Streitgespräch

Sollten wir Zoos abschaffen?

Länder und Kommunen bezuschussen sie mit mehreren Millionen Euro im Jahr, die oft zitierten Gründe: Umweltbildung und Artenschutz. Doch was leisten Zoos wirklich für den Erhalt bedrohter Tierarten? Und wie könnten sie sich langfristig verändern, um effektiver zu sein? Darüber diskutieren Torsten Schmidt vom Bund gegen Missbrauch der Tiere (BMT) und Arnulf Köhncke vom WWF.

22,5 Millionen Menschen haben 2020 die 56 großen Zoos des Verbands der Zoologischen Gärten (VdZ) besucht. Herr Schmidt, Sie wollen sie dennoch abschaffen. Warum?

Torsten Schmidt: Zoos werden den umwelt- und gesellschaftspolitischen Herausforderungen nicht gerecht: Wir stehen mitten in einem gigantischen Artensterben und haben große Defizite in der Umweltbildung. Die Antworten der Zoos darauf sind völlig ineffektiv, gerade im Artenschutz, aber auch bei der Bildungsarbeit. Tiere werden in künstlichen Kulissen gehalten, es gibt erhebliche Tierschutzdefizite und die Komplexität von Naturvorgängen wird nur unzureichend dargestellt.

Der WWF arbeitet mit ausgewählten Tiergärten des VdZ zusammen, um Menschen für den Naturschutz zu gewinnen. Wie kann das gelingen?

Arnulf Köhncke: Zoos spielen eine sehr wichtige Rolle in der Bildung, für den Artenschutz und in der Forschung. Es darf bei einem Zoobesuch ja nicht nur um Unterhaltung gehen. Deshalb sind wir als WWF ganz klar gegen die rein kommerzielle Nutzung von Wildtieren, zum Beispiel im Zirkus. Zoologische Gärten hingegen leisten tatsächlich unglaublich viel für die Umweltbildung. Sie sind Orte, wo man viele Menschen für den Schutz der Tiere in der Natur begeistern kann.

Zoos sollten den Besuchenden am Gehege erklären, wie es dem Tier im Freiland geht, warum es bedroht ist und was man selbst und die Politik dagegen tun kann.
Arnulf Köhncke

Wir als WWF geben Zoos, mit denen wir zusammenarbeiten, zum Beispiel einen Artenschutzkoffer mit Materialien für die Bildungsarbeit zu Artenschutz und Artenvielfalt. Zoos sollten den Besuchenden am Gehege erklären, wie es dem Tier im Freiland geht, warum es bedroht ist – etwa durch unser Konsumverhalten –, und zeigen, was man selbst und die Politik dagegen tun kann. Diese Verbindung möchte ich sehen: zwischen Tieren, gehalten von Menschen, und Tieren in der Natur. Ebenso wie die Verbindung zur menschengemachten Artenkrise mit einer Million bedrohter Arten, für die wir die Verantwortung tragen.

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Auch bei Good Impact: Wie wir die Biodiversität bewahren

Länder und Kommunen unterstützen Zoos mit mehreren Millionen Euro im Jahr. Naturdokus wären günstiger, virtuelle Zoos vielleicht ethischer. Wie würden Sie Umweltbildung vermitteln, Herr Schmidt?

Schmidt: Der unmittelbare Kontakt zur Natur ist wichtig, das geht nicht rein virtuell. Am besten aber findet Bildung lokal statt und nicht abgekoppelt von den fernen Herkunftsländern der Tiere. Deutlich besser fände ich daher den Besuch von Schulklassen im Wald oder auf einer ungemähten Wiese: hinsetzen und einfach mal eine halbe Stunde beobachten. Vielleicht sieht man nur unscheinbare Insekten, aber das bleibt oft viel tiefer haften als der Blick auf einen Elefanten aus fünf Meter Entfernung. Sowieso zeigen Studien: Die meisten Menschen bleiben ohne Führung nur wenige Minuten, bei manchen Tieren gar Sekunden, vor einem Gehege stehen.

Köhncke: Ich finde, wir brauchen beides: die Hand in der taufeuchten Wiese mit dem vorbeifliegenden Schmetterling, aber auch die Giraffe aus der Entfernung oder den Löwen, den ich mir im Zoo ganz nah anschauen kann. Das berührt uns auf unterschiedliche Weise.

Torsten Schmidt

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Tierschutzverein Bund gegen den Missbrauch der Tiere. Dort arbeitet der Biologe zum Schwerpunkt Wildtiere.
Bild: privat

Arnulf Köhncke

leitet den Fachbereich Artenschutz beim WWF Deutschland. Die Umweltschutzorganisation kooperiert mit ausgewählten Zoos des Verbands der Zoologischen Gärten (VdZ).
Bild: Marlena Waldthausen / WWF

Wie können wir Zoos verbessern? Welche – vielleicht radikal neuen – Konzepte braucht es?

Köhncke: Unverzichtbar sind natürlich bestmögliche Haltungsbedingungen. Ich beobachte einen Trend zur Modernisierung: weniger Arten, dafür mehr Platz für jede einzelne. Neulich war ich beispielsweise im dänischen Ree Park Safari in Aarhus mit einem riesigen Areal, aber ganz wenigen Savannenarten, neu geschaffen und mitten in der Natur, ein innovativer Ansatz, der funktioniert. Viele Zoos fangen auch an, die Tiere in einem Ökosystem-Zusammenhang zu halten. Der Leipziger Zoo ist da auf einem guten Weg, etwa mit seiner naturnahen Himalaya-Landschaft.

Schmidt: Ich sehe eher eine Disneyisierung der Zoos, man schraubt den Unterhaltungswert hoch. Das Tier wird zur Kulisse. Wir brauchen stattdessen eine artgerechte Haltung: weniger Arten, größere Flächen mit deutlich mehr Rückzugsmöglichkeiten für die Tiere, damit sie nicht jederzeit beobachtbar sind. Da müssen Zoos komplett umdenken. Sie sollten die Tiere mehr sich selbst überlassen, dann sehen wir auch ein authentischeres Tierverhalten. Es darf nicht alles statisch vorgegeben sein, angefangen von den Fütterungszeiten bis zum Zeitpunkt, wann es ins Innengehege geht. Ohnehin ein enormes, ungelöstes Problem der Zoos: Die meisten Tiere kommen nachts in 20 bis 30 Quadratmeter kleine Innengehege. Dort leben sie zwei Drittel ihres Lebens, nicht in den größeren Außengehegen.

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Ich sehe eine Disneyisierung von Zoos, man schraubt den Unterhaltungswert hoch. Das Tier wird zur Kulisse.
Torsten Schmidt

Kann man überhaupt jedes Tier artgerecht im Zoo halten?

Schmidt: Eine artgerechte Haltung der meisten Tierarten im Zoo ist eine Illusion. Ansonsten sollte man nur Tiere halten, wenn man sie körperlich nicht schädigen muss. Bei Wasservögeln wie Pelikanen und Störchen werden die Flügel beschnitten, damit sie flugunfähig sind und einfacher in Freianlagen gehalten werden können.

Köhncke: Aber das ist doch mittlerweile verboten, oder?

Schmidt: Ja, aber es wird geduldet. Das betrifft etwa 10.000 Vögel pro Jahr. Besser wären große Flugvolieren. Außerdem: Bei jeder achten Säugetierart, die im Zoo gehalten wird, ist die Todesrate höher als die Geburtenrate. Da muss man sich fragen: Ist das sinnvoll? Arten wie der Eisbär wiederum haben gigantische Streifgebiete. Daher zeigen fast alle Eisbären im Zoo Verhaltensstörungen, die Sterberaten der Jungtiere sind hoch. Auf solche Tierarten sollte echt verzichtet werden. Und bei Meeresfischen werden wohl 80 Prozent der Natur entnommen. Das ist angesichts der Diskussion um Artenschutz im Zoo nicht akzeptabel.

Mit Artenschutz wird die Zootierhaltung oft auch begründet. Wie wichtig sind Zoos für Auswilderungs- und Wiederansiedlungsprogramme tatsächlich?

Köhncke: Wir hätten heute bestimmte Arten nicht mehr ohne die Zoos. Zum Beispiel das Wisent, das in Deutschland als ausgestorben galt. Heute leben wieder etwa 6.800 Tiere in der Natur, einige auch hierzulande. Für mich als Artenschützer ein riesiger Gewinn.

Auch bei Good Impact: Sollten wir die Natur in Ruhe lassen, um sie besser zu schützen?

Schmidt: Es ist zwar gut, was Zoos für einzelne Tiere wie das Wisent oder auch das Goldene Löwenkopfäffchen bewirkt haben. Aber in den wenigsten Fällen funktioniert die Vermehrungszucht wirklich. Nur 50 Wirbeltierarten konnten mithilfe von Zoos vor dem Aussterben bewahrt werden – die Hälfte davon Säugetierarten, von denen wiederum nur neun erfolgreich ausgewildert werden konnten. Wir müssen eine Kosten- Nutzen-Rechnung aufstellen: Beim Löwenkopfäffchen haben Zucht und Auswilderung pro Tier 20.000 Euro gekostet. Wenn man dieses Geld in den direkten Schutz des Lebensraums steckt, wäre das effektiver.

Köhncke: Aber leider sind viele Lebensräume nicht in dem Zustand, dass wir Tiere dort wieder auswildern können. Die Bedrohungen wie Wilderei sind noch immer zu groß. Zoos haben daher auch die Funktion, einzelne Arten zu bewahren, als eine Arche. Natürlich muss aber die erste Maßgabe sein, die Artenvielfalt in der Natur zu erhalten.

Die Zoos des VdZ machen einen Jahresumsatz von 300 Millionen Euro, 8 Millionen spenden sie an Naturschutzprojekte in den Herkunftsländern der Tiere, etwa über den freiwilligen „Artenschutz-Euro“ beim Ticketkauf. Auch der WWF kombiniert Spenden mit Tickets. Was bringt das?

Köhncke: Wir sind eine spendenfinanzierte Organisation. Bei den Kooperationen mit einzelnen VdZ-Zoos geht es auch um das Einwerben von Mitteln für den Schutz von Lebensräumen. Wir versuchen alle möglichen Quellen zu aktivieren, um möglichst viel zu erreichen für den Artenschutz.

Schmidt: Was von den Zoos in den Artenschutz fließt, ist einfach zu wenig. Zoos sollten fünf Prozent ihres Umsatzes in den Artenschutz stecken, momentan sind wir deutlich unter drei Prozent.

Von den durchschnittlich 171 Tierarten in den großen deutschen Zoos ist nicht mal jede fünfte Art in der Wildnis bedroht. Manche besonders bedrohten Tiergruppen wie Amphibien – 40 Prozent von ihnen stehen vor dem Aus – sind hingegen weniger vertreten, im Schnitt fünf Arten pro Zoo. Halten wir die falschen Tiere in Zoos?

Schmidt: Immerhin legen die Zoos nach, etwa beim Schutz von Amphibien. Aber wenn ich schaue, wo das Artensterben am schnellsten ist, bin ich etwa bei den Korallen und die werden in Zoos nicht gehalten. Auch bei Insekten gibt es großen Nachholbedarf. Wir brauchen im Zoo keine Tiere aus fernen Ländern, wir haben das Artensterben vor der eigenen Haustür. Das zu verdeutlichen, wäre ein wichtiger Beitrag von Zoos.

Köhncke: Es gibt schon gute Ansätze: etwa das Wüstenhaus in Nürnberg. Meine Kinder haben dort fasziniert Mistkäfer bei ihrer Arbeit beobachtet. Niemand will ja nur den Elefanten erhalten, es geht um das ganze System. Aber Zoos werden weiterhin Arten halten, die Menschen dort einfach erwarten, ergänzt von anderen, die aus Artenschutzsicht besonders wichtig sind. In Leipzig gibt es etwa nachtaktive Schuppentiere, die man nur über einen Monitor sehen kann. Dazu gibt es Informationen, warum Schuppentiere selten sind und so viel geschmuggelt werden. Aber ich verstehe, dass Zoos auch attraktivere Tiere halten. Das ist auch aus Naturschutzsicht hilfreich. Dadurch bekomme ich mehr Unterstützung.

Was kann die Forschung in Zoos zum Tierschutz im Freiland beitragen?

Köhncke: Vieles, das wir über Wildtiere wissen – etwa wie lange sie trächtig sind und wie alt sie werden –, wissen wir aus Zoos. Das hilft uns für den Artenschutz in der Natur. Natürlich sind die Daten angreifbar, weil Tiere in der Natur anders leben als in menschlicher Obhut. Aber es gibt wichtige Forschungsprojekte, etwa zum Nördlichen Breitmaulnashorn: Da wird versucht, eine Unterart, die eigentlich schon funktional ausgestorben ist, vielleicht noch zu retten.

Schmidt: Die meiste Forschung bezieht sich doch aber auf die Zootierhaltung selbst, beispielsweise, wie man gegen Langeweile der Tiere im Zoo ankommt. Das hat mit dem Freiland nichts zu tun.

Mit der Zucht kommt es auch immer wieder zu Überschuss-Tötungen. Wie ist es vertretbar, dass Zoos „überzählige“ Tiere töten, wenn deren Zucht nicht erfolgreich ist oder es für sie keinen Platz mehr gibt?

Köhncke: Zoos müssen in Einklang mit geltendem Recht agieren. Und es gibt auch viele Möglichkeiten für Zoos, anders mit vermeintlich überschüssigen Tieren umzugehen, zum Beispiel Junggesellengruppen für Elefanten. Koordinierte Zuchtprogramme sollen vermeiden, dass überschüssige Tiere überhaupt entstehen.

Schmidt: Es gibt auch entsprechende Gerichtsurteile. Bei der Tötung von drei Tigerwelpen in Magdeburg hat das Oberlandesgericht Naumburg 2011 entschieden, dass das nicht rechtmäßig war. Tigerbabys – völlig gesunde Tiere – wurden dort getötet, weil sie die vermeintlich falsche Genetik für die Zucht hatten. Der Zoo konnte nicht dokumentieren, dass er sich ausreichend bemüht hatte, die Tiere woanders unterzubringen. Er hat sie vorschnell eingeschläfert.

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Wie kann es also weitergehen für die Zoos?

Schmidt: Zoos sollten sich mehr auf heimische Tierarten spezialisieren und sich untereinander abstimmen. Denn nicht jeder Zoo muss das ganze Portfolio an Arten anbieten. Gerade in Nordrhein-Westfalen steht gefühlt alle zehn Kilometer ein anderer Zoo. Deutschland ist, gemessen an der Fläche, das zooreichste Land weltweit. Ich sehe ja auch das enorme Potenzial von Zoos. Nur wird es nicht annähernd ausgeschöpft. Es muss ein Paradigmenwechsel stattfinden, damit eine Chance besteht, dass die Zoos eine bedeutende Rolle im Artenschutz spielen, indem sie bessere Umweltbildung bieten und tatsächlich bedrohte Tierarten für die Auswilderung vorbereiten.

Köhncke: Da bin ich bei Ihnen, es gibt noch mehr Potenzial, auch wenn die Bemühungen für Artenschutz und Umweltbildung schon eindrucksvoll sind. Aus diesem Grund arbeiten wir auch mit Zoos zusammen, um noch mehr zu erreichen für den Erhalt der Artenvielfalt im Zoo und in der Natur.

Bild: privat (li.), Marlena Waldthausen / WWF (re.)

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