„Das Blut stammt eigentlich aus der Plazenta“, erläutert Prof. Michael Müller-Steinhardt, Leiter der Nabelschnurblutbank Mannheim. „Es ist restliches kindliches Blut, das entnommen wird, nachdem das Baby geboren und abgenabelt wurde.“ Aus dem Blut können Stammzellen isoliert werden, die später einem Patienten helfen können, der auf eine Spende wartet.
Ein Vorteil dieses Verfahrens: „Im Gegensatz zu Stammzellenspenden von Erwachsenen sind die Zellen von Neugeborenen noch nicht mit relevanten Umwelteinflüssen in Kontakt gekommen“, so der Experte. „Deshalb geht man auch von einer besseren Verträglichkeit der Präparate für die Patienten aus.“ Bei einer Spende von Nabelschnurblut ist eine Transplantation darüber hinaus bei einer vergleichsweise niedrigen Übereinstimmung zwischen Spender und Empfänger möglich. Vor allem Angehörige ethnischer Minderheiten können deshalb von Nabelschnurblutspenden profitieren. Für sie ist es oft schwierig, unter registrierten Erwachsenen passende Spender zu finden, die genügend gemeinsame genetische Merkmale aufweisen.
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Nabelschnurblutspenden: Schnelligkeit direkt nach der Geburt ist gefragt
Gleichzeitig stellt die Nabelschnurblutspende eine besondere Herausforderung dar. „Die Schwierigkeiten bestehen darin, dass man eine ausreichend große Menge anstrebt und ferner das Zeitfenster für die Sammlung klein ist, weil die Konzentration der Zellen im Blut nach der Geburt sehr schnell absinkt“, erklärt Müller-Steinhardt. „Man kann diese Spende also nur unmittelbar nach der Geburt gewinnen.“ Es muss schnell geschehen und daher wird die Blutentnahme nur bei unkomplizierten Geburtsverläufen durchgeführt.
Wenn Eltern möchten, dass Nabelschnurblut gespendet wird, sollten sie sich vorab informieren, ob ihre Geburtsklinik das anbietet ─ denn nicht in allen Kliniken ist die Entnahme von Nabelschnurblut zur Spende möglich.
Die Geburtsmedizin des Vivantes Klinikums Neukölln unterstützt das Verfahren, doch lediglich ein kleiner Teil der dort entbindenden Eltern entscheidet sich dafür, wie Chefarzt Dietmar Schlembach sagt. „Jährlich nahmen nur ungefähr ein Prozent der Eltern die Möglichkeit bislang wahr.“ Das seien etwa 30 bis 40 Geburten jährlich. „Von diesen konnte in einem Drittel der Fälle die Spende erfolgreich entnommen werden.“
Nicht möglich ist die Spende zum Beispiel, wenn die Zeitspanne zu gering ist, um ausreichend Blut zu entnehmen. Zudem müssen bestimmte Faktoren erfüllt sein: Die Schwangerschaft sollte unkompliziert verlaufen und schon weit fortgeschritten sein, wenn es zur Geburt kommt. Bei Frühchen oder Kindern mit einem Geburtsgewicht unter 1500 Gramm wird in der Regel keine Nabelschnurblutspende durchgeführt.
Wie das Baby zur Welt kommt, macht indes keinen Unterschied: „Nabelschnurblut kann sowohl bei natürlichen Geburten als auch bei Kaiserschnitt-Geburten entnommen werden“, sagt Schlembach. In beiden Varianten ist es trotz Spende außerdem möglich, dass der Vater die Nabelschnur durchtrennt.
Auspulsieren oder Spende?
Was im Falle einer Nabelschnurblutspende allerdings meistens nicht geht: Die Nabelschnur auspulsieren zu lassen, wie es heute viele Eltern wünschen. Dabei wird die Nabelschnur erst getrennt, wenn kein Blut zwischen Mutter und Kind mehr ausgetauscht wird. „Sowohl Hebammen als auch Ärzte raten dazu, weil es einer neonatalen Anämie und Eisenmangel vorbeugt“, erklärt Schlembach.
Aber: „Die Blutentnahme ist dann technisch zwar meist möglich, jedoch häufig nicht erfolgreich, weil nicht mehr genug Nabelschnurblut gewonnen werden kann.“ Ob die Wahl auf das Auspulsieren oder die Spende von Stammzellen fällt, müssen die Eltern selbst entscheiden.
Wird Nabelschnurblut gewonnen und für eine spätere Spende aufbereitet, landet es nicht direkt bei einem Patienten ─ was einen Nachteil dieser Methode darstellt. „Nabelschnurblutzellen werden auf Vorrat hergestellt und gelagert, das erfordert einen großen logistischen Aufwand“, sagt Müller-Steinhardt. Außerdem gibt es bei der Gewinnung von Präparaten aus Nabelschnurblut höhere Auflagen mit Blick auf die Qualitätssicherung als bei Stammzellenspenden von Erwachsenen. Denn laut Gesetz handelt es sich hierbei um die Herstellung eines Arzneimittels.
Stammzellen für sich selbst aufbewahren
Deshalb ist es auch nicht möglich, dass Eltern sich selbst um die Spende kümmern, falls ihre Entbindungsklinik sie nicht anbietet. Spezielle Sets, die man erwerben kann, um Nabelschnurblut zu transportieren, haben einen anderen Zweck: So können Eltern Stammzellen aus dem Blut für eine eventuelle spätere Behandlung ihres eigenen Kindes gewinnen und bei verschiedenen Anbietern aufbewahren. Ein kostspieliges Verfahren, das nicht mit der Stammzellenspende für andere Personen zu verwechseln ist.
Von einer Spende des Nabelschnurbluts können vor allem jüngere Patienten profitieren, denn: „Bei der Transplantation ist auch die Zellmenge relevant“, erklärt Müller-Steinhardt. Ein großer Patient benötigt mehr Zellen als ein kleiner, deshalb reicht für Erwachsene die Stammzellenmenge eines einzelnen kindlichen Spenders meistens nicht aus. In der Regel seien die aus Nabelschnurblut gewonnenen Präparate für Kinder geeignet, die maximal 20 bis 30 Kilogramm wiegen, so der Transfusionsmediziner.
Eine Probe von Nabelschnurblut (Archivbild).