Köchin Nonhlanhla Godole aus Südafrika

„Ich hole mir meine Nahrungsfreiheit zurück“

Pommes, Toast und Würstchen haben die traditionelle Ernährung in Südafrika verdrängt. Menschen wie die Köchin Nonhlanhla Godole versuchen, die alte Esskultur wiederzubeleben.

Nonhlanhla Godole fastet. Ein Monat Rohkost ist ihr Opfer für die Vorfahren. Doch ihre selbst auferlegte Reinigung hält die Köchin nicht davon ab, schon vormittags an Pfannen und Töpfen zu stehen, in denen es zischt und blubbert und duftet. Auf der Anrichte liegen die Überbleibsel vom Sorghum-Brot, das sie am frühen Morgen für eine Kundin gebacken hat. Dazu Salat und hausgemachte Paprikapaste.

Godole brutzelt in der Küche ihres Hofes nahe der südafrikanischen Metropole Johannesburg. Sie kocht auf vier Gasherden gleichzeitig, schnippelt und holt zwischendurch etwas aus dem Kühlschrank. Es ist Sonntag. Am Nachmittag hat sie einen weiteren Auftrag abzuarbeiten: Smudge, ein von ihr geschnürtes Bündel aus verschiedenen indigenen Kräutern; und Chai, ihre selbst zusammengestellte Teemischung.

Vorbereitung im Wohnzimmer: Godole schnürt ein Bündel aus indigenen Kräutern, den Smudge. Bild: Victoria Schneider

Essen ist für die 35-jährige Südafrikanerin mehr als guter Geschmack und Sattwerden. „Nahrung ist Leben“, sagt sie. „Sie hat heilende Kräfte und ist das Tor zu unseren Vorfahren.“ Für Godole zählt, woher das Essen kommt und wie es zubereitet wird. „Heute ist Essen bei uns keine Kultur mehr“, sagt sie. „Es ist ein System. Denn unser Geist, unser Körper und unsere Kulturen wurden kolonialisiert. Da kam jemand und erfand unsere Geschichte neu, jetzt machen wir mit und haben uns verirrt.“ Vier Supermarktketten dominieren die Nahrungskultur in Südafrika. Die Leute ernähren sich vor allem von Schnellgerichten wie Kota (weißes Toastbrot gefüllt mit Würstchen und Saucen) und Pommes. Godole sieht sich daher als Vorreiterin einer Kultur, die in kollektive Vergessenheit geraten ist.

Die Kolonialgeschichte des Landes begann im 17. Jahrhundert und endete vor 27 Jahren: Erst kamen die Niederländer:innen, später die Brit:innen. Sie teilten das Land unter sich auf. 1948 führte die nationalistische Burenpartei die Apartheid ein, eine Staatsstruktur, die die Schwarze Bevölkerung der weißen systematisch unterwarf und die Menschen nach Hautfarbe klassifizierte: „weiß“, „coloured“, „indisch“ und „Schwarz“. Das Wissen der indigenen Völker galt als wertlos, es wurde aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht. Erst 1994 endete die Schreckensherrschaft.

Seit einigen Jahren werden Stimmen lauter, die koloniale Strukturen infrage stellen, die bis heute wirken. In der Landwirtschaft geht es vor allem um den Kampf gegen die Saatgutmonopole ausländischer Konzerne. Laut Access to Seed Foundation haben DowDuPont und (Bayer-)Monsanto bei den fünf wichtigsten Kulturpflanzen in Südafrika einen Marktanteil von knapp 85 Prozent. Ein 2018 erneuertes Saatgut-Gesetz limitiert den freien Austausch von Saatgut streng, auf Kosten der Kleinbäuer:innen. „Die Menschen kaufen heute Samen, anstatt sie selbst aus Pflanzen zu gewinnen“, sagt Mashudu Thakalani von der EarthLore Foundation. Die Stiftung organisiert Dorfdialoge – Infoveranstaltungen zu Brauchtum und Saatgut-Tauschbörsen zugleich.

Die 28-jährige Aktivistin kommt aus Venda, einer Provinz im Norden Südafrikas. Sie hat viel gesehen auf ihren Besuchen: „Trockene Flüsse, ausbleibende Ernten.“ Sie sagt, die Kolonialisierung habe das Leben in traditionellen Gemeinden aus dem Gleichgewicht gebracht, spirituell und kulturell. Fingerhirse zum Beispiel ist in Venda eine heilige Saat. Mit ihr wird den Ahn:innen in den Regenzeremonien gedankt, „sie ist das Tor zu den Vorfahren“. Doch heute sind die Samen kaum noch zu finden. Sie wurden durch kommerzielle Arten ersetzt. „Die Regierung spendet chemische Düngemittel und wirbt für neue Samen, aus denen Pflanzen entstehen, die sich nicht fortpflanzen können“, sagt Thakalani. Neue Samenarten wachsen schnell und seien einfacher zu kochen. So verschwindet die Tradition. „Mit den Dorfdialogen versuchen wir, die Mentalität der Menschen zu dekolonialisieren.“ Im Norden hat EarthLore geholfen, alte Pflanzen wieder einzuführen.

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Aktivist:innen argumentieren, dass diversifiziertes Saatgut und Kleinbäuer:innenförderung zudem eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Hunger spiele. Allein im vergangenen Jahr stieg die akute Nahrungsunsicherheit in Südafrika von 16 auf 20 Prozent, Covid-19 war nur ein Grund dafür.

Auch Kochaktivistin Nonhlanhla Godole fordert ein Umdenken. „Wie kann es sein, dass Menschen hungern, wenn man bei uns doch alles in der Natur findet?“, fragt sie. Sie liebt es, auf Nahrungssuche zu gehen und sich an Pflanzen wie Amaranth zu bedienen, einem grünen Blattgemüse und Korn. „Der pflanzt sich ganz von selbst fort.“ Sie holt einen Eimer mit Sorghum unter dem Tresen hervor, macht den Deckel auf und verzieht das Gesicht. „Das muss so sein, es fermentiert“, sagt sie lachend.

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Gerichte träumen

Sorghum spielt eine wichtige Rolle in ihrer Küche. Das hirseähnliche Korn ist heimisch im südlichen Afrika und kann in unterschiedlicher Form zubereitet werden. Ihre Rezepte kommen ihr manchmal im Traum, wie das Gericht, das sie heute kocht: „Okra-Bambara-Nuss-Curry, dazu cremig-nussiges Süßkartoffelblatt- und Waldohrpilz-Stir-fry und ein pikantes Ting ya Mabele (fermentierter Sorghumbrei, Anm. d. Red.) gekocht in Kokosmilch, Knoblauch und Kräutern, und ein bisschen Limette obendrauf“.

Für ihre Gerichte wie das Okra-Bambara-Nuss-Curry wirbt Nonhlanhla Godole in ihrem Instagram-Kanal @zulustarr. Bild: Victoria Schneider

Das klingt nicht nur für europäische Ohren exotisch. Denn auch wenn die Zutaten in Südafrika oft im Garten wachsen oder auf lokalen Märkten zu bekommen sind – in den kommerziellen Supermärkten des Landes findet man sie nicht. Die arme Bevölkerung isst vor allem „Pap“, so heißt der weiße Maisbrei auf Afrikaans, der Sprache der Buren. Als Spezialitäten gelten Gerichte, die nichts mit einheimischem Gemüse und Getreide zu tun haben: Bobotie aus Malaysia; Birjani, Indien; Boereworst, Niederlande; Bunny Chow, von der indischen Gemeinschaft in Durban.

„Viele denken, dass Mogodu (Innereien aus der Pfanne, Anm. d. Red.) ein traditionelles Gericht ist.“ Oder Pap. Zwar wurden diese Gerichte tatsächlich in Südafrika erfunden, allerdings erst, nachdem die Portugies:innen im 16. Jahrhundert Mais auf dem afrikanischen Kontinent eingeführt hatten. Innereien waren ein Wegwerfprodukt der Weißen. „An Weihnachten schlachteten sie ein Schaf und gaben uns den Abfall“, erzählt Godole. „So bekamen unsere Leute das Gefühl, es sei Tradition.“

Sie ist bei ihrer Urgroßmutter in der Provinz Ostkap aufgewachsen, für sie ein Glück. „Meine Uroma mahlte das Getreide mit dem Stein. Boom – dann hatten wir Brot.“ Nur Salz mussten sie kaufen. Als Neunjährige kam Godole 1994 nach Johannesburg. „Hier aßen die Menschen weißes Brot und Chakalaka, ein südafrikanisches Chutney.“

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Heute sieht sie in jener Zeit den Beginn ihrer Reise. „Meine Nahrungsfreiheit wurde mir damals genommen“, sagt Godole. „Jetzt hole ich sie mir wieder zurück.“ Einige Jahre arbeitete sie in einer Apotheke, dann machte sie eine Ausbildung als Köchin. „In der Kochschule erzählen sie von den Franzosen, den Italienern, den Soßen. Wissen über unsere Lebensmittel wird nicht vermittelt.“ Auf Sauce Hollandaise antwortet Godole nun mit ihren eigenen Kreationen: Sie experimentiert mit Kräutern, mischt das indigene Gewächs Imphepo unter, nutzt Kokos statt Butter.

Auf ihrem Hof vor Johannesburg will sich die Südafrikanerin ihren Traum vom eigenen Restaurant erfüllen und plant einen Laden, in dem sie Getreide, Kräuter und Hülsenfrüchte verkauft. Mit der von ihr gegründeten Firma PlugnDigenous veranstaltet sie Events, gibt Kochkurse und kocht auf Bestellung. Oder einfach so, für die Familie. Sogar, wenn sie fastet.

Dieser Text erschien in der Ausgabe Oktober/November 2021 mit dem Titel „Tschüss, Kolonialismus“.

Bild: Victoria Schneider

Die Kolonialisierung habe das Leben in traditionellen Gemeinden Südafrikas aus dem Gleichgewicht gebracht, sagt die Köchin Nonhlanhla Godole. Mit ihren Gerichten möchte sie die ursprünglich heimischen Zutaten des Landes zurückbringen.

Victoria Schneider

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