkasten ein super Medium.“ Aufkleber mit frechen Statements wie „Wer was ändern will, muss die Klappe aufmachen“ sorgen für Aufmerksamkeit; farbige Bodenmarkierungen weisen den Platz vor dem Briefkasten als Wahlkabine aus. Muszi: „Der Briefkasten wird zum politischen Objekt.“

Mit ansprechenden Aufklebern und fordernden Statements will Pauline Muszi öffentlich fürs Wählen mobilisieren. Wo könnten die Aufkleber besser aufgehoben sein als an Briefkästen?

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Foto: Pauline Muszi

Dass bunte Farben und freche Sprüche eine Gefahr für die Ernsthaftigkeit der Demokratie sind, glaubt die Studentin nicht: „Demokratie kann spielerisch gestaltet sein, ohne dadurch weniger seriös zu werden.“ Sie hat sich deshalb bewusst für die Ansprache per du entschieden: „Ich finde, es ist direkter, natürlicher und macht die Demokratie nahbarer.“ Gerade junge Bürger:innen könnte es mobilisieren.

Ein wichtiger Aspekt. Denn obwohl die Demokratieakzeptanz in Deutschland im internationalen Vergleich sehr hoch ist , beobachten Politolog:innen vor allem unter den Jüngeren das Phänomen der „unzufriedenen Demokrat:innen“. „Menschen also, die im Prinzip die demokratischen Normen und Werte hochhalten und sehr von der Demokratie als Ordnungsform überzeugt, aber unzufrieden damit sind, wie sie praktisch funktioniert“, erläuert Demokratieforscher Weßels.

Demokratie verbessern, nicht bashen

Unzufrieden mit der Demokratie sind Elisa Mux und Anna Sorgalla nicht. Aber auch sie stellen in ihrem Umfeld fest, dass die demokratischen Ziele und Werte nicht immer mit der gesellschaftlichen Realität übereinstimmen. Diesen Widerspruch haben sie zum Thema eines Films gemacht. „Wir wollten kein Demokratie-Bashing“, sagt Mux, „sondern bei aller Wertschätzung für die Demokratie auf die vielen Punkte aufmerksam machen, an denen sie sich verbessern ließe.“

Ihr Film #demokratiesindwir beginnt mit Wertschätzung. Der erste Protagonist, Chero Abdo, erzählt: „Demokratie ist für mich, wenn ich das Gefühl habe, teilnehmen zu können, teilnehmen zu dürfen, mitbestimmen zu dürfen und das Gefühl in mir drin trage, dass meine Stimme wichtig ist.“ Der zweite Part heißt: Reflektieren über den Status quo. „Jede dritte Person in Deutschland erfährt Diskriminierung“, sagt Rebekah Herring in die Kamera und weiter: „Diskriminierungserfahrungen können gravierende Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit der Betroffenen haben.“

Langsame Klaviermusik, ein leises Knistern, kontrastreiche Schwarz-Weiß-Bilder und persönliche Geschichten – mit dem Film #demokratiesindwir setzten die Studentinnen auf Emotion. Gefühle und Politik – wie passt das zusammen? Und wo verläuft die Grenze zwischen Manipulation und Mobilisierung? „Man muss da wahnsinnig vorsichtig sein“, sagt Filmemacherin Sorgalla. Besonders, wenn Sachthemen emotional kommuniziert werden, dürften die unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema dabei nicht verloren gehen. Letztendlich kamen die Studentinnen aber zu dem Schluss: „Wir glauben, dass eine empathische und nahbarere Kommunikation politische Diskurse eher voranbringen kann.“

Politikwissenschaftler Bernhard Weßels sieht das ähnlich: „Politik kommt nicht ohne Emotionen aus.“ Entscheidend sei dabei die Art der Emotion. Ängste und Wut zu schüren, wie es Rechtspopulist:innen häufig tun, könne zwar Wähler:innen mobilisieren, für die Demokratie ist das jedoch hochgefährlich. „Aber positive Emotionen – warum nicht? Emotion motiviert zu Beteiligung.“

An Motivation fehlt es gerade den Jüngeren. Die Wahlbeteiligung der 21- bis 24-Jährigen bei der Bundestagswahl 2017 lag nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung 9,2 Prozentpunkte unter dem Gesamtwert. Bei den 18- bis 20-Jährigen waren es 6,3 und bei den 25- bis 29-Jährigen 7,6 Prozentpunkte weniger als in der Gesamtbevölkerung. Politikwissenschaflter Weßels sieht inhaltlich vor allem die Parteien in der Verantwortung. Doch die böten meist kaum Alternativen und klar formulierte Ziele. Weßels spricht von elektoralem Opportunismus: „Die Parteien versuchen möglichst wenig anzuecken und für möglichst viele etwas anzubieten. Aber das mobilisiert nicht.“

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Demokratie vereinfachen: digitale Wahlhilfen

Genau hier setzen Initiativen wie der Wahl-O-Mat oder #wählbar2021 an. Den Wahl-O-Mat gibt es bereits seit 2002. Ein Team aus Jung- und Erstwähler:innen erarbeitet, zusammen mit Wissenschaftler:innen, 80 bis 100 Thesen. Anschließend haben alle Parteien, die bei der Wahl antreten, die Möglichkeit, zu den Thesen Stellung zu beziehen. Auf Basis dieser Stellungnahmen können die Wähler:innen später über die Wahl-O-Mat-App herausfinden, welche Parteien am ehesten mit den eigenen Ansichten übereinstimmen. Der Wahl-O-Mat zur Bundestagswahl 2021 wird am 2. September veröffentlicht.

Die Initiative #wählbar2021 dagegen konzentriert sich auf Klimapolitik. Sie hat Kandidat:innen über 19 konkrete Maßnahmen zum Klimaschutz abstimmen lassen. Sie können dem Paket zustimmen, es ablehnen oder einen eigenen Vorschlag machen. Die Wähler:innen sehen auf #wählbar2021 nun nicht nur die Positionen der Politiker:innen, sondern können die Kandiat:innen auch über die Website von #wählbar2021 dazu auffordern, sich zu den Maßnahmepaketen genauer zu äußern.

Auch bei Good Impact: Können wir mit grünem Wachstum die Klimakrise bewältigen?

Beide Initiativen zwingen die Politik zu einem klaren Statement und machen unterschiedliche Positionen sichtbar, ein Pluspunkt. Doch das funktioniert natürlich nur, wenn die Parteien tatsächlich echte Alternativen bieten. Weßels: „Man kann nicht an den Realitäten vorbei eine Spannung erzeugen.“

Mit Mitte 20 gehören die drei Studentinnen der Ecosign-Akademie selbst zur Gruppe der Jungwähler:innen. Darin sieht Projektleiter Sander den Reiz der Initiative „Demokratie positionieren“: „Es ist natürlich interessant zu sehen, welchen Blick junge Menschen auf die Demokratie haben.“

In ihren Diskussionen sind die Studierenden immer wieder auf Schwächen der Demokratie gestoßen. Pauline Muszi: „Aber wir haben festgestellt, dass genau das eine große Stärke der Demokratie ist: Man darf sie kritisieren, ganz offen.“ Filmemacherin Anna Sorgalla hat durch das Projekt „demokratische Gelassenheit“ entwickelt: „Ich habe durch den ständigen Austausch gelernt, andere Meinungen auszuhalten.“ Wenn es die Pandemie zulässt, sollen die Ergebnisse der Initiative „Demokratie positionieren“ in den Wochen vor der Bundestagswahl in beiden Hochschulstädten ausgestellt werden.

Dieser Text erschien in der Ausgabe August/September 2021 mit dem Titel „Schatzinseln: Diese Orte zeigen uns, wie wir den Kampf gegen die Klimakrise meistern“. Das aktuelle Heft könnt ihr hier kaufen.

FOTO: PAULINE MUSZI

Wählen soll mehr Spaß machen. Ein Vorschlag: ein ansprechendes und praktisches Wahlpaket, das Wahlbenachrichtigung und Briefwahlzettel in einem ist. Wenig Text und eine direkte Ansprache machen die Unterlagen leicht verständlich.

Theresa Lang

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