Schwerpunkt: Klimagerechte Utopien

Stimmen aus dem Globalen Süden – Wie lebt es sich 2040?

Niemand ist so sehr von der Klimakrise betroffen wie der Globale Süden. Deshalb haben wir hier nicht geträumt. Sondern echte Menschen aus Kiribati, Indien und Uganda gefragt: Wie stellt ihr euch euer Land 2040 vor?

Überleben mit Wissenschaft und Tradition

Kiribati

Evii Tong wurde im Jahr 2000 auf den Kiribati-Inseln im Pazifik geboren. Er hat Meereswissenschaften am College of the Atlantic studiert und als Forschungsassistent an der Woods Hole Oceanographic Institution für die Abteilung Meeresgeologie gearbeitet. Bis heute erforscht er wärmetolerante Korallen. Kiribati gehört nach Berechnungen der Weltbank zu den Orten der Erde, die am meisten von der Klimakrise betroffen sind. Evii Tong lebt dort heute noch.

„Die innige Verbindung zu meiner Heimat ist in der Klimakrise unverändert. Die Selbstbezeichnung von uns Inselbewohner:innen ‚I-Kiribati‘ spiegelt dieses Gefühl wider. Es bedeutet übersetzt etwa ‚Ich von Kiribati‘. Meine Heimatinsel Maiana ist zum Resilienz-Zentrum der Pazifikstaaten geworden. Ein ausgefeiltes Hydraulik-System lenkt Meeresströmungen um, das reduziert seit Jahren den Landverlust. Wasserturbinen am Meeresgrund erzeugen Energie für unsere Häuser. Und mitten in der türkisblauen Lagune liegt das wissenschaftliche Herzstück des Atolls: ein schwimmendes Forschungszentrum mit modernen Laboren unter Palmendächern, finanziert durch ein amerikanisches Forschungsinstitut. Es vereint die Expertise von Wissenschaftler:innen aus aller Welt und der umliegenden Inseln. Das Ziel: Kiribati anpassungsfähiger machen.

Abgesehen von der Forschungsstation, Elektrobussen und einem nachhaltigen Wellness-Resort für Tourist:innen, hat sich auf Maiana nur wenig verändert. Auch heute, 2040, ernähren wir uns von Fisch, Brotfrucht, Wurzelgemüse und Kokosnüssen, flechten Schlafmatten aus getrockneten Pandanusblättern und sehen den Fregattvogel über dem Atoll wachen. Und doch hat sich die Gesellschaft gewandelt.

Die Bevölkerung ist zusammengerückt. Vor fünfzehn Jahren gab es einen schrecklichen Zyklon, damals hat Maiana Bewohner:innen von Arorae aufgenommen, einer Insel am südlichen Ende der Gilbertinseln. Heute haben wir etwa 2.500 Einwohner:innen. Maiana ist eine von 13 Inseln, auf denen die I-Kiribati noch leben. In unseren Dörfern gibt es vor allem Kinder und alte Menschen. Viele in meinem Alter haben ein neues Leben im Ausland begonnen, statt in der Inselgruppe umzuziehen. Fast überall werden wir zwar als Klimaflüchtlinge anerkannt, doch die Rechtslage ist oft unsicher. Und wie sollen wir unsere Traditionen in der Ferne weiter pflegen? Möglich ist es: In Neuseeland nutzen I-Kiribati die Maori-Häuser, die unseren Maneabas ähneln, für Tänze und Zusammenkünfte.

Die meisten Tage verbringe ich in der Forschungsstation. Ich überprüfe den Zustand unseres künstlichen Korallenriffs. Traditionelle Speerfischer tauchen zu den Korallen und entnehmen stabförmige Proben. Auch in den Mangrovenwäldern an der Küste gegenüber laufen täglich Anpassungsprojekte. Frauen vergraben Pflanzensetzlinge im schlammigen Boden, um die Küste vor Erosionen zu schützen – ehrenamtlich. Finanziert werden die I-Kiribati von Familienmitgliedern im Ausland. Auch der Export von Kokosöl und der Tourismus auf der Insel bringt uns noch Einnahmen. Die meisten versorgen sich aber mit kleiner Landwirtschaft selbst. Niemand ist hier reich, aber alle haben genug.

Abends sitze ich oft mit meinem Großvater Anote Tong auf dem langen Deich hinter unseren Häusern und schaue aufs Meer. Mein Großvater war von 2003 bis 2016 Präsident von Kiribati und Umweltaktivist. Wir diskutieren über die Regierung heute und wünschen uns beide eine transparentere Verteilung der erhaltenen Verlust- und Schadensfonds. Trotzdem bleiben wir zuversichtlich. Unser System aus Tradition und moderner Wissenschaft kann bestehen – vorausgesetzt, wir bewahren stets ‚Kakaitau: die Achtung der Natur‘, wie es mein Großvater nennt.“

Protokoll: Anne Paulsen

Frauen vereint für den Frieden und die Umwelt

Indien

Kiran Moghe, geboren 1960, ist Sozialarbeiterin und Politikerin in Pune, einer Großstadt im Westen Indiens. In London studierte sie Wirtschaftswissenschaften, zurück in ihrer Heimat schloss sie sich der Frauenbewegung an. Seit den 1980er-Jahren ist sie Teil der All India Democratic Women’s Association. Ihr Engagement gilt vor allem den Rechten von Arbeiter:innen.

„Etwa 15 Jahre ist es her, dass wir uns in Indien an einem Scheidepunkt befanden: Der Rechtsruck schien kaum aufhaltbar, die Umwelt wurde im Namen von Wachstum und Profit zerstört. Nur dank des unermüdlichen Einsatzes der Frauen, die in so vielen Kämpfen an vorderster Front standen, blicke ich auf Jahre der Gerechtigkeit, des Zusammenrückens und der Innovation zurück. Es waren die Frauen, die für Bürger:innenrechte …

Hologramm-Illustrationen: Good Impact

Von links nach rechts: Evii Tong, Kiran Moghe, Kakwenza Rukirabashaija

Schwerpunkt Klimagerechte Utopien

All you can dream

Wir haben recherchiert, mit zahlreichen Expert:innen gesprochen und dann unsere Vorstellungskraft spielen lassen: Wie könnte unser Alltag im Jahr 2040 aussehen? Wie werden wir bauen, uns ernähren, uns fortbewegen, wenn wir den Kampf fürs Klima endlich priorisiert haben? Und was droht, wenn wir das nicht tun?

Weiterlesen