Weltweit einzigartig

In diesem Staat haben Brandungswellen Rechte

In Peru sind Wellen gesetzlich geschützt, sofern sie bestimmte Bedingungen erfüllen. Surfer:innen hatten 13 Jahre lang für diesen Status gekämpft. Nun ziehen Aktivist:innen aus anderen Ländern Südamerikas nach.

Wie ein Strich soll sie sich den Strand entlangziehen, gleichmäßig von einer Seite zur anderen brechen – die perfekte Welle. Zwischen 18 und 50 Millionen Surfer:innen weltweit suchen nach ihr. Die Geschichte des Sports beginnt auf den Polynesischen Inseln, Höhlenmalereien aus dem zwölften Jahrhundert zeigen Menschen, die auf Wellen reiten. Damals mit einfachen Brettern aus Holz oder Schilfrohr, später auf Hawaii mit professionellen Sportgeräten aus Hartschaum und Glasfaser. Seit 2020 ist Surfen eine olympische Disziplin, die ersten Olympiasieger:innen sind Carissa Moore aus Hawaii und der Brasilianer Italo Ferreira.

Ein Riesenerfolg für die Community, insbesondere, weil der Kolonialismus ihren Sport lange bedrohte – auf Hawaii etwa wurde er noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts von den Vereinigten Staaten unterdrückt. Heute ist das Surfen ein lukrativer Wirtschaftszweig. 48 Milliarden US-Dollar jährlich erwirtschaftet die Branche laut einer Schätzung der Universität Oxford. Davon profitieren Surfer:innen, der Tourismussektor, Hersteller von Surfausrüstung. Marken wie Quicksilver bauten ihren ökonomischen Erfolg auf dem Sport auf.

Die Kehrseite des Outdoorsports: Surfer:innen fliegen für Wellen und Wettkämpfe um die halbe Welt, ihre Neoprenanzüge werden auf Erdölbasis hergestellt und geben Mikroplastik ans Wasser ab, viele Sonnenschutzmittel enthalten Chemikalien, die Unterwasserökosysteme wie Korallenriffe schädigen. Dennoch gilt die Surf-Community als umweltbewusst. Christel Scheske, Koordinatorin für Meeres- und Küstenpolitik der peruanischen Gesellschaft für Umweltrecht, „Sociedad Peruana de Derecho Ambiental“, glaubt: Je länger jemand surft, desto stärker ist die Bindung zur Natur.

380 Tonnen Müll an fast 4.000 Stränden eingesammelt

Denn Surfer:innen werden unmittelbar konfrontiert mit Umweltverschmutzung – etwa Plastikmüll, der im Meer treibt, oder Abwässer und Ölschlieren, die das Wasser kontaminieren. Mit der Zeit, sagt Scheske, wachse der Drang, die Umwelt um sich herum zu schützen. In der Praxis sieht das so aus: Surfer:innen gründen Kampagnen, Vereine und Initiativen, säubern Strände, beseitigen Abwasser, setzen sich ein für Nachhaltigkeit und Naturschutz an beliebten Surf-Hotspots.

Die britische Initiative „Surfers against Sewage“ etwa hat nach eigenen Angaben 2021 über 380 Tonnen Müll an fast 4.000 Stränden eingesammelt. Die Surf-Community in Peru ging viele Schritte weiter. Sie begab sich Ende der Neunzigerjahre in einen politischen Rechtsstreit. Nach mehr als 13 Jahren Verhandlung können seit 2013 Wellen unter Schutz gestellt werden – sofern ein Gutachten belegt, dass sie schützenswert sind, etwa wegen besonderer Artenvielfalt. Geschützt ist der Bereich, in dem sich die Welle bildet, umschlägt und bricht, vom Beginn ihres Verlaufs bis zu ihrem Ende. Das Gesetz ist weltweit einzigartig. Nur knapp über ein Drittel der globalen Brandungswellen befinden sich in Meeresschutzgebieten, der Großteil ist gefährdet.

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Die ersten Wellen mit Rechten krachen in Chicama gegen die Küste und zahlreiche Surfboards, bevor sie sich im Sand verlaufen. Hier gibt es die längsten surfbaren Wellen der Welt, das Gesetz rettete sie vor der Zerstörung durch einen Großhafen. Christel Scheskes Team überwacht die Umsetzung des Gesetzes. Die gebürtige Deutsch-Indonesierin zog vor zehn Jahren nach Peru, um dort für das deutsche Mercator Kolleg zum Thema Umweltrecht zu forschen. Sie lebt in der Hauptstadt Lima, nur fünf Minuten vom Strand entfernt. „Surfen ist häufig die einzige Möglichkeit für Menschen aus Lima, ungezähmte Natur zu erleben.” Mit 3.000 Kilometern Küstenlinie eignet sich das Land hervorragend für den Sport.

Wert von Surf-Hotspots

Brandungswellen übernehmen wichtige wirtschaftliche und ökologische Funktionen und müssen deshalb vor Infrastrukturprojekten, Baggerarbeiten und anderen menschengemachten Gefahren geschützt werden, heißt es in einer Studie von Scheske. Dank Surfonomics, einem noch jungen Wissenschaftsfeld im Bereich der Umweltökonomie, berechnen Forscher:innen den Wert von Surf-Hotspots, einzelnen Wellen und des gesamten Wirtschaftszweiges. So soll etwa die australische Goldküste jährlich 180 Millionen US-Dollar an Wertschöpfung erzielen, allein durch die Ausgaben von Surfsportler:innen.

Vor allem aber schützt das Brandungswellen-Gesetz die Natur. Eingriffe in den Meeresboden, etwa durch Baggerarbeiten, verändern, wann und wie die Brandungswellen brechen. Deshalb ist der Meeresboden im Gesetz inbegriffen. Dadurch werden laut Scheske Ökosysteme wie Korallenriffe, Felsriffe, Algenwälder oder Sandböden bewahrt. Am Felsenriff in der Brandung von Roca Cuadrada in Chile etwa tummeln sich 20 Fischarten und 32 Arten wirbelloser Kleintiere. Ohne sie wären viele Nahrungskreisläufe unterbrochen – schlimmer noch, das Ökosystem würde kollabieren.

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Das peruanische Brandungswellen-Gesetz verbietet „jede Handlung oder Tätigkeit, die den Naturgesetzen fremd ist und die den gewöhnlichen Lauf der Welle, die zum Surfen geeignet ist, den Meeresboden oder den normalen Verlauf von Strömungen oder Gezeiten verändert“, heißt es in Kapitel 2, Artikel 12. Ein Verstoß wird nach geltendem Recht als Umweltdelikt strafrechtlich belangt.

Militär als hilfreicher Akteur

„Auf dem Papier ist das Gesetz einwandfrei“, sagt Carolina Butrich, Koordinatorin der Initiative „HAZla por tu ola“, übersetzt „Tu’s für deine Welle“, aus Peru. Die Initiative hilft, ähnlich wie Scheskes Team, bei der Umsetzung des Gesetzes. Deshalb weiß Butrich, dass die Praxis komplizierter ist. „Tausende Surfer:innen-Augen beobachten täglich die Strände von Peru. Wenn irgendwo Steine ins Wasser geworfen werden, für irgendein neues Projekt, informieren sie uns und wir melden das bei der Marine.“ Denn die kann solche Projekte auf Grundlage des Gesetzes stoppen, als exekutive Instanz. Dass die Marine sofort handelt, ist entscheidend: „In San Bartolo, südlich von Lima, entsorgten die Bauarbeiter:innen eines Wohnungsbauprojekts übrig gebliebene Steine im Wasser. Lokale Surfer:innen riefen uns an und die Marine unterbrach den Prozess noch am selben Tag“, berichtet Butrich. Dass das fürs Wasser zuständige Militär in vielen Fällen ein hilfreicher Akteur ist, findet auch Scheske.

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Leider hat das Gesetz einen technischen Fehler: „Der rechtliche Zuständigkeitsbereich der Marine ist das Wasser. Vieles, was die Welle tatsächlich bedroht, passiert allerdings an der Küste“, sagt Scheske. Das soll sich zumindest in Chile ändern. Die Initiative „Ley de Rompientes“, zu Deutsch Brandungswellen-Gesetz, kämpft dafür, dass das Gesetz auch dort beschlossen wird. Nur in verbesserter Ausführung: In Chile soll auch das für den Schutz von Brandungswellen essenzielle Landgebiet geschützt werden. „Peru ist ein Beispiel für die Welt. Es ist eine große Errungenschaft, dass Wellen dort gesetzlich geschützt sind“, sagt Manuela Barros von der Brandungswellen-Gesetz-Initiative, die sich für die überholte Version des peruanischen Gesetzes in Chile einsetzt. Sie ist zuversichtlich, denn der Vorschlag, Brandungswellen per Gesetz zu schützen, wurde im März 2022 in einer der beiden Parlamentskammern angenommen.

Nun wird die Idee dort diskutiert und an die zweite Kammer weitergereicht. Dafür musste Barros zunächst die Regierung davon überzeugen, dass Naturschutz und Surfen zusammengehören. „Einige Politiker:innen sagten zu mir: Als Surfer:in geht man surfen und schützt nicht die Natur. Sie verstanden erst nicht, dass es uns auch darum geht, die größten und katastrophalsten Eingriffe zu verhindern. Und dass sich beide Themen, der Sport und die Umwelt, überschneiden.“

Die 51. Welle

Butrich, Scheske und Barros sind leidenschaftliche Surferinnen, die Liebe zum Sport und zur Natur motiviert sie. Das habe sich bei einigen erst entwickelt, glaubt Carolina Butrich aus Peru: „Ich würde sagen, der politische Aktivismus vieler drehte sich zunächst mehr um die Welle. Doch im Laufe der Zeit begannen die Surfer:innen, sich auch für den Naturschutz zu interessieren.“ Sie berichtet vom letzten Surftrip, der gleichzeitig eine Strandaufräumaktion war. „Zu zwölft haben wir mehr als 500 Kilogramm Müll aufgesammelt.“

Am liebsten surfen Butrich und Scheske am Strand von Bermejo in Peru, auf Brandungswellen, die seit Februar 2022 Rechte haben. Sie sind die 51. Wellen in Peru, die geschützt wurden. Wenn es nach den beiden Frauen geht, sollen noch viele weitere folgen. Chile ist auf einem guten Weg. Und auch in Brasilien und Uruguay regt sich ernsthaftes Interesse an dem Gesetz, das Wellen ungestört brechen lässt.

Peruanisches Gesetz über die Erhaltung der für sportliche Aktivitäten geeigneten Wellenbrecher

Artikel 1 – Zweck des Gesetzes
Dieses Gesetz bezweckt die Erhaltung von Wellenbrechern, die für die Ausübung des Wellenreitens im Rahmen des Surfsports geeignet sind.

Artikel 2 – Eigentum und Herrschaft
Die Wellenbrecher an der peruanischen Küste von Tumbes bis Tacna sind Eigentum des Staates und sein 75 Besitz ist unveräußerlich und unabänderlich.

Artikel 3 – Schutz
(…) Diejenigen, die absichtlich Aktivitäten ausüben, die die Brandungswellen oder Brandungswellenzonen beeinträchtigen, werden gemäß der geltenden Gesetzgebung wegen eines Verbrechens gegen die Umwelt strafrechtlich belangt. (…)

Artikel 6 – Ausnahmen
Ausnahmsweise können aus Gründen des nationalen Interesses, die ausdrücklich durch einen Ministerialbeschluss des Verteidigungsministeriums erklärt werden, Arbeiten durchgeführt werden, die die Brecher betreffen. (…)

Lima, am sechzehnten Mai des Jahres Zweitausenddreizehn

Dieser Text erschien in der Ausgabe April/Mai 2022 mit dem Titel: „Der Sport gehört uns – Gemeinschaft statt Kommerz: Diese Initiativen und Athlet:innen holen sich das Spiel zurück.“

Foto: IMAGO / agefotostock

Die Wellen am Bermejo Beach in Peru wurden kürzlich unter Schutz gestellt, inklusive des Meeresbodens. Dadurch werden Ökosysteme wie Korallenriffe, Algenwälder und Sandböden bewahrt.

Enno Schöningh

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