Kommentar

Eine gelungene Energiewende ist Friedenspolitik

Mehr als 50 Prozent der deutschen Gas-Importe kommen aus Russland. Der Krieg in der Ukraine zeigt, wie wichtig es ist, sich schnellstmöglich von derartigen Rohstoffabhängigkeiten zu befreien. Für den Umbau der Versorgung gibt es keinen Masterplan, aber viele vielversprechende Innovationen und Lösungen. Sie müssen nun noch schneller und effizienter gefördert werden.

Es braucht die Energiewende zwingend für eine lebenswerte Zukunft. Es gibt keine Alternative dazu. Weder gesellschaftlich, noch politisch. Der am 28. Februar vom Weltklimarat (IPCC) veröffentlichte Bericht zu den Folgen der Klimakrise ist diesbezüglich unmissverständlich – hier gibt’s die zentralen Aussagen auf Deutsch.

Wie bei derartigen Analysen üblich, verbirgt sich die dynamische Dramatik hinter etwas hölzernen Formulierungen: Bis zu 3,6 Milliarden Menschen würden unter Bedingungen leben, die „sehr verwundbar gegenüber dem Klimawandel“ seien. Für einen Großteil der Arten auf der Erde gelte Ähnliches. Beides verstärkt einander: „Die Verwundbarkeit von Menschen und Ökosystemen sind voneinander abhängig.“ Und: „Die gegenwärtigen nicht-nachhaltigen Entwicklungsmuster erhöhen die Exposition von Ökosystemen und Menschen gegenüber Klimagefahren.“ Kurz: Was wir schon machen hilft, aber es ist viel, viel zu wenig. Eine Grundbedingung um die Klimaziele der nächsten Jahrzehnte erreichen zu können, wäre, so die Forschenden, dass bis zu 50 Prozent der Naturräume der Erdoberfläche „wirksam“ geschützt werden müssen.

Auch bei Good Impact: Aus der klimaneutralen Utopie muss jetzt eine Erfolgsstory werden

Einer der Co-Vorsitzenden der Arbeitsgruppe, die den Bericht erstellt hat, der deutsche Meeresbiologe Hans-Otto Pörtner, sagte zum Krieg in der Ukraine: „Dieser Konflikt fühlt sich an wie aus der Zeit gefallen, wenn man sich überlegt, welche existenziellen Nöte die Menschheit eigentlich hat im Kontext der Auswirkungen des Klimawandels und des Biodiversitätsverlustes.“

Das ist weder zynisch noch pietätlos, noch soll es das Leid der Menschen verharmlosen oder herabsetzen. Viel eher geht es um die nüchterne Erkenntnis, dass eine verantwortungsvolle, nachhaltige Energiepolitik auch pragmatische Friedenspolitik ist  – und letztlich mit Blick auf die gemeinsamen globalen Herausforderungen auch zwingend sein muss. Das ist eine entscheidende Prämisse für das 21. Jahrhundert.

Friedenspolitik: Erneuerbare Energien sind Freiheitsenergien

Die bisherige, realpolitische Prämisse, dass intensive wirtschaftliche Verflechtungen einen Kriegstreiber stoppen können – 2021 importierte Deutschland Gas, Kohle und Erdöl im Wert von 21,6 Milliarden Euro aus Russland – hat Putin selbst, ohne zu zögern, abgeräumt. Dass sich die Bundesregierung am Sonntag wiederum vom eigenen Zögern befreit hat, ist, nicht nur gemessen an der parlamentarischen und weltweiten Zustimmung, ein historischer, richtiger Schritt.

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Bundesfinanzminister Christian Lindner brachte es in seiner Rede im Deutschen Bundestag während der Sondersitzung zum Ukraine-Krieg lakonisch auf den Punkt: „Erneuerbare Energien leisten nämlich nicht nur einen Beitrag zur Energiesicherheit und -versorgung. Erneuerbare Energien lösen uns von Abhängigkeiten. Erneuerbare Energien sind deshalb Freiheitsenergien. Wir setzen auf Freiheitsenergien.“ In dieser Deutlichkeit bemerkenswerte, feine Sätze.

Wer weiß, vielleicht hat der FDP-Vorsitzende sich die Worte der Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer zu Herzen genommen, die kurz zuvor treffend sagte: „Wir lernen gerade, dass Gesellschaften und Demokratien nicht vollumfänglich frei sein können, solange ihre Energieversorgung von Autokraten abhängt.“

Recht haben beide, aber zur Wahrheit gehört auch jenseits der Rhetorik, dass wir zwar – laut Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck – mit der gespeicherten Menge Gas durch die erste Jahreshälfte kommen, bis dahin braucht es aber neue Lieferoptionen und Speichermöglichkeiten für den kommenden Winter. Denn: Mehr als 50 Prozent der deutschen Gasimporte kommen aus Russland. Wiederum rund 27 Prozent des deutschen Primärenergieverbrauchs werden durch Gas gedeckt. Wir brauchen Gas vor allem zum Heizen und zur Stromerzeugung. Es ist utopisch anzunehmen, dass sich innerhalb von ein paar Monaten, bei allen entschiedenen Bekenntnissen zur Energiewende, diese Zwänge kurzfristig auflösen ließen.

Somit wird immer wichtiger, entschieden nach Alternativen zu suchen, die schnell skalierbar sind. Wasserstoff kann dabei nur eine, wenn auch eine sehr wichtige Option von vielen sein. Auch hier muss eine entsprechende Infrastruktur eng gekoppelt an die „Freiheitsenergien“ erst noch entstehen. Nur grüner Wasserstoff macht wirklich Sinn und dafür braucht es eben Wind und Sonne.

Es braucht ein buntes Paket von Lösungen – regional, national und global. Und es braucht die entschiedene Bereitschaft aller, aussichtsreiche Ideen und Innovationen wie etwa Pflanzenkohle oder Eisenpulver oder Agaven noch stärker zu fördern und zu unterstützen.

Mehr dazu, wie die Energiewende schneller gelingen kann, erfahrt Ihr auch in der aktuelle Ausgabe.

Foto: IMAGO / Bildgehege

Demonstration gegen den Ukraine-Krieg am 27. Februar 2022 in Berlin.

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