Wir sind noch zu retten

So geht Konstruktiver Journalismus

Nichts als bad news? Journalismus geht auch anders. Das Ziel dabei ist nicht Wohlfühljournalismus, sondern vielfältige, kritische Berichterstattung, die auch nach Lösungen sucht.

So lange es Nachrichten gibt, gibt es auch schlechte. Ihre Verbreitung funktioniert hervorragend. Wird’s allerdings zu viel, schalten Menschen ab. Sie empfinden die Berichterstattung oft als einseitig, unausgewogen. Der Digital News Report 2022 des Reuters Institute verrät: 38 Prozent der 93.000 Befragten weltweit haben auch deswegen den Nachrichtenkonsum eingeschränkt.

In Deutschland hat sich die Zahl derer, die ab- und ausschalten, auf 29 Prozent erhöht. Vor sechs Jahren waren es noch 24 Prozent. „News Avoidance“ ist ein echtes Problem und eine schlechte Nachricht für die Demokratie. Wie soll sich die Gesellschaft über sich selbst verständigen, wenn sie sich nicht mehr für ihre Entwicklung interessiert? Dennoch haben Journalist:innen eine besonders intensive Beziehung zum Negativen. Denn vor allem Probleme sind eine Nachricht wert.

Journalismus lebt oft von negativen Nachrichten

Laut der Nachrichtenwerttheorie, zuerst fomuliert vom US-Journalisten Walter Lippmann 1922, sind „Schaden“, „Konflikt“ oder „Negativität“ wichtige Kriterien bei der Auswahl von Themen. Das hat nach Einschätzung der Leipziger Journalismus-Forscher Markus Beiler und Uwe Krüger mehrere Gründe: Schlimme Ereignisse sind schnell zu finden und entfalten sich meist unmittelbar – ein Haus abzufackeln geht schneller, als es zu bauen. Schlechtes ist leichter konsensfähig. Was nicht funktioniert, können die meisten sofort sagen, bei Positivem dauert’s länger. Und klar, wir reagieren stärker auf Gefahrenreize, weil das unser Überleben sichert. Hinzu kommt die Rolle als „vierte Gewalt“, also den Mächtigen auf die Finger zu gucken. Zu scannen, wo es nicht läuft, ist Kernaufgabe der Berichterstatter:innen.

Die norwegischen Friedensforscher:innen Johan Galtung und Mari Holmboe Ruge verwiesen bereits 1965 auf die Annahme, dass Positives uns eh kaum interessiert, weil wir – die Konsument:innen – uns daran gewöhnt hätten, dass wir in westlichen Kulturen gut vorankommen. Fortschritt ist alltäglich und somit weniger spannend. Lösungen sind selbstverständlich und somit langweilig. Interessant, oder?

Der Negativbias im Journalismus ist das eine, der aktuelle Zustand des Journalismus das andere. Medienforscher Klaus Meier von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt weist heute auf Defizite im Journalismus hin: „Er bevorzugt offizielle Standpunkte und Ereignisse, die von mächtigen Institutionen inszeniert und kontrolliert werden, und tendiert zu Verlautbarungen. Auch wenn er Zitate und Gegenzitate ‚neutral‘ aneinanderfügt, vernachlässigt er Hintergründe, Ursachen und Folgen. Durch die Ereignisfixierung werden langfristige Prozesse ausgeklammert.“ Sicher, es gibt Medien, die ausgewogen, kritisch, fundiert berichten, die auch schauen: Wo funktioniert was gut, was können wir davon lernen? Aber viel zu wenige.

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Konstruktiver Journalismus bietet Lösungen an

Konstruktiver Journalismus geht einen Schritt weiter. Seit Anfang der 2010er-Jahre folgt er der Maxime, so lange über ein Problem zu berichten wie nötig – und nicht wie möglich. Recherche und kritische Diskussion von Lösungen sind dabei wichtiger Teil der Berichterstattung: Wie lässt sich das Problem überwinden? Welche systemische Lösung gibt es, wie tragfähig ist der Ansatz, wo liegen seine Grenzen? Mit Held:innengeschichten hat das nichts zu tun. Und natürlich sind es nicht die Journalist:innen selbst, die sich Lösungen ausdenken.

All das geschieht gründlich, faktenbasiert, anhand vielfältiger Perspektiven und kritisch. Kurz: Nach den ehernen Standards jedes journalistischen Handwerks, wie sonst? Sie werden nur sinnvoll erweitert. Worüber sich nicht konstruktiv berichten lässt, wird nicht konstruktiv berichtet, aber zumindest über diese Grenzziehung diskutiert. Weder ist Konstruktiver Journalismus „Lobbyarbeit“ noch „PR“ noch ein „Wohlfühlprogramm“ noch „pädagogisch“ noch „Aktivismus“ – oder ein nettes Kompendium vermeintlich guter Nachrichten. Dann wäre er schlicht eines nicht mehr: Journalismus.

Auch bei Good Impact: Kriegsberichterstattung: Warum „Medienhygiene” jetzt wichtig ist

Wir bringen Hoffnung und Mut

Was das bringt? Eine noch unveröffentlichte Metastudie hat 22 bis 2020 publizierte Experimente untersucht. Sie zeigt, dass konstruktive Berichterstattung positive Emotionen auslöst oder negative abschwächt, dass sie die Bereitschaft der Leser:innen zu handeln und die Wahrnehmung von Selbstwirksamkeit oder kollektiver Wirksamkeit fördert. Um besser zu verstehen, wie das funktioniert, braucht es mehr qualitative Forschung.

Wir bei Good Impact wollten es daher genauer wissen: In Kooperation mit der Uni Leipzig haben wir unsere Abonnent:innen intensiv befragt. Warum lest ihr uns? 81,2 Prozent finden unsere Artikel informativ, fast zwei Dritteln macht das Lesen „Hoffnung und Mut“. Konstruktiver Journalismus ist kein Allheilmittel. Aber er kann helfen, dass Medien und Leser:innen ihre Rollen hinterfragen und aktiver diskutieren. Um es mit der Lyrikerin Hilde Domin zu sagen: „Das Nur-Negative ist eine Attitüde.“

Hinweis: Die Fachkonferenz Konstruktiver Journalismus 2023 findet vom 6.-7.Juli 2023 in Berlin statt. Zwei Tage voller Workshops, Vorträge, Analysen. Die Konferenz wird vom European Journalismus Centre und von der taz Panter Stiftung ermöglicht.

Bild: Unsplash/ sincerelymedia

Konstruktiver Journalismus bietet Lösungsansätze an.

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