Potenziale und Probleme
Das Potenzial hätte er: Der Tourismus sorgt schon heute für mehr als zehn Prozent des globalen Bruttoinlandprodukts. Und schon heute ist er vor allem für Entwicklungsländer häufig die Haupteinnahmequelle für Devisen. „Von solch hehren Zielen ist der internationale Tourismus in vielen Ländern noch weit entfernt“, sagt Christine Prüss von der Schweizer Organisation Fairunterwegs. Beschäftigungsverhältnisse zum Beispiel seien oft saisonabhängig und prekär. Das träfe vor allem Frauen, die etwa als Zimmermädchen schlecht bezahlt werden.
Auch um den Naturschutz ist es häufig schlecht bestellt. So werden auf Bali laut einer Untersuchung der englischen Tourismusforscherin Stroma Cole 65 Prozent des Wassers für den Tourismus verbraucht – auf einer Insel, auf der 1,7 der 3,9 Millionen Einwohner nur begrenzten Zugang zu sauberem Trinkwasser haben.
Immerhin: Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (DIW) schaffen allein deutsche Touristen jedes Jahr 1,8 Millionen Arbeitsplätze in Schwellen- und Entwicklungsländern. Von den Anden bis zur Südsee gaben sie 2015 insgesamt 13,5 Milliarden Euro aus. Dadurch stieg die Wirtschaftsleistung in den Schwellen- und Entwicklungsländern um 19,2 Milliarden Euro.
Volkswirtschaftlich gesehen bringt jeder Tourist aus Deutschland laut DIW-Studie der Wirtschaft des Landes, in das er reist, 620 Euro. Das Kölner Institut hat internationale statistische Daten analysiert und dabei erstaunliche Korrelationen errechnet: Verdoppeln sich die Übernachtungszahlen internationaler Touristen, steigt nach dem Zahlenspiel der DIW-Forscher der Alphabetisierungsgrad in Schwellen- und Entwicklungsländern um 1,1 Prozentpunkte, 1,9 Prozent mehr Menschen erhalten Zugang zu sauberem Wasser.
Was aber kann ein Land tun, um den Tourismus optimal zu fördern? Und wie lässt sich dieser Tourismus so gestalten, dass das wirtschaftliche Plus nicht auf Kosten von Natur und Ressourcen geht? Ein Beispiel und eine Hoffnung.
Nachhaltiger Tourismus in Costa Rica
Costa Rica hat fünf Millionen Einwohner. Das mittelamerikanische Land ist weltberühmt für seine üppige Pflanzen- und Tierwelt. Eine halbe Million Tierarten sollen dort leben, 300.000 davon unterschiedliche Insekten. 27 Prozent des Landes stehen unter Naturschutz, 11 Prozent sind dabei Nationalpark.
Costa Rica ist und war in vielen Dingen visionär: 1948 schaffte es das Militär ab, mit den freigewordenen finanziellen Mitteln wurde ein Sozialstaat aufgebaut. Das Land gewinnt fast 100 Prozent seines Stroms aus regenerativen Quellen, 2021 soll die Wirtschaft CO2-neutral sein.
Costa Ricas Visionen erstrecken sich auch auf den Tourismus: 1997 hat die Regierung das Siegel „Certificación de Turismos Sostenible“ (CST) ins Leben gerufen. Es wird von staatlichen Agenturen und Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und von internationalen Organisationen vergeben. Das Ziel: Maßnahmen für den Umwelt- und Naturschutz fördern, die Lebensqualität der Menschen in den Gemeinden verbessern und Touristen motivieren, die Nachhaltigkeitsziele des Landes zu unterstützen.
Tourismuslabel als Entwicklungsfaktor
Längst ist das CST zum Markenzeichen geworden. Es kurbelt den Tourismus des Landes an. Etwa zwei Millionen Touristen geben jedes Jahr knapp 1,5 Milliarden US-Dollar für einen Besuch der Regenwälder und anderer Ziele in der Natur aus.
Nur am Rand jener Naturschutzgebiete, die Touristen zugänglich sind, und am Meer entstanden Hotels, Restaurants, Abenteuerparks, Immobilienbüros und Supermärkte. Dadurch wachse zwar die Gefahr, dass zum Beispiel Müll ins Meer gelange, sagt Expertin Prüss von Fairunterwegs. „Doch zum Glück ist das Siegel äußerst streng.“
Ergänzt wird es durch weitere Zertifikate, wie dem Tourismussiegel der Rainforest Alliance und dem Verhaltenskodex Costa Ricas gegen sexuelle Ausbeutung Minderjähriger. Dass es das Land ernst meint, zeigt sich, wenn man lange Zeiträume in den Blick nimmt. In den 1980er-Jahren, als nur noch knapp 30 Prozent seiner Fläche bewaldet waren, hat Costa Rica in gewaltige Aufforstungsprogramme investiert. Heute bedecken Wälder mehr als 50 Prozent des Landes. Trotz Tourismus.
Myanmar hat die Wahl
Myanmar steht dagegen noch am Scheideweg. Das südostasiatische Land war jahrzehntelang abgeschottet. 2007 und 2008 gab es 220.000 Touristen. 2011 öffnete sich Myanmar politisch, ein Jahr später kamen bereits eine Million Besucher, 2015 sogar 4,7 Millionen.
Allein 2016 spülte der Tourismus 2,3 Milliarden US-Dollar ins Land, mehr als 17 Prozent der gesamten Jahreseinnahmen. Der Tourismus wurde zu einer wertvollen Quelle für Devisen. Und die sollen nach Willen der Regierung in Myanmar nachhaltig erwirtschaftet werden. „Verantwortungsvollen Tourismus“ nennt sie ihr Konzept. „Er soll auf den drei Säulen der wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Verantwortung fußen“, sagt Achim Munz, Repräsentant der Hanns-Seidel-Stiftung in Myanmar.
Die Stiftung unterstützt das Tourismusministerium und den Tourismusverband des Landes bei Entwicklung und Umsetzung von Richtlinien für Nachhaltigkeit im Tourismus. Munz hat zusammen mit Vertretern von Regierung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft ein Strategiepapier zur Tourismusentwicklung in Myanmar erarbeitet. Die „Responsible Tourism Policy“ definiert Eckpfeiler für eine stabile wirtschaftliche Entwicklung, für Umweltschutz und eine Verringerung von Armut. So sollen Kleinunternehmer gefördert werden, die Handarbeit oder Kunst verkaufen.
Der Zugang zu Arbeit im Tourismussektor soll den Einheimischen erleichtert werden. Damit Bauern vom Tourismus profitieren, sollen Hotels und Restaurants bevorzugt lokale Produkte und Lebensmittel anbieten. Ein Reiseziel, das man ohne schlechtes Gewissen besuchen kann, ist Myanmar jedoch nicht. Dies liegt vor allem an der gewaltsamen Vertreibung der Rohingya, der muslimischen Minderheit.
Die UN warf dem Militär von Myanmar im August 2018 Völkermord vor und verlangte, dass dem Oberbefehlshaber und fünf weiteren namentlich genannten Kommandeuren der Prozess gemacht wird. Die Tourismus-Industrie erwartet dennoch keinen großen Einbruch. Sie erhofft sich einen ähnlichen Effekt wie nach den Unruhen in der Türkei: Eine Zeit lang blieben die Touristen weg, jetzt strömen sie wie eh und je in das Land am Mittelmeer.
Doch der Weg ist noch weit
Ob Myanmar sein ambitioniertes Tourismuskonzept tatsächlich realisieren kann, ist noch ungewiss. Manches, so Munz, scheitere an der Vetternwirtschaft: Die Aufträge im Tourismussektor gingen oft an Freunde und Bekannte der alten Militärregierung – und die seien vor allem daran interessiert, ihre eigenen Konten zu füllen. Und so bleibt Myanmar ein Land voller Widersprüche.
Seit 2011 ist der Absatz von Pauschalreisen zurückgegangen. Doch an den Hotspots wie Bagan, dem Inle-See, Mandalay und Yangon wachsen Betonklötze in die Höhe – Vorboten des Massentourismus. Andererseits gibt es positive Beispiele. Das Projekt „Community Involved Tourism“ zum Beispiel in der Pa-O Region im Süden. Es organisiert Unterbringung, Verpflegung und Programme für Touristen. Die Einnahmen fließen in einen Tourismusfonds. Was mit dem Geld geschieht, entscheidet die Community der Bürger.
Die Einwohner Myanmars sind offen für den Tourismus. Die Hoteliers suchen nach Personal, gerade junge Menschen verdienen im Service deutlich mehr als in der Landwirtschaft. Zudem: „Viele Bürger Myanmars wollen endlich teilhaben am Weltgeschehen“, sagt Christine Prüss von Fairunterwegs. Der Zugang zu sozialen Medien ist in Myanmar frei und werde von Einheimischen intensiv genutzt – auch, um mit Touristen nach ihrer Abreise in Kontakt zu bleiben.
Noch hat Myanmar die Wahl: Es kann in Wettstreit mit Bali und Thailand treten und um Massentouristen buhlen. „Aber wenn es das macht, riskiert es das zu zerstören, was seine Stätten so besonders machen“, so Prüss. Auf der anderen Seite kann sich Myanmar den Tourismus zunutze machen, um seine vielfältigen Kulturen und Ökosysteme zu schützen.
„Die Weichen müssen auf der Grundlage partizipatorischer Diskussionen auf lokaler und nationaler Ebene gestellt werden“, sagt Stiftungsmann Munz. Er setzt auf den Demokratisierungsprozess im Land – auch vorangetrieben durch den Tourismus.
Tourismus kann zum Motor für nachhaltige Entwicklung und Demokratie werden. Ein Blick nach Costa Rica und Myanmar