Während wir mit der Sommerhitze kämpfen, und sich die Dürre ein weiteres Jahr in Folge bemerkbar macht, räumte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier Mitte August gegenüber der Deutschen Presse-Agentur Fehler bei der Klimaschutzpolitik ein. Dieses Eingeständnis ist mehr als überfällig. Die Erkenntnis allein „in den nächsten Monaten dafür sorgen zu müssen, den Weg zur CO2-Neutralität unumkehrbar zu machen”, reicht aber nicht aus. Aktuelle wirtschafts- und energiepolitische Vorgehen lassen die Ankündigung als wenig glaubwürdig erscheinen.
Die Maßnahmen, um die Konjunktur in der Covid-19-Pandemie anzukurbeln, sind aus Klimaschutz-Sicht sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene mehr als mager. Es dominieren weiterhin Lösungen für eine Wirtschaft von gestern – wenn überhaupt, wurde den Vorschlägen ein blassgrüner Anstrich verliehen. Die Schnelligkeit bei der Umsetzung der Konjunkturpakete zeigt einen Aktionismus ohne klimagerechten Fahrplan. Um unser Wirtschaftssystem nachhaltig und krisensicher zu gestalten, brauchen wir den Einklang von Ökonomie und Ökologie und schnellstmöglich 100 Prozent Erneuerbare – auch auf europäischer Ebene.
Fossile Denkmuster dominieren
Es wird noch immer fossil gedacht. Das zeigen der verschobene Kohleausstieg, die Inbetriebnahme des Kohlekraftwerks Datteln 4, ein symbolischer CO2-Preis sowie der geplante Bau von LNG-Terminals (Flüssigerdgas, Anm. d. Red.) und der Gaspipeline Nord-Stream 2. Auch die beschlossene Wasserstoffstrategie ist ein Paradebeispiel für ein Denken in alten Mustern. Wasserstoff, der nicht ausschließlich auf Erneuerbaren fußt, ist eine Farce. Die Frage, woher die benötigte Menge an Erneuerbaren Energien kommen soll, steht unbeantwortet im Raum. So kommen alte Bekannte – CO2-intensive Rohstoffe wie Erdgas, Kohle oder Methan – ins Spiel.
Gleichzeitig werden Windkraft und Photovoltaik (PV) immer wieder Steine in den Weg gelegt – sei es mit der langen Zitterpartie bis zur Aufhebung des Solardeckels im Juni 2020, der Frage, was beim Auslaufen der Einspeisevergütung für PV-Anlagen ab 2021 geschieht oder dem Streit um Onshore- und Offshore-Windanlagen. Die Bundesregierung erweckt nicht den Eindruck, die Erneuerbaren Energien wirklich vorantreiben und damit einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten zu wollen.
Erneuerbare Energien boomen
Großen Tatendrang für mehr Klimaschutz und saubere Energie zeigen aktuell die Verbraucher*innen. Die Nachfrage nach Photovoltaik-Anlagen für das Eigenheim steigt stark. Dass Hauseigentümer*innen die Energiewende wollen und selber vorantreiben, gibt Hoffnung. Photovoltaik-Anbieter, die mit extra entwickelten Angeboten wie einem Online-Konfigurator für die Planung einer PV-Anlage und einer digitalen Schnittstelle für lokale Handwerksbetriebe überzeugen, bedienen die steigende Nachfrage und profitieren 2020 von diesem Wachstum.
Die Photovoltaik zeigt: Wirtschaftliches Wachstum und Geschäftsmodelle, die auf Nachhaltigkeit setzen, funktionieren – auch in der Krise. Dieses Potenzial gilt es weiter zu fördern. Neubauten, aber auch Gebäudesanierungen ohne eine Solaranlage dürfen keine Option mehr sein. Die Politik sollte das Signal der Bürger*innen ernst nehmen und entsprechende Anreize für sauberen Strom vom Dach setzen. Dafür braucht es niedrigschwellige, unbürokratische und digitale Zugangsmöglichkeiten für Photovoltaik-Anlagen und den Anschluss ans Stromnetz. Klimaschutzmaßnahmen müssen belohnt, anstatt durch Umlagen und Steuern bestraft zu werden. Diese Umlagen und Steuern für klimafreundliche Investitionen wie Photovoltaik-Anlagen gehören abgeschafft. Die klimafreundlichste Energieversorgung sollte für die Verbraucher*innen die günstigste sein.
Auch bei Good Impact: Das lange Aus für die Kohle
Smarte & grüne Ideen fördern
Auf dem Markt positionieren sich immer mehr Start-ups, die sich dem Klima- und Umweltschutz durch Technologie und Digitalisierung verschrieben haben und innovative Lösungen präsentieren. Es ist gut, dass die Bundesregierung auch diesen Unternehmen in der Covid-19-Pandemie unter die Arme greift und erste Gelder der versprochenen zwei Milliarden Euro fließen – wenn auch mit Monaten Verspätung. Um dem grünen Entrepreneurship in Deutschland Aufwind zu verleihen, muss sich die Bundesregierung hier ebenfalls noch mehr den neuen Ansätzen gegenüber öffnen und sich von alten Mustern verabschieden.
Heute an morgen denken: 100 Prozent Erneuerbare Energien
Alt ist nicht per se schlecht. Geht es um die Energieversorgung, muss jedoch erneuerbar und CO2-arm das Leitprinzip werden. Das Ziel: So schnell wie möglich die Energieversorgung auf 100 Prozent Erneuerbare umstellen.
Dass wir können, wenn wir wollen, haben die schnellen politischen Vereinbarungen als Reaktion auf die Covid-19-Pandemie gezeigt. Und: Wenn nötig ist Geld da. Jetzt gilt es, diesen Tatendrang und Willen auf den Klimaschutz und die Energiewende zu übertragen, und es nicht nur bei Reuebekundungen und zukunftsträchtigen Ankündigungen zu belassen.
Auch bei Good Impact: Strommenge aus erneuerbaren Energien steigt auf 51,2 Prozent
Im ersten Schritt sollte die Bundesregierung ihr ehemaliges Profil als „Energiewende-Treiber” wieder schärfen. Kurzfristig könnte die politische Führungsebene eine Lösung für die am 1.1.2021 auslaufende Einspeisevergütung für PV-Anlagen präsentieren, die dafür sorgt, dass sich der grüne Strom vom Dach weiter lohnt und genutzt wird.
Bundeswirtschaftsminister Altmaier könnte mit der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes der große Wurf gelingen. Dafür muss er den Weg frei machen für so viel Wind und Sonne wie möglich. Die Bundesregierung hat spätestens nach der Bundestagswahl 2021 die Chance, sich neu aufzustellen und den grünen Bekenntnissen Glaubwürdigkeit zu verleihen. Die Einrichtung eines Ministeriums für Klimaschutz wäre ein guter Anfang.
Solarhaus-Siedlung in Gelsenkirchen: Unser Gastautor Alex Melzer findet, dass Tatendrang in puncto Klimaschutz und saubere Energie bisher vor allem die Verbraucher*innen zeigen (Archivbild).