Wortwahl

Wie sprechen wir über Alkoholabhängigkeit?

In der Good Impact Rubrik „Wortwahl“ beschäftigen wir uns diesmal mit der Frage: Wie können wir diskriminierungsfreier über Menschen sprechen, die von Alkohol abhängig sind?

Wie viel Alkohol? Wie häufig? Wann? Oder ob überhaupt – wer all das nicht mehr frei entscheiden kann, ist laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen alkoholabhängig. In Deutschland sind das 1,6 Millionen Menschen. Ein gesundheitlich riskantes Trinkverhalten haben weitere 7,9 Millionen laut Bundesgesundheitsministerium. Pro Jahr sterben etwa 74.000 Menschen an Folgeerkrankungen ihres Alkoholkonsums – nicht alle waren alkoholabhängig.

Im Land stolzer Bierbrauer:innen, der Schützenfeste und Weinregionen ist Alkohol ein positiv besetztes Kulturgut: Hierzulande trinkt ein Mensch im Schnitt jährlich 123,8 Liter Bier, (Schaum-)Wein und Spirituosen – nur in fünf anderen Ländern wird mehr getrunken. Wer nicht trinkt, fällt auf. Aber wer nicht mehr aufhören kann zu trinken – und das auch nicht verbergen kann –, wird gebrandmarkt: „Alki“, „Assi“ oder „Säufer:in“. Solche Bezeichnungen entspringen tief liegenden Vorurteilen, die Menschen mit einer Alkoholabhängigkeit diskriminieren.

60 Prozent der Befragten in Deutschland würden eine alkoholabhängige Person weder ihren Freund:innen vorstellen noch als Mieter:in oder als Kandidat:in für einen Job empfehlen, so eine repräsentative Studie aus dem Jahr 2013. Wie hartnäckig sich Vorurteile halten, zeigen die Ergebnisse einer deutschen Langzeitstudie von 1990 bis 2011: 40 Prozent der Befragten sahen in Alkoholabhängigkeit eine Charakterschwäche. Eine internationale Metastudie vom Mai 2021 bestätigt im Fachmagazin Alcoholism: Clinical and Experimental Research: Auch im darauffolgenden Jahrzehnt blieb die Stigmatisierung hoch. Wissenschaftlich belegt sind derlei negative Zuschreibungen nicht: Wer über den Alkoholkonsum nicht mehr frei entscheiden kann, ist nicht charakterschwach – sondern auch laut Definition der Weltgesundheitsorganisation eben schlichtweg psychisch erkrankt.

Alkohol aktiviert im Gehirn etwa die Botenstoffe Dopamin (Glücksgefühl) und Gamma-Aminobuttersäure (Entspannung), kurzum: gute Gefühle. Danach trachten alle Gehirne – aber nicht alle entwickeln bei regelmäßigem Alkoholkonsum eine Abhängigkeit. Ob sie entsteht, hängt nach heutigem Wissensstand von einem komplexen Wechselspiel zwischen Genen und verschiedenen Umweltfaktoren ab, etwa von den sozialen Umständen oder der Bindungserfahrung in der Kindheit. Eine Abhängigkeit verfestigt sich dabei immer schleichend.

Zwar lässt sich die Erkrankung eigentlich gut behandeln, aber: Nur 16 Prozent der alkoholabhängigen Menschen in Deutschland suchen und finden Unterstützung. Etwa weil Angebote nicht niedrigschwellig sind und regelmäßiger Konsum unterschätzt wird. Aber auch, weil die Angst vor Ausgrenzung und Ächtung zu groß ist. Das muss sich ändern. Anfangen könnte es damit, dass wir anders über Alkohol und die Abhängigkeit davon sprechen. Denn Menschen mit einer Alkoholabhängigkeit sind keine Versager:innen – es sind Menschen mit einer Veranlagung für diese Krankheit, in einer Welt voller Ethanol.

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Bild: Mike / Unsplash (Symbolbild)

In Deutschland sind über 1,6 Millionen Menschen alkoholabhängig. Doch wie lässt sich angemessen über Betroffene sprechen?

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