Am Montag prophezeite Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner: „Es werden viele, viele Stunden Verhandlungen vor uns liegen bis tief in die Nacht.” Und: „Wir sind zum Erfolg verpflichtet.“ Die Verhandlungen der EU-Staaten über die künftige Agrarpolitik gingen bis Mittwochmorgen. Wie sieht er aus, der „Erfolg”?
Am Ende steht ein Kompromiss, den Umweltschützer*innen und -Politikerinnen stark kritisieren. Er sieht eine Reform der milliardenschweren Agrarpolitik vor, auf die sich die Agrarminister*innen der EU-Mitgliedstaaten nach fast zweitägigen Verhandlungen einigten.
Es geht um fast 390 Milliarden Euro
Nach dem Vorschlag der EU-Kommission sollen die Staaten unter anderem mehr Freiheiten bekommen, wie sie eine Reihe vorgegebener Ziele erreichen wollen – etwa die Erhaltung der Natur, den Klimaschutz und die Sicherung der Lebensmittelqualität. Dazu sollen sie jeweils nationale Pläne erstellen, die von der EU-Kommission genehmigt werden müssten.
Zudem sollen die Staaten „Öko-Regelungen“ anbieten, also Umweltvorgaben, die über die verpflichtenden Anforderungen hinausgehen. Erfüllt ein*e Landwirt*in sie, bekommt er/sie zusätzliches Geld. Darüber, ob die Länder dazu verpflichtet werden sollten, diese sogenannten Eco-Schemes anzubieten und wie viel Geld sie dafür reservieren sollen, wurde bis zuletzt gestritten. Der Kompromiss sieht nun unter anderem vor, dass EU-Staaten 20 Prozent der Direktzahlungen an die Landwirte für Öko-Regelungen reservieren müssen – inklusive zweijähriger „Lernphase”.
Am späten Dienstagabend hatte sich auch das Europaparlament auf zentrale Punkte der Reform verständigt. Demnach sollen unter anderem mindestens 30 Prozent der Direktzahlungen für Öko-Regelungen reserviert sein. Ende der Woche will das EU-Parlament seine Position endgültig festlegen, am Freitagabend sollen die Ergebnisse verkündet werden. Dann treten die Mitgliedstaaten in Verhandlung mit dem Parlament.
Bei der Agrarreform geht es um Hunderte Milliarden Euro – und damit um den größten Posten des EU-Budgets. Die EU-Kommission hatte 2018 eine umfassende Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) für die Jahre 2021 bis 2027 vorgeschlagen. Mittlerweile gilt für die nächsten zwei Jahre eine Übergangsphase, so dass neue Regeln erst ab 2023 in Kraft treten würden.
EU-Agrarreform: „Reicht hinten und vorne nicht“
Der Reformvorschlag der Mitgliedstaaten löst starke Kritik aus. Umweltschützer*innen halten es für notwendig, Subventionen streng an messbare Leistungen für die Ökosysteme zu koppeln. Die nun festgelegte Position der EU-Staaten, dass mindestens 20 Prozent der Direktzahlungen in jedem Staat für strengere Öko-Vorgaben reserviert werden sollen, biete keinen ökologischen Mehrwert im Vergleich zu vorigen Förderperiode, sagte Christoph Heinrich, Naturschutzvorstand des WWF. Er bezeichnete die Positionierung der Staaten als „desaströs”, weil der EU-Agrarrat seine zerstörerische Subventionspolitik zugunsten großer Agrarkonzerne fortführe.
Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Lasse van Aken kritisierte, der Agrarministerrat habe die „ohnehin schon schwache Vorlage der EU-Kommission bis zur Unkenntlichkeit verwässert”. Statt entschieden gegen Höfesterben, Artenverlust und die Klimakrise vorzugehen, betrieben viele der Minister*innen „Klientelpolitik für Großbetriebe und Agrarwirtschaft zu Lasten bäuerlicher Familienbetriebe und der Umwelt.” Diesen Vorwurf richtete er auch an Ministerin Julia Klöckner, die die Verhandlungen geleitet hatte.
Auch Grünen-Chef Robert Habeck kritisiert die Einigung der EU-Staaten als unzureichend. Die Beschlüsse „reichen hinten und vorne nicht, um die selbstgesteckten Ziele der EU zu erreichen und den Bäuerinnen und Bauern Sicherheit zu geben”, sagte Habeck am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. „Das klare Ziel sollte sein: Direkte Zuschüsse für die Fläche, egal was auf dem Acker passiert, werden abgeschafft.” Stattdessen müssten Bauern Geld bekommen, die gesellschaftliche Leistungen erbringen. Eine solche „Gemeinwohlprämie” müsse jetzt schrittweise und mit klaren Etappenzielen eingeführt werden.
Diese „Weitsicht und Konsequenz” fehle, sagte Habeck mit Blick auf die Einigung, die vorsieht, dass künftig unter anderem ein Fünftel der bisherigen Direktzahlungen an die Landwirte an strengere Öko-Vorgaben gekoppelt werden. „Es ist absolut enttäuschend, wie wenig politische Konsequenzen die gesellschaftliche und wissenschaftliche Debatte hat.”
Der WWF bezeichnet die heute geschlossenen Kompromisse für eine EU-Agrarreform als „Katastrophe für Natur- und Klimaschutz”.