„Für mich heißt Fotografie: unseren Blick zu dekolonialisieren. Die westliche, europäische Sicht ist vor allem von Weißen geprägt. Menschen aus dem Globalen Süden erscheinen häufig in einem Armutskontext, in besonders exotischen oder farbenfrohen Umgebungen.
Die Bilder, die wir Fotograf:innen machen, haben einen großen Einfluss auf unser Denken. Darin sehe ich meine Aufgabe: Ich stelle Schwarze Menschen und People of Colour (Black and People of Colour, kurz BPoC) dar und versuche Klischees aufzubrechen, die Menschen aus dem Westen mit dem afrikanischen Kontinent in Verbindung bringen. Ich fotografiere sie in einem anderen Kontext und mache sichtbar, dass und wie BPoC in Europa leben.
Weiße Menschen werden oft im Alltag fotografiert, in ihrem Büro, in Familien oder auf der Straße. Warum fotografieren wir so nicht auch nicht-weiße Menschen? Das gibt es bisher viel zu wenig. Aber solange wir nicht auch visuell zeigen, dass BPoC Teil der Gesellschaft sind, kann sich das Denken der Menschen nicht verändern.
Meine Fotos entstehen auf unterschiedliche Weise. Ich entwickle gerade meine eigene fotografische Sprache, probiere viel aus und greife oft nachträglich in meine Bilder ein. Auf diese Weise kann ich die Bilder immer wieder überarbeiten, je nachdem, wie ich mich weiterentwickle und wie sich mein eigener Blick verändert. Ich mache Collagen und füge digital Farben, Licht oder Effekte hinzu. In meinem Trilogieprojekt habe ich zum Beispiel die Gesichter der Modelle unscharf gemacht, um zum Ausdruck zu bringen, wie anstrengend der Kampf um Sichtbarkeit für BPoC ist.
Ich stelle dabei jeweils drei Bilder zusammen. Im mittleren zeige ich einen Gegenstand oder eine Situation, die eine Verbindung schafft zwischen zwei Porträts. Ein leerer Stuhl in einem Berliner Treppenhaus zum Beispiel. Er lädt BPoC ein, Pause zu machen, ihre Diskriminierungserfahrung zu reflektieren, sich zu erholen. Gleichzeitig bietet er ihnen einen Platz in der Gesellschaft an, ist aber der Wand zugewandt, die Botschaft: Setz dich gern zu uns, aber reden darfst du nicht. Das ist mein Weg, mich mit dem Alltag von BPoC in Deutschland auseinanderzusetzen. Was macht es mit ihnen, wenn sie ständig dafür kämpfen müssen, sichtbar zu sein? Ich selbst kämpfe darum, dass viele Menschen meine Fotos sehen: frage in Museen an oder bei Magazinen zum Beispiel.
Es ist wichtig, dass BPoC auch hinter der Kamera präsent sind. Sonst sind sie nur Objekte, die betrachtet werden. Sie müssen mitentscheiden, was zu sehen ist und wie es gesehen wird: nicht nur als Fotograf:innen, sondern auch in den Museen und Magazinen. Dann können wir unser klassisches Denken aufbrechen.“
Dieser Text erschien in der Ausgabe Oktober/November 2021 mit dem Titel „Tschüss, Kolonialismus“.
Nora Hase visualisiert in ihren Fotografien, wie anstrengend der Kampf um Sichtbarkeit für nicht-weiße Menschen ist.