Wasserkraft in Bhutan

Ein klimaneutrales Königreich

Das kleine Königreich Bhutan ist ein relativ armes Land mit wenig Industrie. Gleichzeitig gilt Bhutan als einziger klimaneutraler Staat weltweit und deckt fast seinen gesamten Energiebedarf mit Wasserkraft. Ein Besuch im Himalaya.

Abgeschirmt von den höchsten Bergen des Himalaya liegt dieses kleine Land – fast so, als wolle es sich vor der Welt verstecken: Eingeklemmt zwischen China und Indien leben seine etwa 770.000 Einwohner nach buddhistischer Religion. Endlose Wälder, mächtige Gletscher und Flüsse, die das ganze Land von der Größe der Schweiz durchziehen – Bhutan schöpft aus seinen natürlichen Reichtümern. Allerdings mit behutsamer staatlicher Lenkung. Denn das Himalaya-Königreich kann nicht auf wertvolle Bodenschätze zählen, sondern meistert die Versorgung der Bevölkerung durch behutsame Öffnung. Haupteinnahmequelle ist der Export von „grünem Strom“ aus Wasserkraft – neben dem Tourismus. Weil das Potenzial hier noch lange nicht ausgeschöpft ist, und das Land dringend Geld braucht, werden neue Kraftwerke mit finanzieller Hilfe der Nachbarstaaten gebaut – mit neuen wirtschaftlichen Abhängigkeiten. Wie nachhaltig – sozial und ökonomisch – ist also der Ausbau von Stromgewinnung und Tourismus für das buddhistische Land?

Mit seinen bis zu 7.500 Meter hohen Bergen, zahlreichen Flüssen, Gletschern und Niederschlägen ist Bhutan wie geschaffen für die Energiegewinnung aus Wasserkraft. Die Turbinen in den Wasserkraftwerken spülen neben dem Tourismussektor Geld in die Staatskasse – ganz ohne Treibhausgase, erklärt Sonam Loday, unser ständiger Begleiter. Denn ohne vorheriges Reisearrangement wird niemand aus Übersee ins Land gelassen. 250 US-Dollar „Eintrittsgeld“ pro Tag und Tourist verlangt das kleine Königreich – Unterkunft, Transport und Tourguide inbegriffen.

Tourguide Sonam Loday ist ständiger Begleiter unser Autor*innen. Ohne vorheriges Reisearrangement lässt das Königreich Touristen nicht ins Land. Bild: Anja Steinbuch/ Michael Marek

Wasserkraft in Bhutan: Sauberes Geld durch wilde Flüsse

Wie viele jüngere Bhutaner spricht Sonam Loday fließend Englisch und arbeitet als Übersetzer. Denn abseits der Hauptstadt Thimphu und bei älteren Einwohnern ist es schwierig, sich mit Bhutanern direkt zu unterhalten: Die meisten sprechen nur die Nationalsprache Dzonkha. Bei unserer Fahrt durch das Tal von Phunakha ist überall sichtbar: Wilde Flüsse stürzen sich talwärts. „Das ist unser wirtschaftliches Rückgrat“, erklärt er mit Blick auf den Fluss. „Wir wollen ein Vorbild sein und grüne, saubere Energie verkaufen. So verdienen wir sauberes Geld, kein schmutziges.“

Fast acht Milliarden Kilowattstunden CO2-freien Strom aus Wasserkraft produziert Bhutan im Jahr. Das sind fast ein Drittel dessen, was die hochindustrialisierte Bundesrepublik schafft. Dreiviertel des Stroms aus Bhutan fließen direkt nach Indien – wichtige Exporte, die mehr als 50 Prozent der Staatsausgaben decken. Denn die Güter des täglichen Lebens müssen fast komplett importiert werden: jede Bohrmaschine, jeder Stahlträger, jedes Smartphone, alle Arzneimittel, Benzin und jeder Geländewagen. Auch Grundnahrungsmittel wie zum Beispiel Fleisch müssen eingeführt werden.

In der Hauptstadt Thimphu bestätigt Chhewang Rinzin die lebensnotwendige Rolle der Wasserkraft für sein Land. Als Generaldirektor steht er der Druk Green Power Corporation vor, dem staatlichen Strom-Monopolisten. Für das kleine Bhutan ist die nachhaltige Energiegewinnung aus Wasserkraft der wichtigste Wirtschaftszweig. Trotz der vielen Wälder spielt die Holzwirtschaft keine Rolle.

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Chhewang Rinzin, Generaldirektor der Druk Green Power Corporation, dem staatlichen Strom-Monopolisten, bestätigt die lebensnotwendige Rolle der Wasserkraft für sein Land. Bild: Anja Steinbuch/ Michael Marek

Umweltschutz ist Staatsziel

Bhutan gehört laut den Vereinten Nationen zu den sogenannten  „least developed countries“, also zu den Ländern in der Welt, die am wenigsten „entwickelt“ sind: Das Königreich hat praktisch gar keine Industrie, 40 Prozent der Menschen leben noch von der Subsistenzwirtschaft. Mit Reis, Gemüse und Obst werden nur 16 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet. Andererseits wird Umweltschutz als eines von vier Staatszielen praktiziert und ist in der Verfassung festgeschrieben.

Knapp 30 Prozent der Staatseinnahmen werden mit Wasserkraft erwirtschaftet. Rinzin weist daraufhin, dass Bhutan sich aufgrund seiner geographischen Gegebenheiten niemals zu einem hochindustrialisierten Land wird entwickeln können. Energiegewinnung, Tourismus und ein wenig Export von Agrarprodukten wie Äpfel sind die einzigen Devisenquellen des armen Landes. Das Bruttoinlandsprodukt lag 2018 laut Weltbank bei nur 3.100 US-Dollar pro Kopf – weniger als ein Zehntel des deutschen. Ein Viertel der Bhutaner lebt von 28 US-Dollar im Monat und damit unter der Armutsgrenze.

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Grüne Energie für Import und Tourismus

Entwicklungszusammenarbeit konzentriert sich meist auf den Bau von Wasserkraftanlagen. Hierfür fließen Summen in Höhe von 97 Millionen US Dollar pro Jahr. Wichtigste Geldgeber sind die Asian Development Bank, die Weltbank, sowie Japan und Australien. Rinzin weist zudem auf eine traditionelle Abhängigkeit von Indien hin: „Energie, die wir nicht brauchen, leiten wir nach Indien weiter, damit bezahlen wir praktisch all die Waren, die wir importieren. Für unsere eigene Energieversorgung und sozio-ökonomisch ist Wasserkraft von enormer Bedeutung für uns.“

Die grüne Energiegewinnung ist noch aus einem anderen Grund wichtig für Bhutan: Die Regierung will den Tourismus steigern. Dafür und für neue Infrastrukturprojekte braucht das Land billige Energie.

Nur ein paar Häuser weiter in der Hauptstadt hat Dorji Dhradhul sein Büro. Er ist ein vielgefragter Mann. Als Chef des Tourismusrates fungiert er praktisch als Tourismusminister des Landes. Schon jetzt ist der Tourismus zweitwichtigste Einnahmequelle für den Staatshaushalt. Und Minister Dhradhul hat ehrgeizige Pläne – nämlich aus Bhutan eine Luxus-Destination zu machen. Erst in den 1970er Jahren wurde Bhutan für eine begrenzte Anzahl Touristen geöffnet. „Das war anlässlich der Krönung des vierten Königs“ , präzisiert Dhradhul. Es sei der Startschuss für den Tourismus gewesen. Und die Staatsdoktrin sei damals schon high value – low volume gewesen: zahlungskräftige Urlauber in geringer Zahl. Das sei auch heute noch die Tourismusstrategie. Low-budget Rucksacktouristen können sich den Aufenthalt nicht leisten. 2018 kamen 275.000 Touristen Bhutan, das ist deutlich weniger als zum Beispiel die Besucherzahl in Nepal. Für einen Ministaat wie Bhutan trotzdem eine Herausforderung. Dhradhul bezeichnet Bhutan als Shangri-La, den Himmel auf Erden und will diesen Ruf weltweit stärken. Es könne eben nicht jeder in den Himmel kommen. Bis 2025 wünscht sich der Tourismusminister sogar 400.000 Urlauber im Land, gut doppelt so viele wie heute. Die Touristen bringen Geld und schaffen Arbeitsplätze.

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Dorji Dradhul ist Chef des Tourismusrates von Bhutan. Die Reisebranche ist die zweitwichtigste Einnahmequelle für den Staatshaushalt. Bild: Anja Steinbuch/ Michael Marek

Wasserkraft in Bhutan: Investition birgt auch Probleme

Zugleich versucht Bhutan seine Landwirtschaft anzukurbeln. Auch dafür braucht das Land Energie aus Wasserkraft. Neue Projekte sind geplant. Investieren will man in erster Linie in Vorhaltebecken, mit denen Speichermöglichkeiten geschaffen werden können. Damit können Produktionsschwankungen abgefedert werden. Bei den bisherigen Kraftwerken handelt es sich um sogenannte Laufwasserkraft, also Kraftwerke ohne gewaltige Staudämme. Je nach Wassermenge fließt der Strom nur direkt in das heimische Stromnetz oder zum Nachbarn Indien. Hinzu komme noch ein weiteres Problem, so der CEO von Druk Green Power Chhewang Rinzin: „Indien investiert viel Geld in Solar- und Windanlagen.“ Noch ist der daraus gewonnene Strom zu teuer, aber in zehn Jahren könnte das eine echte Konkurrenz zum Strom aus Wasserkraft made in Bhutan sein. Wovon bezahlt Bhutan dann seine Importe?

Schon jetzt hat wegen der Finanzierung von Wasserkraftwerken die Staatsverschuldung des Landes 2,8 Milliarden Dollar erreicht, wovon die Kredite für Wasserkraft etwa drei Viertel ausmachen. Ein Viertel des Haushaltsdefizits wird von Indien finanziert. Für ein armes Land wie Bhutan ist das mit enormen Risiken verbunden. Rinzin hofft aber vor allem auf Bangladesh als weiteren großen Kunden. Auch seinen eigenen Energiebedarf stillt das Land fast ausschließlich mit Wasserkraft. Trotzdem beschweren sich viele Bhutaner über hohe Stromrechnungen, die durchschnittlich etwa 25 Prozent des monatlichen Einkommens verschlingen. Dezentrale Stromversorgung in ländlichen Gebieten soll Abhilfe schaffen. Bisher werden gerade mal 2.000 Haushalte durch Mini-Grids wie Solar- und Windkraftanlagen vor Ort versorgt. Weitere Gebirgsdörfer sollen zwar folgen, aber derzeit sind Sonnen- und Windenergieanlagen keine Alternativen, weil sie für das arme Bhutan zu teuer sind. Und auf eines ist Druk Energy Chef Chhewang Rinzin besonders stolz: 99 Prozent der Bevölkerung haben Zugang zum Stromnetz. Schließlich leben mehr als 60 Prozent der Bevölkerung in kleinen Dörfern weit entfernt von Ballungszentren.

Das Chukha Wasserkraftwerk ist eines der wichtigen grünen Stromproduzenten in Bhutan. Bild: Anja Steinbuch/ Michael Marek

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Vorreiter im Klimaschutz und nationalem Glück

Das Königreich ist Vorreiter, wenn es gilt, natürliche Ressourcen zu bewahren – nicht nur in Asien. Zu diesem Ergebnis kommt der „Climate Action Tracker“, eine englischsprachige Internetseite, auf der die globale Erwärmung der Erde betrachtet werden kann – erstellt unter anderem von renommierten Instituten wie dem Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung“. Demnach ergreifen bislang nur acht Staaten – darunter Bhutan –  ausreichende Maßnahmen, um die globale Erderwärmung auf unter zwei Grad Celsius zu begrenzen, wie es das Pariser Klimaabkommen verlangt. Das Königreich gilt als einziges klimaneutrales Land der Welt, denn Bhutan ist nicht nur CO2-neutral, sondern sogar CO2-negativ. Der Wald des Königreiches, der über 70 Prozent des Landes bedeckt, schluckt dreimal so viel Kohlendioxid wie das Land ausstößt.

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Zugleich gilt das Königreich Bhutan als Land des Glücks, weil hier das „Bruttonationalglück“ und nicht nur das Bruttosozialprodukt gemessen wird. Denn das Recht auf Glück ist in Bhutan per Gesetz Ziel allen staatlichen Handelns und in der Verfassung verankert. 2008 wurde aus einer absolutistischen Monarchie eine konstitutionelle, es gibt Schulbildung für alle Bürger und eine funktionierende medizinische Versorgung – wenngleich auf niedrigem Niveau. Nach den Umfragen sind die allermeisten Bhutaner zufrieden mit ihrem Leben. Auch wegen der buddhistischen Religion, nach der das Leben leidhaft ist und man sich nicht nur um die materiellen Dinge kümmern sollte, sondern mehr um sein geistiges Wohlbefinden.

Raus aus der Abhängigkeit

Der Preis für die langsame und umweltfreundliche Entwicklung: Bhutans wirtschaftliche Situation des Landes ist schwierig, es gibt eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, die Auslandsschulden sind enorm. Darauf weist auch Karma Phuntsho hin, der sich intensiv mit der sozial-ökonomischen Geschichte des Landes beschäftigt hat. Der 52-Jährige ist Historiker, hat an den Universitäten von Cambridge und Oxford studiert: Für ihn ist die Staatsdoktrin, die das Bruttonationalglück in den Mittelpunkt stellt, kein Allheilmittel. Im Gegenteil: Er prangert die schlechte Versorgungslage in seinem Land an. Jeder brauche schließlich ein Minimum an Wasser, Nahrung und medizinischer Versorgung, um glücklich zu sein.

Dabei nutzt Bhutan gerade mal 6,5 Prozent seines geschätzten Wasserkraftpotenzials, das mit 24.000 Megawatt beziffert wird. 12 weitere Kraftwerke mit insgesamt 10.000 Megawatt sind geplant. Als Investoren engagieren sich neben der Asian Development Bank auch Staaten wie Australien und Japan und Haupthandelspartner Indien. Das schaffe Abhängigkeiten, die in Bhutan zuweilen als beengend empfunden würden, so Historiker Phuntsho. Inzwischen hat die Corona-Pandemie die Tourismusbranche lahmgelegt. Die Regierung lässt derzeit keine Ausländer mehr ins Land. So konnte die Infektionskurve zwar bislang flach gehalten werden, niemand ist bislang an oder mit dem Virus gestorben. Ob in diesem Jahr überhaupt noch Touristen kommen, ist ungewiss. Einnahmen aus dem Tourismus fallen damit weg – ein weiterer Grund um weiter auf den „grünen Reichtum“ – Energie aus Wasserkraft zu setzen. Das ist die Chance für Bhutan, um sich weiter gegen den mächtigen Nachbarn Indien zu behaupten.

Bild: Anja Steinbuch und Michael Marek

Im Tal von Phunakha stürzen sich wilde Flüsse talabwärts durch die grüne Landschaft. Die Flüsse sind das wirtschaftliche Rückgrat Bhutans, denn aus der Kraft des Wassers wird grüne Energie gewonnen.

Anja Steinbuch und Michael Marek

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