#CoronaEltern

Heulend auf dem Küchenboden

Die immense Belastung für Familien und Eltern ist eines der zentralen, stillen Themen dieser Krise. Eines ohne bisher vollends befriedigende und pragmatische Antworten. Unter #CoronaEltern rief unsere Kollegin Mareice Kaiser, Chefredakteurin des Portals „Edition F“, bereits am 20. April dazu auf, dem Ärger und der Verzweiflung Luft zu machen. Seitdem hat der Hashtag enorme Eigendynamik entwickelt und für kontroverse Diskussionen gesorgt. Sie reichen von großer Solidarität bis zu Vorwürfen, Beschimpfungen und dem Propagieren alter, traditioneller Rollenbilder. Macht euch im Netz selbst ein Bild. Mareice Kaiser hat zweifellos einen Nerv getroffen. Wir schauen daher noch einmal zurück und veröffentlichen ihren April-Kommentar erneut. Die in ihm gestellten Fragen bleiben aktuell. Es gilt, sie konstruktiv und gemeinsam zu lösen.

Berlin, 20. April 2020. Eltern sollen gerade alles sein: Erzieher*innen, Lehrer*innen, Arbeiter*innen, am besten gleichzeitig. Wie soll das gehen? Und wann reagiert die Politik? Ein Kommentar

„Die Lockerungen der Corona-Maßnahmen dürfen nicht auf dem Rücken von Eltern ausgetragen werden“ – so lautet der Titel des Artikels unserer Autorin Lea Gscheidel. Er erschien in der vergangenen Woche, kurz bevor die Lockerungen von der Bundesregierung verkündet wurden. „Wie soll das alles gehen? Müssen Eltern jetzt reihenweise – vermutlich meist die Mütter – ihre Jobs kündigen oder sich noch vier Monate lang in den Burnout arbeiten?“ Die Fragen von Lea Gscheidel sind noch immer unbeantwortet und noch immer aktuell.

Eine ganz, ganz schwierige Situation

Es ist genau so gekommen, wie befürchtet: Die Kitas werden voraussichtlich nicht allzu bald wieder öffnen. Wie Eltern Kinderbetreuung und Lohnarbeit wuppen sollen? Eine politische Antwort gibt es bisher nicht. Angela Merkel sagte in der insgesamt einstündigen Pressekonferenz lediglich: „Es ist eine ganz, ganz schwierige Situation für Eltern. (…) Ich weiß, wieviel Verzicht das noch für Eltern bedeutet.“

„Und nun?“ fragte SZ-Redakteurin Barbara Vorsamer – die heute Abend zum Thema bei Hart aber fair zu Gast sein wird – in einem Kommentar. „Sind die Kinder coronabedingt zu Hause – und Wissenschaft wie Politik tun so, als wäre Berufstätigkeit von Eltern etwas, was je nach Bedarf an- und ausgeknipst werden kann. Es sind gerade die Frauen – viele von ihnen mit Kindern -, die derzeit das Land als Kassiererinnen, Pflegekräfte, Krankenschwestern am Laufen halten. Wer glaubt, dass Frauen und natürlich auch Männer das alles schon irgendwie hinbekommen mit flexiblen Arbeitszeiten, Home-Office und ein bisschen gutem Willen, der hat keinen Schimmer, wie zeitraubend und kräftezehrend es ist, Fünfjährige in Drei-Zimmer-Wohnungen bei Laune zu halten. Gleichzeitig zu arbeiten, ist nahezu ein Ding der Unmöglichkeit.“

Offenbar müssen Politiker*innen selbst Kinder haben, um die Situation beurteilen und ihr die nötige Aufmerksamkeit geben zu können. So sagt Annalena Baerbock, Vorsitzende der Grünen und Mutter von zwei Kindern im Interview mit der „taz“: „Da ist Druck im Kessel, die Belastungen nehmen zu. Einen Dreijährigen und eine Fünfjährige kann man nicht auf Dauer neben einem Vollzeitjob betreuen. Es geht ja nicht um Ruhighalten. Kinder brauchen Gespräche, soziale Interaktion, Bewegung.“ Sie spricht außerdem von der sozialen Schieflage, die sich verschärft und darüber, dass den Kindern all ihre Orte genommen wurden: „Kinder gehen zur Ablenkung nicht in den Baumarkt.“

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Corona-Elterngeld

Baerbock fordert im Interview ein Corona-Elterngeld und schließt sich damit der Forderung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung an. „Es muss anerkannt werden, dass nicht alle erwerbstätigen Alleinerziehenden und Familien mit zwei beschäftigten Elternteilen über Monate ihre Erwerbstätigkeit in gewohntem Umfang aufrechterhalten können, wenn sie ,nebenbei‘ Kinder betreuen und Home-Schooling organisieren müssen“, heißt es in der Stellungnahme der Expert*innen.

Und weiter: „Denkbar wäre eine Corona-Elternzeit und ein Corona-Elterngeld, das heißt, sie haben einen Rechtsanspruch auf Arbeitszeitreduzierung mit entsprechendem Kündigungsschutz und erhalten gegebenenfalls eine Einkommensersatzleistung. Bei einer solchen Maßnahme könnten Alleinerziehende sowie Familien, in denen beide Eltern gemeinsam mehr als 40 Stunden arbeiten, jeweils eine Reduzierung der individuellen Arbeitszeit zur Kinderbetreuung beim Arbeitgeber beantragen und dafür einen staatlichen Einkommensersatz erhalten. Um Geschlechterunterschiede bei der Erwerbs- und Sorgearbeit nicht zu verschärfen, könnte die Leistung bei Paaren an die Bedingung geknüpft werden, dass beide Elternteile ihre Arbeitszeit reduzieren.“

Politisch: bisher nichts

Von diesen Vorschlägen ist in der Politik bisher nichts zu hören. Einzig Familienministerin Giffey meldete sich, wie es sich für eine Familienministerin gehört, zu Wort. Sie hält nichts von den Kita-Schließungen bis August. In den Pressekonferenzen des Corona-Kabinetts kommen Familien und ihre besonders belastete Situation bisher nicht vor. Eltern – besonders Frauen und Alleinerziehende – seien „über das vertretbare Maß hinaus belastet“, sagte Familienministerin Franziska Giffey. Ab heute will eine Arbeitsgruppe von Ländern, Bund und Expert*innen Vorschläge erarbeiten, wie eine schrittweise Wiederöffnung der Kitas aussehen kann. Für Sorgeberechtigte, die wegen der Betreuung ihrer Kinder vorübergehen nicht arbeiten können, gibt es einen sogenannten Entschädigungsanspruch. Er kommt allerdings nicht für alle in Frage und ist „kein Allheilmittel für die immensen Belastungen“, denen Eltern gerade ausgesetzt sind.

Seit Tagen formieren sich die Eltern mit Facebookgruppen und Petitionen. Dabei ist allen klar: Es gibt nicht die Lösung. Und natürlich ist es vor dem Hintergrund des Infektionsgeschehens auch keine, einfach wieder Kitas und Schulen zu öffnen. Ein Weg für Politiker*innen wäre, den Eltern zuzuhören. In den digitalen Diskursen von Eltern rund um die Corona-Krise geht es vor allem um die unterschiedlichen Perspektiven und Bedürfnisse. Eine Alleinerziehende Unternehmerin braucht aktuell anderen Support als eine Familie mit zwei Eltern und einem pflegebedürftigem Kind.

Politik und Privates

Einig sind sich aber alle in dem Punkt, dass sie sich von politischen Entscheider*innen im Stich gelassen fühlen, sich nicht gesehen und gehört fühlen. Ein politisches Problem wird ins Private verschoben. Das ist nichts Neues, wenn man sich die politische Priorität von Care-Arbeit anschaut. Auch jetzt in der Krise wird davon ausgegangen, dass sie einfach gemacht wird – vorwiegend von Frauen, unterbezahlt, unbezahlt, unsichtbar.

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Auf Twitter habe ich gefragt: „Was machen eigentlich Eltern, die nicht mehr können? Ich frage für, nun ja, fast alle, die ich so kenne.“ Bisher kamen mehr als 120 Antworten. Wie diese hier von Journalistin Caroline Turzer: „Ich habe mich gestern heulend auf den Küchenboden gelegt. Meine Zweijährige hat meinen Rücken gestreichelt und der Sechsjährige meinen Kopf. Hat etwas geholfen.“

Wie erlebt ihr die Krise als Eltern? Was braucht ihr, um einigermaßen unbeschadet durchzukommen? Wie könnte die Entlastung aussehen? Erzählt es unter dem #CoronaEltern in den Sozialen Medien.

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Seit Juni 2020 kooperiert Good Impact mit EDITION F. In loser Folge erscheinen nun Texte von EDITION F bei Good Impact und umgekehrt. Wir freuen uns sehr über die konstruktive Zusammenarbeit.

Unsere Kooperationspartner*innen

Das ganze EDITION F-Team bewegt auf der gleichnamigen Onlineplattform mit Liebe und Leidenschaft tolle Dinge für und mit Frauen – und gemeinsam mit Männern. Dabei wollen wir nie stehenbleiben, sondern gemeinsam immer wieder Neues anstoßen und bewegen. Denn ein Ziel steht für uns bei allem, was wir tun ganz oben: Wir wollen die Welt besser machen. Fairer machen. Und Frauen – wie auch allen anderen Geschlechtern – die Augenhöhe, den Raum und die Anerkennung geben, die sie verdienen.

Bild: Unsplash/_Mxsh_

Die Corona-Maßnahmen stellten insbesondere Familien vor extreme Herausforderungen. Unter #CoronaEltern rief unsere Kollegin Mareice Kaiser von Edition F Eltern dazu auf, ihrem Frust auf den Sozialen Medien eine Platform zu geben. Sie traf damit einen Nerv.

Mareice Kaiser, Edition F

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