Bericht aus dem Dannenröder Wald

„Wir tragen Decknamen wie Fuchs, Tanne oder Sky”

Der Dannenröder Wald soll einer Autobahn weichen. Unsere Autorin gehört zu den Aktivist*innen, die den Wald besetzen, um das zu verhindern. Hier berichtet sie aus ihrem Alltag zwischen Baumhäusern und Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Der Sternenhimmel wird von den Kronen der hohen Bäume umrahmt. Abgesehen von dem Rascheln der Blätter und dem erwachenden Chor der Vögel liegt morgendliche Stille über den Baumhaus-Dörfern im Wald. Menschen schlafen in Hängematten, Klettergurten und auf selbstgebauten Holzstrukturen. Teilweise befinden diese sich in schwindelerregender Höhe, sodass sie vom Boden aus kaum sichtbar sind und im Blätterdach der Bäume verschwinden.

Was hier passiert, passiert im Namen des Gesetzes. Aber es fühlt sich nicht gerecht an.

Einige sind auch nachts wach und schleichen mit Taschenlampen über die mit Stöcken ausgelegten Wege auf dem Waldboden. Sie übernehmen die nächtlichen Wachen oder andere Aufgaben, die nicht bis zum Morgengrauen warten können. Für die Anderen beginnt der Tag mit der aufgehenden Sonne, einem am Lagerfeuer gebrauten Instant-Kaffee und einer Schüssel Haferbrei von der KÜFA (Küche Für Alle), die im nächstgelegenen Dorf Dannenrod für die Aktivist*innen kocht.

Der Dannenröder Wald: Die Ruhe vor dem Sturm

Nach und nach treffen wir am Feuerplatz ein. In den verschlafenen Gesichtern haben viele von uns Muster, die wir uns mit Edding oder Farbe aufgemalt haben, damit wir nicht auf den ersten Blick erkenntlich sind. Um unsere Identität geheim zu halten, tragen wir außerdem Namen wie Fuchs, Tanne oder Sky. Unsere echten Namen haben wir außerhalb des Waldes zurückgelassen.

Was steht für heute an? Die Baumhäuser abdichten und regensicher machen, Wasser vom Fluss holen, ein Planungstreffen mit den anderen Dörfern. Zumindest, falls nicht die Polizei kommt. Dann zählt nämlich vor allem eins: die wichtigsten Barrikaden und Plattformen zu besetzen und zu verhindern, dass die Polizist*innen das Dorf räumen können.

Gemeinsam bauen Aktivist*innen Baumhäuser und Barrikaden, um den Dannenröder Wald zu besetzen und vor der Abholzung zu retten.
Bild: imago images / Tim Wagner

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Der Dannenröder Wald: Ein bedrohtes Zuhause und so viel mehr

Denn auch wenn es in den friedlichen Morgenstunden weit weg und beinahe surreal scheint: Genau hier soll eine Autobahn verlaufen. Der Wald soll der A49 weichen. Der Dannenröder Wald ist ein intakter Mischwald, der wichtige Ökosystemleistungen wie die Klimaregulation und Grundwasserneubildung übernimmt. Als Flora-Fauna-Habitat bietet er unzähligen Arten einen Lebensraum. Und in den vergangenen Tagen, Wochen und Monaten ist er auch für viele von uns eine Art Zuhause geworden.

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Es kann plötzlich gehen, dass die Realität über uns hereinbricht. Wie an einem Montagmorgen, an dem eine Planierraupe begleitet von mehreren Polizeifahrzeugen im Wald auftaucht. Kurz darauf bietet sich ein seltsames Bild: Auf einer blühenden Wiese bilden Polizist*innen in schwarzer Ganzkörper-Montur eine schützende Kette um die Planierraupe. Ihr lautes Motorengeräusch dröhnt über die Wiese, die eben noch friedlich dalag. Innerhalb kurzer Zeit hat sie den Boden aufgerissen.

Eine Polizeikette formiert sich vor der Planierraupe, um die Aktivist*innen fernzuhalten.
Bild: imago images / Tim Wagner

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Wem gehört der Wald?

Es ist ein Anblick, der viele Fragen aufwirft.

Wem gehört diese Wiese und wer lässt zu, dass das mit ihr passiert?

Wie ein Großteil des Waldes ist sie im Privatbesitz einer adligen Familie. Über das Baurecht wurde politisch auf Bundesebene entschieden. Und die Polizist*innen versichern: Sie führen nur die Befehle aus, die sie von oben erhalten haben.

Was hier passiert, passiert also im Namen des Gesetzes. Aber es fühlt sich nicht gerecht an. Denn was ist mit den tausenden Menschen, die mit Trinkwasser aus diesem Gebiet versorgt werden? Was ist mit Bürger*innen, die sich seit Monaten, seit Jahren gegen die Bebauung einsetzen, Petitionen schreiben, auf die Straße gehen? Was ist mit den zukünftigen Generationen, die die Folgen der Klimakrise und die Bedeutung von Wäldern wie diesem am eigenen Körper spüren werden; mit den Menschen in ausgebeuteten Ländern, die heute schon vom Klimawandel betroffen sind? Und: Was ist mit den unzähligen Lebewesen, die hier krabbeln, fliegen, nisten, bestäuben und jagen?

Viele Aktivisti*nnen fühlen sich verantwortlich für diesen Wald und alles was daran hängt, auch wenn sie wissen, dass es nicht „ihr“ Wald ist. Das Konzept von Besitz scheint hier sowieso eine andere Rolle zu spielen, als außerhalb des Waldes. Essen, Schlafsäcke, Schlafplätze, Werkzeuge und alles was für das Leben hier benötigt wird, wird geteilt. Das meiste wurde von Unterstützer*innen gespendet.

Ein Zeltdorf der Aktivist*innen am Rand des Waldes.
Bild: imago images / Hartenfelser

Vielleicht ist es dieses Gefühl von Verantwortung, dass die Aktivist*innen dazu bewegt, an diesem Montag die Polizeikette zu durchbrechen und sich vor den Bagger zu werfen oder darauf zu klettern, um ihn zu stoppen.

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Die Aktion, die friedlich beginnt, eskaliert in den folgenden Stunden zunehmend. Als die Polizei am frühen Abend den Wald verlässt, sind mehrere Aktivist*innen verletzt. Bei unserer abendlichen Zusammenkunft am Feuer erzählt ein Mensch benommen von den Schlägen, die er bei der Räumung von Polizist*innen auf den Kopf bekommen hat.

Polizeibeamt*innen räumen den besetzten Wald und bringen die Aktivist*innen teilweise gewaltsam aus dem Gebiet.
Bild: imago images / Hartenfelser

Nur ein paar Meter weiter springt ein junges Eichhörnchen über den Weg. „Protect this Water“, steht auf einem Schild, das den Eingang zu einem der Dörfer markiert. Es ist kunstvoll illustriert. Mit den Baumhäusern, die mit ihren wehenden Planen und Holzkonstruktionen an schwebende Segelboote erinnern, entsteht eine wunderschöne, fast traumähnliche Szenerie.

Der Danni ist ein Ort der Widersprüchlichkeiten und Kontraste. Er ist wie schon der Hambacher Forst zum Schauplatz und Symbol eines prägenden Kampfes unserer Zeit geworden. Den Kampf zwischen einem veralteten System und einer aufstrebenden Bewegung, die nicht mehr nur für Klimagerechtigkeit, sondern für einen grundlegenden, gesellschaftlichen Wandel steht.

Innerhalb dieser Bewegung habe ich nicht das Gefühl, dass wir alle Antworten haben oder dass wir selber frei von den Widersprüchen unserer Zeit wären. Ich habe eher das Gefühl, dass wir zu viel gesehen, gehört und erfahren haben, um zum „Weiter so“ zurückzukehren. Ich frage mich, wie viel Energie wir noch für diesen Kampf aufwenden werden, bevor die Fronten sich verschieben und wir gemeinsam statt gegeneinander kämpfen: für unsere gemeinsamen Lebensraum, für Gerechtigkeit, für eine neue, friedlichere Art des Zusammenlebens – und für die Zukunft.

*Name der Autorin geändert

Bild: imago images / Tim Wagner

Mit Baumhäusern und Barrikadenbauten besetzen Aktivist*innen den Danneröder Wald, um ihn vor der Abholzung für den Bau der Autobahn A49 zu retten.

Maja Baumayr*

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