Per Gesetz haben 27 Millionen Beschäftigte in Deutschland Anspruch auf fünf bis zehn Tage bezahlten Extra-Urlaub pro Jahr für anerkannte Weiterbildungen. Aktuell nutzen aber laut dem Deutschen Gewerkschaftsbund nur zwei Prozent ihr Recht. Warum?
Lara Körber: Viele kennen ihr Recht auf Bildungsurlaub zunächst einmal gar nicht. Und wenn sie es kennen, hält sie oftmals die Angst vor den Arbeitgeber:innen, und manchmal selbst den Kolleg:innen, davon ab, einen Bildungsurlaub zu beantragen. Sie fragen sich: „Darf ich mir das herausnehmen?“ oder „Gehört Yoga nicht in die Freizeit?“ Denn Bildungsurlaub wird vom Gesetz thematisch breit verstanden, das heißt, dass ich frei entscheiden kann, ob ich statt Führungskräftetrainings oder IT-Workshops im Bildungsurlaub nicht lieber einen Yogakurs auf Fuerteventura oder einen Sprachkurs in Florenz besuche. Die Auswahl ist vielfältig. Manche irritiert auch das Wort Bildungsurlaub. Ich finde es dagegen wunderbar provokant: Darf Weiterbildung etwa keinen Spaß machen? In Deutschland wird Leistung oft immer noch über das Absitzen von Zeit und über Stress gemessen. Kolleg:innen gönnen sich untereinander wenig, in der Konsequenz gönnt man sich selbst wenig. Viele von uns haben außerdem verlernt zu lernen, versacken in den immer gleichen Arbeitsroutinen.
Eigentlich ist Deutschland Vorreiter – 1974 wurde in der Bundesrepublik das Recht auf Bildungsurlaub beschlossen. Warum hapert es mit der Umsetzung?
Die meisten Bundesländer haben ihre Bildungsurlaubsgesetze bereits in den Neunzigerjahren erlassen. Bayern und Sachsen sind heute die einzigen, die keine Regelung zum Bildungsurlaub haben. Wir arbeiten gerade an einer Petition, um das zu ändern. Aber dass die Umsetzung hakt, liegt nicht nur an den Ländern, sondern auch den Arbeitgeber:innen. Inzwischen klären diese immer aktiver auf, verstehen, dass Bildungsurlaub ein Tool ist, um Talente zu halten und zu gewinnen. Für Bewerbende ist das wie ein Einblick in die Arbeitskultur: Bildungsurlaub zeigt Wertschätzung, fördert Loyalität und Vertrauen. Das erkennen bisher vor allem die ganz großen Unternehmen. Wir haben uns bei 14 DAX-Konzernen umgehört. Bei Volkswagen etwa hat jede:r Zweite schon mal Bildungsurlaub gemacht. Und 50 Prozent der befragten Unternehmen bieten sogar ihren Angestellten in Sachsen und Bayern Bildungsurlaub an.
Wie profitieren Arbeitgeber:innen noch?
Laut DAK-Gesundheitsreport 2021 gehen 30 Prozent der Arbeitsunfähigkeitstage auf Rückenerkrankungen und mentale Erkrankungen zurück. Fällt jemand aus wegen psychischer Probleme, heißt das im Schnitt 39 Krankheitstage. Bildungsurlaub setzt hier an. Menschen lernen Methoden und Kniffe kennen, die sie in ihren Arbeitsalltag integrieren können, um Rückenbeschwerden oder mentale Belastungen zu reduzieren oder zu verhindern. Nach zwei Jahren Pandemie und Homeoffice auf Esszimmerstühlen ist das relevanter denn je. Wir realisieren langsam: Es gibt keine Work-Life-Balance. Die Sichtweise ist veraltet. Arbeit und Leben kann man nicht trennen – wenn es mir bei der Arbeit schlecht geht, geht es mir auch im Privatleben schlecht und andersherum. So kann niemand funktionieren.
Bildungsurlaub nehmen, um (besser) zu funktionieren – das klingt ein bisschen nach toxischer New Work?
New Work bedeutet immer Selbstverantwortung. Wenn ich gerade ein Team übernommen habe, sollte ich mich fragen, ob es vielleicht sinnvoll ist, ein Führungskräftetraining zu machen. Oder ein Seminar zu gewaltfreier Kommunikation zu belegen, wenn ich Probleme mit Kolleg:innen habe. Bildungsurlaub gibt den Menschen die Entscheidungsfreiheit, das zu machen, was sie brauchen. Wenn ich zu meiner Chefin oder meinem Chef sage: „Hey, ich möchte ein Stressmanagement-Seminar besuchen, und zwar aus Gründen A, B und C“ – dann kann mir das akut helfen und zugleich eine Diskussion rund um die Arbeitssituation A,B und C im Unternehmen anstoßen. Gerade bei Anti-Burnout-Seminaren ist das ratsam – sonst ist Bildungsurlaub nur ein Pflaster und keine Ursachenbekämpfung.
Lara Körber
Lara Körber ist Mitgründerin von Bildungsurlauber.de. Das Start-up hilft bei der Beantragung und Buchung von Bildungsurlaub sowie bei Fragen zum Bildungsurlaubsgesetz, das sich je nach Bundesland unterscheidet. Bildungsurlauber.de setzt sich für eine gesunde Arbeitskultur ein, die individuelle Weiterbildung fördert. Foto: Lydia GorgesWelche Kriterien müssen Bildungsurlaubsseminare erfüllen, um anerkannt zu werden?
Sie müssen ein didaktisches Konzept mit Stundenplan vorweisen und einen beruflichen bzw. persönlichen Mehrwert fördern. Wie viele Zeitstunden ein Angebot haben muss, ist gesetzlich festgeschrieben. Die Bildungsministerien prüfen und zertifizieren das Konzept. Die zertifizierten Seminare können Anbieter:innen auf unserer Plattform Bildungsurlauber.de einstellen – und Nutzer:innen die Suche nach Preis, Zeitraum und Thema filtern. Neben allen Rechtsinfos stellen wir die Antragsformulare zur Verfügung. Unterschreiben, der Führungskraft vorlegen, fertig. Das unterscheidet uns von anderen Plattformen: Wir bieten einen 30-Sekunden-Check zu jedem Bundesland, verschicken automatisiert Antragsunterlagen und betreiben aktive Aufklärungsarbeit. Abgelehnt werden darf der Antrag übrigens nicht, höchstens verschoben. In den meisten Unternehmen muss man sich New Work hart erkämpfen. Bildungsurlaub aber gibt es schon als Gesetz – nutzen wir es.
Weiterdenken: Inspiration für eine bessere Arbeitskultur
Naomi Ryland, Lisa Jaspers: Starting a Revolution. Was wir von Unternehmerinnen über die Zukunft der Arbeitswelt lernen können. Econ 2020, 18 Euro.
Lisa Nölting, Alexander Kornelsen: New Work Stories. Der Podcast zur Zukunft der Arbeit. Voller Best Practices, Fakten, Event-Tipps.
Weiterbildung darf Spaß machen, findet Lara Körber, Mitgründerin von Bildungsurlauber.de. Etwa im Rahmen eines Yogakurses (Symbolbild).