Dekolonialisierung und Postkolonialismus
Obwohl die meisten ehemaligen Kolonien heute eigenständige Nationen sind, wirken die Folgen der Kolonialzeit noch immer nach. Macht und Ressourcen sind weiterhin global ungerecht verteilt. Das zeigt sich nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der mangelnden Repräsentation der Angehörigen ehemaliger Kolonien in Wissenschaft, Kunst und Alltag, in rassistischen Vorurteilen oder in der anhaltenden Unterdrückung von indigenen Sprachen zugunsten ehemaliger Kolonialsprachen. Dekolonialisierung bedeutet, all diese Bereiche vom Kolonialismus und neuen kolonialen Strukturen (Neokolonialismus), den sogenannten Kolonialitäten, zu befreien. Es ist ein Prozess mit dem Ziel einer vielfältigen und freien Welt. Postkolonialismus beschreibt eine Form dieses Widerstands. Im Schwerpunkt unserer Ausgabe 05/2021 mit dem Titel „Tschüss, Kolonialismus“ bemühen wir uns um postkoloniale Perspektiven.
Imperialismus
Der Begriff bezeichnet das Streben von Staaten, ihre politische, militärische und wirtschaftliche Macht auszudehnen. Dies geschieht etwa, indem sie andere Territorien kriegerisch unterwerfen und/oder deren Bewohner:innen durch wirtschaftliche Abhängigkeiten unterdrücken und ihre Kultur schwächen, etwa indem sie kolonialisiert werden. Schon in Mesopotamien und Ägypten, im antiken Rom und in Griechenland gab es imperialistische Weltreiche. Das Zeitalter des Imperialismus, wie wir ihn heute verstehen, beginnt mit der Kolonialisierung von Nord- und Lateinamerika sowie von Asien zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert durch Spanien und Portugal. Eine zweite Phase umfasst die Expansion der europäischen Mächte, der Vereinigten Staaten, Japans und des Osmanischen Reiches im späten 19. und im frühen 20. Jahrhundert.
Globaler Süden und Globaler Norden
Die Bezeichnungen „Globaler Süden“ und „Globaler Norden“ beschreiben keinen geografischen Raum, sondern spiegeln die Folgen kolonialer Ausbeutung wider: Länder des „Globalen Nordens“ sind bis heute in einer privilegierten Position, Länder des „Globalen Südens“ benachteiligt. Doch diese Einteilung verallgemeinert sehr unterschiedliche Gesellschaften. So leben in Ländern wie Australien – geografischer „Süden“, politischer „Norden“ – Aboriginals, die Teil des „Globalen Südens“ sind. In Namibia, einem Land des „Globalen Südens“, zählen weiße Farmer:innen zum „Globalen Norden“. Die Begriffe dienen jedoch als Hilfsmittel, um andere herabsetzende Einteilungen zu ersetzen, etwa „Entwicklungsländer – entwickelte Länder“ oder „Erste, Zweite und Dritte Welt“. Ihnen liegt die Annahme zugrunde, dass sich alle Länder an einem „westlichen Ideal“ orientieren müssen. Länder außerdem in Kategorien einzuteilen, etwa anhand des Pro-Kopf-Einkommens, vereinfacht zu sehr.
Genozid
Genozid ist seit 1948 ein Straftatbestand im Völkerstrafrecht und kann nicht verjähren. Der Begriff bezeichnet die Absicht, auf direkte oder indirekte Weise eine Gruppe von Menschen „ganz oder teilweise zu zerstören“, die derselben Nation, Ethnie, (konstruierten) „Rasse“ oder Religion angehören. Der Begriff geht auf den polnisch-jüdischen Juristen Raphael Lemkin zurück, der fast seine gesamte Familie im Holocaust verlor. Angesichts der Shoah und des Völkermordes an den Armenier:innen durch das Osmanische Reich schuf er einen Rechtsbegriff, auf dessen Grundlage Völkermorde systematisch bestraft werden können. 2021 erkannte die deutsche Regierung den Genozid (1904–1908) an den Ovaherero und Nama in Nambia an. Zwar gilt das Völkerstrafrecht nicht rückwirkend, dennoch hat Deutschland 1,1 Milliarden Euro „zum Wiederaufbau und zur Entwicklung“ versprochen. Namibische Aktivist:innen kritisieren das als nicht ausreichend.
Dieser Text erschien in der Ausgabe Oktober/November 2021 mit dem Titel „Tschüss, Kolonialismus“.