Dreimal in ihrem Leben ist Janna Hoppmann einer Realität begegnet, die ihr das Gefühl gab: „Meine Wirklichkeit ist ein falsches Spiel.“
Da sind die Wochen in einem Jugendbegegnungscamp in Brasilien. 40 Jugendliche um die 14 aus acht Ländern von Norwegen bis Indien. In kleinen Theaterstücken spielen die Jugendlichen einander Alltagszenen aus ihrem Leben vor. Die Deutschen zeigen Fußball, die Norweger:innen kulinarische Highlights. Und die Mexikaner:innen einen Clubabend in Mexiko-Stadt. Wummernde Beats, ausgelassene Stimmung – plötzlich fallen Schüsse, Tote auf dem Boden, ein Schwarzer Mann wird verhaftet.
Da ist die Beziehung zu dem Marokkaner, den sie auf einem Festival in der Sahara kennenlernt. Ein halbes Jahr lang noch führen sie eine Fernbeziehung. Jeden Abend erzählt sie ihm im Videocall von stressigen Prüfungen im Studium, Semesterfesten und öden Vorlesungen. Er vom Hunger seiner Mutter und dem Stresshorror in dem Callcenterjob, den er erträgt, um zu überleben.
Und da ist ihre Begegnung mit Pablo, dem philippinischen Matrosen auf einem Containerschiff, mit dem sie sich auf Entdeckungsreise nach Brasilien macht, um klimaschädliches Fliegen zu vermeiden. Eine 22-jährige Passagierin, 20 Männer Besatzung, 3 Wochen auf See. Stundenlang sitzt sie mit Pablo beim Kaffee auf Deck, gefangen von seinen Erzählungen vom Leben in einem Dorf, das jedes Jahr aufs Neue von Taifunen und Überschwemmungen zerstört wird. Wie fühlt sich das an? Wie hält man das aus?
Diese Erfahrungen lassen Janna Hoppmann nicht mehr los. Wie lächerlich privilegiert ist mein Leben; wie drastisch ist die Klimakrise anderswo auf der Welt schon heute, verursacht auch durch unsere Emissionen in Europa; wie ungerecht sind ihre Folgen verteilt. „Mir wurde klar, weshalb ich diese Erkenntnisse nicht mehr beiseite wischen kann – weil ich Betroffene hautnah erlebt habe“, sagt Hoppmann und fragt sich: „Kann ich nicht auch anderen solche Erlebnisse nahebringen und sie dazu bewegen, etwas gegen die Klimakrise und für mehr Klimagerechtigkeit zu tun?“ Janna Hoppmann wird Klimapsychologin und gründet das Social-Start-up ClimateMind.
Ein Montagmorgen im Berliner Gleisdreieck-Park. Jogger:innen drehen ihre Runden, Skateboards surren über den Asphalt, ein Rasenmäher dröhnt. Der Weg führt in eine Seitenstraße zu einem Bau aus Glas, Stahl, Beton. Fünfte Klingel von unten, kein Firmenschild, nur Hoppmann. „Vierter Stock“, ruft eine helle Stimme. Schwungvoll öffnet sich die Tür, Janna Hoppmann, lange dunkelblonde Haare, himbeerfarbener Strickpulli, frisches Lächeln, bittet in einen neubautypischen Wohnzimmer-Küchen-Mix. Hier ist die Zentrale von ClimateMind, heißt: Laptop und Besprechungstisch. Der Blick aus dem Fenster geht in die Wolken über Berlin, davor baumelt eine Hängematte, ein Souvenir von Hoppmanns Brasilientrip. Fotos und selbstgemalte Aquarelle an den Wänden zeigen den Regenwald. „Meine Reisen haben Spuren hinterlassen“, sagt Hoppmann und stellt zwei Gläser Wasser auf den Tisch.
Seit 2021 feilt sie hier mit ihrem Geschäftspartner Fabian Hirt und einer handvoll freier Mitarbeiter:innen an ihrem Konzept, plant Weiterbildungen für Unternehmen, NGOs, Verwaltungen. Mal ist es ein Vortrag vor städtischen Klimaschutzmanager:innen in Soltau, mal ein Onlineseminar für das Klimabündnis Together for Future, mal eine Schulung in interner Nachhaltigkeitskommunikation für ein Unternehmensnetzwerk oder ein Workshop für Schauspieler:innen, die Strategien für eine gemeinsame Klimaaktion entwickeln wollen. „Wir möchten Menschen aus ganz unterschiedlichen Bereichen motivieren, aktiv zu werden.“
Wie das geht, hat Hoppmann im Studium gelernt: Psychologie, Schwerpunkt Umweltpsychologie, Unterabteilung Klimapsychologie, eine junge Disziplin, die „das Verhalten von Menschen in der Klimakrise erklärt, vorhersagt und fördert“, wie es Hoppmann auf ihrer Website erklärt. Woran hakt es, dass wir wider besseres Wissens weitermachen wollen wie bisher? Sie lernt viel über die fünf Barrieren zur Überwindung der Lücke zwischen Wissen und Handeln. Die Angst vor sozialer Ablehnung etwa (Wie halte ich Kritik von Kolleg:innen aus?), der Schutz des Selbstwertes (Wer bin ich als weltläufige Person noch, wenn ich nicht mehr reise?) oder über die Kraft der kognitiven Dissonanz, des Schönredens (Ich fahre doch schon viel Rad). Erfährt, dass auch aus der Sicht der Psychologie jenes Tool ein wichtiger Motor ist, dessen Wirkung sie selbst erlebt hat: die Emotion und das eigene Erleben.
Dresden, Neustadt. Es ist Sonntagmorgen zehn Uhr, die Cafés im Kiez haben noch nicht geöffnet, aber im Stadtteilbüro des sächsischen Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) ist aufgeräumte Stimmung. Stuhlkreis aufstellen, bunte Karten, Stifte zurechtlegen, Flipchart und Beamer in Position bringen. „Klimakommunikation in Zeiten von Rechtsruck“, gleich geht’s los.
15 Ehrenamtliche und Profis des BUND Sachsen sind gekommen, besorgt über den Trend zum Rechtsextremismus im Bundesland, der auch den Klimaschutz zu überrollen droht. Engagierte, wie Carola, die Menschen ermutigen will, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wie Lorenz, der sie aus der Passivität herausholen möchte. Viele hier fragen sich: Wie können wir jene erreichen, die längst nicht mehr zuhören möchten? „Ich habe euch einen Brief von Erik aus den Philippinen mitgebracht, den ich letztes Jahr besucht habe“, sagt Hoppmann zum Auftakt. „An die Engagierten in Sachsen.“ Ein Video von Erik in seinem Dorf ploppt auf, kurz grüßt er, im Hintergrund rauscht Wasser. Und Hoppmann liest seine Schilderungen aus dem Alltag der Zerstörung vor, der Angst der Kinder, zur Schule zu gehen, weil Überschwemmungen den Rückweg abschneiden könnten, von seinem Engagement für eine weltweite Initiative für Klimaschutz. „Ihr habt Glück, dass ihr das nicht erlebt, aber Globaler Süden und Norden dürfen sich nicht spalten lassen, es gibt keinen anderen Weg, als zusammen zu handeln.“
Manchen in der Runde ist das zu viel. Andere fühlen sich bestärkt: nicht aufgeben, wie schwer es auch sein mag. Einige sagen: Wir haben kein Erkenntnisproblem, wir brauchen Methoden. Die üben sie mit Hoppmann nun den ganzen Tag lang. Inputs, Rollenspiele, Feedback. Wie spreche ich unterschiedliche Klima-Typen an? „Die Enttäuschten“, „Die Wütenden“, „Die Etablierten“ etwa? Sicher, mit einem Workshop wird man nicht zum Kommunikationsprofi, einige hier hätten sich noch mehr gewünscht. Hoppmann: „Es ist immer eine neue Abwägung: Was passt zur Gruppe und wie geht es bei ihnen weiter?“
Der Vielfalt der Erwartungen gerecht werden, den optimalen Anker finden, der zu jedem Einzelnen passt – Klimapsychologie heißt auch Eindringen in noch unbekanntes Terrain. Nicht nur bei Schulungen von NGOs, Verwaltung oder Verbänden, sondern wohl erst recht bei Führungskräften in klassischen Konzernen, die Hoppmann mit ihrem „Leadership-Programm für Klimagerechtigkeit und Mindshift“ ansprechen will. Schließlich kennt sie die Welt der Konzerne von innen, auch Organisationspsychologie gehörte zu ihrem Studium. In einem Studienprojekt beim Beratungskonzern Egon Zehnder hat sie den Alltag kennengelernt. Die Schwierigkeiten, das Nachhaltigkeitsthema weiterzubringen. Die Unsicherheit der Mitarbeitenden. Die Scheu der Führungskräfte, neue Wege zu gehen. „Aber die Zeit ist knapp, wir müssen da anfangen, wo der größte Hebel ist – an den Schaltstellen der Macht.“ Hoppmanns Ziel: Das „Mindset von Führungskräften ändern“. Dass sich daran schon viele die Zähne ausgebissen haben, schreckt die 29-Jährige nicht ab.
Aufgeben gibt’s nicht – damit ist Hoppmann aufgewachsen, damals im Wendland. Clenze, ein 2.200-Einwohner:innen-Örtchen im Landkreis Lüchow-Dannenberg. Fachwerkhäuser, weite grüne Wiesen, mittendrin das Atommüllzwischenlager Gorleben. Protest, sagt Hoppmann, gehört zur DNA der Region. Ein Drittel sind Althippies, ein Drittel konservative Landwirt:innen, ein Drittel irgendwo dazwischen. Die meisten Klassenkamerad:innen gehen regelmäßig auf Demos, oft mit der ganzen Familie. Als Lehrerkind fühlt sich Hoppmann unter Beobachtung, bleibt lieber neutral. Um so mehr beeindruckt sie ihre Klarinettenlehrerin Lily, die extra ins Wendland gezogen ist, um gegen Atomkraft zu protestieren. Die sich an Castor-Transporte anketten lässt und ihre Schülerin ermuntert: „Hab Mut, dein Ding zu machen.“ Warum also nicht das Mindset von Konzernmanger:innen umdrehen?
Nun ja, kniffelig ist das schon. Denn es geht nichts daran vorbei: an der Auseinandersetzung mit sich selbst. Warum habe ich als Führungskraft vielleicht bisher klimaschädliche Entscheidungen getroffen? Wie kann ich dazu stehen und neue Wege gehen, die Mitarbeiter:innen überzeugen? Worauf gründet sich nun mein Selbstwert, wenn nicht mehr auf Top-Bilanzen? Wie schaffe ich es, mein Team, Geschäftspartner:innen und Kund:innen für fairen Klimaschutz zu sensibilisieren? „In den Leadership-Trainings setzen wir uns gemeinsam mit solchen Fragen auseinander und suchen zum Beispiel nach neuen Rollenbildern, die zu einer Führungskraft passen“, sagt Hoppmann. Welche Art von Manager:in will ich sein? Wenn nicht mehr Profitmaximierer:in, vielleicht verstehe ich mich künftig als Kümmerer:in, der oder die sich für ein Thema wie Nachhaltigkeit einsetzt, das alle berührt, auch die eigenen Kinder?
Immer wieder schlägt Hoppmann auch bei Führungskräften ein Gefühl entgegen: Ohnmacht. „Was kann ich als einzelner Manager schon bewirken?“ Dann sagt sie: „Stellen Sie sich die Frage auch, wenn Sie eine Innovation umsetzen wollen, die es noch nirgends auf der Welt gibt?“
Manchmal kann schon eine Rede etwas in Gang setzen. Wie neulich ihr Vortrag vor einer Runde Managerinnen von Chemieunternehmen. Sie erzählte von ihren Erlebnissen mit der Realität der Klimakrise anderswo auf der Welt, von ihrem eigenen Hadern: Was kann ich schon tun? Und von ihrer Entscheidung, ClimateMind aufzubauen und es zu versuchen. „Danach sind viele auf mich zugekommen: Sie haben etwas in mir angestoßen.“ Und wie hat sich das Handeln dieser Personen konkret geändert? „Das lässt sich schwer nachweisen“, sagt Hoppmann. 2025 will ClimateMind daher die Wirkung der Schulungen und Impulse genau evaluieren.
Knapp 3.500 Führungskräfte haben bereits an Trainings teilgenommen, 2023 gewann ClimateMind den Social Impact Award Germany. Jetzt feilt Hoppmann am nächsten Schritt: Führungstrainings, die mit echten Lernreisen verbunden sind – zu jenen, die schon heute massiv unter der Klimakrise leiden, in Asien etwa. Sich mit den Folgen seines Handelns hautnah auseinandersetzen. Gemeinsam über Lösungen diskutieren – was erwarten wir voneinander, was können wir ändern?
Ob es gelingt, die Haltung der Menschen an den großen Hebeln wirklich zu drehen? Hoppmann ist, berufsbedingt, optimistisch. „Das Momentum ist da.“
Janna Hoppmann, Gründerin von ClimateMind