Schwerpunkt: Moore

Leben im größten Feuchtgebiet der Welt

Das brasilianische Pantanal wird von Bränden, Rodungen und Wassermangel bedroht. Wie Indigene und NGOs um die Region kämpfen.

Ohne das Wasser hat Adílio Alves de Arruda es nicht ausgehalten. Er hat es versucht, hat zwei Jahre in der Stadt gearbeitet, eine Städterin geheiratet, ein Haus gebaut. Dann ist er zurückgekommen.

Seitdem lebt er wieder zwischen dem Fluss Cuiabá und dem Überschwemmungsgebiet. Der schmale Streifen Land, auf dem sein Haus steht, wird auch in der Regenzeit nicht überflutet, weil Alves de Arruda Lehm aufgeschüttet und festgestampft hat. So befestigt das Volk der Guató seit jeher den Baugrund für seine Häuser. Früher haben sie zwischen den Lehmschichten noch zerstoßene Krebsschalen und Fischknochen eingelagert, zur besseren Drainage.

Alves de Arrudas Haus ist aus Holzplanken gebaut und mit Wellplatten aus Eternit gedeckt statt mit Palmstroh. Von der Veranda blickt er auf den vorbeiziehenden Fluss, der manchmal Inseln aus Wasserlilien und Schilf mit sich trägt. Hinter dem Haus dehnt sich eine weite Ebene bis zum Horizont. Adílio Alves de Arruda ist vierzig Jahre alt und einer von vielleicht 400 Guató-Indigenen, die heute noch im Feuchtgebiet Pantanal im Südwesten Brasiliens leben. Über einige Kilometer am Flussufer des Cuiabá und seines Zuflusses wohnen sie in Familien organisiert, nicht in Dörfern: Von Alves de Arrudas Haus sind es nur ein paar Minuten Fußweg zum Haus seiner Mutter Sandra, von dort nur wenige Meter bis zu seiner Schwester Karine, eine kurze Bootsfahrt trennt ihn vom Haus seines Bruders Carlos.

Indigenes Leben im Pantanal: Häuser am Fluss. Foto: Christine Wollowski

Früher waren die Familien autark, lebten von den Früchten des Ackers, vom Fischen und Jagen. Jede hatte ihren Bootssteg, ihre Pflanzungen mit Bananen, Maniok und Reis, ihren Kräutergarten. Kolonisator:innen schleppten ab dem 16. Jahrhundert tödliche Krankheiten ein und Farmer:innen vertrieben Ende des 19. Jahrhunderts fast alle restlichen Guató, um auf den Naturwiesen Rinder zu züchten. Wenige blieben, geduldet auf ihrem eigenen Land.

Sie arbeiteten für Kost und Logis für die Eindringlinge, die stets bewaffnet herumliefen. Hundert Jahre später behaupteten die Farmer:innen, die Guató seien gerade erst zugewandert und hätten keinen Anspruch auf das Land. Bis Anthropolog:innen anhand von Knochen und Tonscherben das Gegenteil bewiesen. Seit 2000 sind die 20.000 Hektar der „Baia dos Guató“ indigenes Schutzgebiet. Die Kinder lernen ihre indigene Sprache wieder in der Schule, doch viele Traditionen sind vergessen. Außer den Guató leben vier weitere Ethnien im Pantanal, insgesamt schätzungsweise 40.000 Indigene, nur wenige davon in ausgewiesenen Schutzgebieten.

Der hochgewachsene hellhäutige Adílio Alves de Arruda ist der Sohn von Sandra Guató und einem Farmverwalter portugiesischer Abstammung. „Fake-Indigener“ schimpfen ihn hier manche deswegen. Er spricht fließend Portugiesisch, trägt Bermudas und Angelshirts, hat Handy und Wi-Fi zu Hause und verdient Geld mit dem Fang von Lebendködern für Angler:innen. Im Grunde lebt Alves de Arruda weder in seinem Haus noch auf den paar Metern Land. Er verbringt die meisten Stunden des Tages auf dem Wasser, in seinem Boot, wie seine Vorfahren, die Ureinwohner:innen des Pantanal.

Bei Sonnenaufgang steigt er zum ersten Mal am Tag in sein Aluboot, lässt den Motor an und schießt hinaus auf den Fluss. Im Schilf eines der Corixos, der Seitenarme, steigt er um ins Beiboot und rudert weiter, taucht seinen selbst gemachten regenschirm-großen Kescher flach ein, hebt ihn an, schüttelt Algen und Schilfreste heraus und wischt die kleinen schlammbraunen Köderkrebse in einen großen Plastikbottich. Das Thermometer zeigt um sieben Uhr morgens 36 Grad im Schatten. Mückenschwärme surren um ihn herum. Der Mann scheint nichts davon zu merken, er ist jetzt nur noch fließende Bewegung. Eintauchen, anheben, schütteln, herauswischen, eintauchen, anheben, schütteln, herauswischen. Zwischendurch schöpft er mit dem Unterteil einer abgeschnittenen Plastikflasche Wasser aus dem Fluss und trinkt in tiefen Schlucken.

„Da hinten schwimmt ein Krokodil.“ Er zeigt auf ein Paar Knopfaugen und Nüstern, die aus dem stillen Wasser ragen. Idyllisch sieht das aus vor der Kulisse aus silbern verblichenen Baumskeletten, Schilf und einem Himmel voller Schäfchenwolken. Alves de Arruda paddelt näher heran, holt weit aus und lässt mit einem dumpfen Schlag seine Langaxt auf den Kaimankörper prallen. Zweimal muss er noch auf den Kopf schlagen, bis das Tier nicht mehr zuckt, dann dreht er sich um und sagt zufrieden grinsend: „Eine Beilage fürs Mittagessen.“

Alves de Arrudas Leben folgt den Gesetzen der Natur, die ihn umgibt. Romantisch ist das selten. Die Mückenschwärme, gegen die Insektenschutzsprays nichts ausrichten, kommentiert er trocken mit: „Letzte Woche waren sie schlimmer.“ Die Reste des Kaimans, die er einfach ins Wasser wirft, zerfetzen Dutzende Piranhas in Sekundenschnelle.

Die Guató leben direkt am Fluss, baden können sie in ihm nicht. Alves de Arruda bleibt nur Minuten an Land, dann zieht er wieder los …

Fotos: Christine Wollowski

Der Pegel des Cuiabá-Flusses ist niedriger als gewöhnlich im Herbst auf der Südhalbkugel (li.); Adílio Alves de Arruda vom Volk der Guató mit Kescher auf Krebsfang (mi.); für die Viehzucht wurden jahrelang Wälder abgeholzt (re.).

Schwerpunkt Moore

Moore braucht das Land

Moore sind unsere wichtigsten Klimaschützer. Diese Ausgabe zeigt euch, wie Menschen in aller Welt, von Brasilien über die USA bis in die Demokratische Republik Kongo, für den Erhalt und die Wiedervernässung von Feuchtgebieten kämpfen. Grafiken und Fotostrecken eröffnen einen ganz neuen Blick auf das Ökosystem, seine Schönheit und Verletzlichkeit.

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