Herr Gloger, welche Note würden Sie unserem Schulsystem in Deutschland geben?
Boris Gloger: Ich bin gegen Schulnoten. Dieses System ist einfach an seine natürlichen Grenzen geraten und hängt heute den Anforderungen von Wirtschaft und Gesellschaft hinterher. Digitalbasierten Unterricht, der selbstbestimmtes, selbstgesteuertes Lernen fördert, gibt es kaum. Doch er wäre heute nötig. Die Pandemie hat gezeigt: Weder das System Schule noch die meisten Lehrkräfte sind in der Lage, so einen Unterricht umzusetzen.
Was ist Scrum4Schools?
Der Kerngedanke ist, Schule effektiver zu machen. Die Kinder erarbeiten in kleinen Gruppen selbstständig Aufgaben – wie sie das machen, steht ihnen frei. Es gibt weder Klausuren noch Hausaufgaben. Lehrer:innen beantworten bei Bedarf Fragen, schütteln mal eine Übungsaufgabe aus dem Ärmel, geben Recherche-Tipps. Eine Aufgabe kann lauten: „Es gab mal einen berühmten Griechen, der mit dem Satz des Thales verbunden wird. Erklärt mir bis Ende der Woche, wer und was das ist, welches Problem er lösen wollte und dass ihr folgendes mathematisches Problem zügig mit unterschiedlichen Werten lösen könnt. Wer den Satz beweisen kann, bekommt am Ende der Woche eine Belohnung.“ Die Kinder erarbeiten sich neben Wissen viele Kompetenzen, die sie brauchen, um später ähnliche Aufgabenstellungen bewältigen zu können.
Okay, wie funktioniert das konkret?
Wir haben die Grundregeln der Prozessmanagementmethode Scrum auf die Schule übertragen. Die Methode kommt aus der Softwareentwicklung und wird heute in vielen Unternehmen verwendet, die auf eine agile Organisation setzen. Also ihre Arbeitsabläufe flexibel, selbstgesteuert und eigenverantwortlich organisieren. Scrum4Schools gibt Schüler:innen ein feinmaschiges Raster an die Hand, nach dem sie ihren Lernprozess strukturieren können. Dabei werden etwa feste Rollen verteilt – der Lerncoach (die Lehrkraft) gibt das Lernziel vor, Lernteams von vier bis fünf Schüler:innen arbeiten zusammen, der oder die Strukturheld:in organisiert kontinuierliche Kurztreffen, um Lernfortschritte sichtbar und Hindernisse auszumachen. Das Lernen selbst läuft in Zyklen ab, den Sprints: planen, durchführen, prüfen, anpassen. Es ist ein ständiges Ausprobieren und Verbessern. Eine Stunde startet etwa mit einem „Daily“, einem kurzen, täglichen Planungsmeeting. Schüler:innen besprechen in fünf Minuten, was in der Unterrichtsstunde zuvor schon erarbeitet wurde, wer welche Aufgabe an dem Tag bearbeitet und ob es Hindernisse geben könnte.
Welche Tools lassen sich leicht einsetzen?
Eine Arbeitstafel, die plakativ die wichtigsten Aufgaben der Woche zeigt. Das kann ein Whiteboard oder eine Pinnwand sein, die tabellarisch in die drei Spalten „Aufgaben“, „In Arbeit“ und „Erledigt“ unterteilt ist. Die Lehrer:innen setzen sich am Anfang der Woche mit den Kindern zusammen und planen die kommenden Tage. Dabei überlegen sie, welche Aufgaben wichtig werden, schreiben sie auf Klebezettel und hängen diese in die linke Spalte. Der permanente Dialog ist eine gute Basis, um mit selbstorganisiertem Lernen zu starten. Ebenso wie regelmäßige Rückblicke. Was lief gut vergangene Woche, was hat euch gestört, was können wir verbessern?
Was erreichen Schulen mit der Methode?
Schüler:innen lernen, effektiv vorzugehen und sich selbst besser einzuschätzen: Wer bin ich, was kann ich? Gleichzeitig fördert Scrum4Schools, im Team zu arbeiten und die Fähigkeiten der Mitschüler:innen zu schätzen. Kinder machen die Erfahrung, dass Lernen nicht nur Kraft geben kann, sondern dass sie gemeinsam bessere Resultate erreichen können. Sie entwickeln sich persönlich weiter und übernehmen Verantwortung für ihren Lernprozess.
Boris Gloger
Boris Gloger ist Geschäftsführer von Boris Gloger Consulting und hat die Initiative Scrum4Schools gegründet. Sie überträgt agiles Denken und Handeln auf den Unterricht und unterstützt Schulen bei der Organisation von selbst gesteuertem Lernen. Foto: Borisgloger ConsultingWelchen Impact kann Scrum4Schools auf unser Bildungssystem haben?
Wann immer ich mit Schüler:innen, Eltern und Lehrkräften gesprochen habe, hieß es: Schule sei belastend, koste zu viel Geld, hätte ineffiziente Abläufe. Seit gut zwanzig Jahren werden auch in der Wirtschaft Projekte, die mit alten Methoden gemanagt werden, immer teurer, zu komplex sind die Aufgaben geworden. Immer mehr Geld wird investiert, bessere Ergebnisse gibt es nicht. Die Parallele zur Schule ist eindeutig. Es werden Ressourcen aufgestockt, doch alle sind weiter unzufrieden mit dem Bildungsniveau. Kinder lernen Dinge, von denen sie 70 Prozent später nicht brauchen. Mit Scrum4Schools ändern wir das. Wir können mit weniger Lehrer:innen effektiveren Unterricht machen, Schüler:innen lernen etwas, das ihnen wirklich nutzt.
Wo ist das Konzept bereits im Einsatz?
Bis heute sind etwa 50 Schulen dabei, darunter Reformschulen wie die Evangelische Schule Berlin Zentrum oder die Don-Bosco-Schule in Rostock, Preisträgerin im Social-Impact-Wettbewerb „Baut Eure Zukunft“. Das Feedback ist unisono: Die Kinder sind motivierter, die Lehrkräfte sind zufriedener, denn die Beziehung zu den Schüler:innen verbessert sich und Schule wird zu einem Ort des vertrauensvollen Austauschs.
Scrum4Schools setzt auf Eigenverantwortung: Schüler:innen bilden kleine Lernteams und gestalten den Unterricht selbst. 50 Schulen probieren es schon aus (Symbolbild).