Interview mit Fabian Hart

Make-Up-Call für Männer

Der Autor und Modejournalist Fabian Hart findet, dass wir für eine gerechte und gleichberechtigte Gesellschaft auch eine „männliche Emanzipation” brauchen: Eine Welt, in der es für Männer selbstverständlich ist, sich so anzuziehen und auszudrücken, wie sie es wollen. Im Kampf gegen Vorurteile legt er sich auch mit Barbara Schöneberger an.

Woran liegt es, dass das Thema alternative Männlichkeit vor allem für heterosexuelle Männer immer noch ein Tabu ist? 

Es ist gar nicht lange her, dass Töchtern gesagt wurde: „Mach dich mal zurecht, zieh dir was Nettes an, schmink dich, sonst findest du keinen Kerl.“ Nach der traditionellen Rollenverteilung ist der Mann der wirtschaftlich Überlegene, der Versorger was ja heute längst nicht mehr so sein muss. Frauen werden nicht mehr „vom Markt genommen“, sie haben sich in den vergangenen 40 Jahren aktiv aus dieser Rolle befreit. Sie verdienen ihr eigenes Geld, sehen das Gründen einer traditionellen Familie vielleicht gar nicht mehr als oberste Prio. Für „Hegemoniale Männlichkeit“ ist das natürlich ein Moment der Irritation, denn Männer haben sich in den vergangenen Jahren eher passiv mitentwickelt. Sie fragen sich: „Bin ich noch der Versorger? Bin ich noch das „starke‘ Geschlecht?“ Da viele queere Personen klassischen Männlichkeitsanforderungen zu entkommen versuchen und sich nach einer neuen Freiheit sehnen, sind sie auch alternativen Männlichkeitsbildern gegenüber eher aufgeschlossen.  

Hart ist sich bewusst, dass er selbst einem bestimmten Ideal von Männlichkeit entspricht. Deswegen will er auf seinen Plattformen vor allem auch Menschen abbilden, die das nicht tun.

Bild: Fabian Hart

Was meinst du mit neuer Freiheit konkret?

Statt sich ihrer Macht und Privilegien beraubt zu fühlen, können Männer neue Geschlechterrollen auch als Chance begreifen: Ich muss als Mann nicht länger den Macker raushängen lassen, den „Boss“ spielen, der wirtschaftlich Überlegene sein, der körperlich und seelisch Starke. Ich darf auch schwach sein, um Hilfe bitten, über Probleme sprechen, nicht nur auf dem Fußballfeld heulen, mich zum Essen einladen lassen, in Elternzeit gehen. Es gibt ja durchaus schon Männer, die das leben, also auch heterosexuelle. Aber genauso gibt es Stimmen, die sagen: „Früher war alles besser. Warum muss Männlichkeit und Weiblichkeit neu definiert werden? Warum müssen wir unsere ganze Weltordnung auf den Kopf stellen?” Das sind nicht nur Männer, die das so empfinden, sondern auch Frauen. Guck mal.

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Er entsperrt sein Handy und zeigt mir den Instagram-Account von Barbara Schönebergers Magazin „Barbara“, auf dem sie gerade ein viel geschmähtes Video gepostet hat, in dem sie Männer dazu auffordert, sich bitte auf keinen Fall zu schminken.

Barbara Schöneberger sagt hier in ihrer Funktion als Chefredakteurin, dass Männer doch bitte echte Männer bleiben sollen. Dass Make-Up für Männer gar nicht gehe, sie sollten sich nicht schöner machen. Da denke ich mir, sie hat so viel erreicht, sie hat die deutsche, männerdominierte Medienlandschaft aufgewirbelt und dann haut sie sowas raus. Auch ihre Antwort auf die vielen Kommentare zum Video hat das nicht revidiert. Darin sagt sie, sie meinte damit nicht „die Bunten“, die Make-up als Ausdruck ihrer Individualität nutzen, sondern Männer, die sie selbst früher so gedatet habe. Im ersten Video spricht sie aber generell von „Männern“. Bedeutet, sie sieht nur den Typ als Mann an, auf den sie selbst steht.

Ich fordere natürlich keinen Mann auf, sich zu schminken, wenn er da keinen Bock drauf hat. Ich sage nur: Wenn ein Mann darauf Lust hat, warum nicht mal ausprobieren?
Fabian Hart

Frauen fühlen sich anscheinend genauso verunsichert, wenn das alte Männerbild aufgebrochen wird.

Ja, es gibt auch Frauen, die sich von neuen Männlichkeitskonzepten in ihrem Frausein bedroht fühlen. Sie haben vielleicht auch Angst, dass sie jetzt nicht nur mit anderen Frauen, sondern auch noch mit Männern in Konkurrenz treten müssen. Vielleicht wäre es für Frau Schöneberger irritierend, dass ihr Partner im Bad die besseren Pflegeprodukte hortet. Ich fordere natürlich keinen Mann auf, sich zu schminken, wenn er da keinen Bock drauf hat. Ich sage nur, wenn ein Mann darauf Lust hat, warum nicht mal ausprobieren?

Wie hast du auf Barbara Schönebergers Video reagiert?

Ich habe direkt ein Bild von mir gepostet, auf dem ich geschminkt bin und gesagt: Make-Up-Call für Männer! Wir sollten uns davon lösen, festzulegen, was ein Mann zu tun hat und was eine Frau zu tun hat. Mein Kommentar unter Schönebergers Video hatte mehr Likes als das eigentliche Video, bevor er gelöscht wurde – Vermutlich von der Barbara-Redaktion. Wir brauchen aber einen Dialog. Wir können uns nicht alle ständig othern, und sagen: Du bist nicht normal und du musst dies und du musst das.

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Trotz des gesellschaftlichen Drucks, den auch Männer verspüren, besitzen sie immer noch sehr viele Privilegien. Ist das ein Grund dafür, dass es nicht ernst genommen wird, wenn sie Bedürfnisse nach neuen Freiheiten formulieren?

Absolut. Ich nehme mich da auch nicht raus. Ich bin weiß, gesund, gehe auf der Straße als „richtiger Mann“ durch und promote ein ideales Körperbild, gehe zum Sport, bin 1,87 Meter groß. Ich performe aber nicht als der Aggressor und bin nicht blind für meine Privilegien. Ich spreche in meinen Beiträgen und Kolumnen auf unterschiedlichen Plattformen von Vogue.de bis Instagram darüber, dass Männlichkeit ein Korsett ist, von dem viele Männer noch nicht einmal wissen, dass sie es tragen. Wir haben Männlichkeit so verinnerlicht, dass wir gar nicht mehr hinterfragen, wie irre es eigentlich ist, dass wir Kindern noch immer erzählen „große Jungs weinen nicht“ oder dass Männer sich zur Begrüßung auf den Rücken hauen, um eine sanfte Umarmung zu vermeiden, weil die als „homo“ gedeutet werden könnte. Oder warum Kellner*innen immer dem Mann die Rechnung servieren. Wenn man einmal diese Matrix durchbricht, fühlt man sich so frei, Dinge zu tun, die einen individuell ansprechen, statt sich an einen Anforderungskatalog halten zu müssen. 

Hart wünscht sich, dass auch heterosexuelle Männer sich von hetero-normativen Standards befreien können.

Bild: Anna Wegelin

Ein Freund von mir findet Röcke sehr ästhetisch. Er traut sich aber nur sehr selten, einen Rock in der Öffentlichkeit zu tragen, weil er dann so viele dumme Anmachen von anderen Männern bekommt.

Klar, die Sprüche, die du dann bekommst, sind: „Schwuchtel! Du bist kein echter Mann!“ Dahinter steckt tatsächlich auch Misogynie. In dem Moment, in dem dir deine Männlichkeit abgesprochen wird, wirst du gleichzeitig vom „starken Geschlecht“ auf das „schwache Geschlecht“ degradiert, quasi zur Frau, die die untergeordnete Position einnimmt. Ein Mann, der Dinge tut, die als weiblich eingestuft werden, ist dann lächerlich. Wenn ich mit überschlagenen Beinen in der U-Bahn sitze und ein Croptop trage, ist das für viele die krasseste Beobachtung, die sie an ihrem Tag haben werden. Es irritiert sie so sehr.

Was sagst du einem Mann, der Bock hat sich zu schminken, und sich ein Crop Top anzuziehen, aber Angst vor Übergriffen und Sprüchen hat?

Ich muss nicht in der durchsichtigen Bluse in der U-Bahn sitzen. Ich kann mich dafür entscheiden, wenn ich mich danach fühle, oder sicher wäge. Deshalb sage ich immer, probier es doch erstmal zu Hause, bevor du bauchfrei durch Neukölln gehst. Choose your battles. Wenn du mit roten Lippen abends raus gehst, musst du damit rechnen, dass dich jemand darauf anspricht oder dich vielleicht sogar angreift. Da ist eine Reaktion von Barbara Schöneberger noch die netteste Version.

Du hast in deiner Vogue-Kolumne schon Personen besprochen, die sich für eine vielfältige Definition von Männlichkeit einsetzen, zum Beispiel Adam Eli, einen jüdischen, queeren LGBTQI+ Aktivisten, den man hierzulande gar nicht wahrnimmt. Wen würdest du noch als Kollegen/Mitstreiter identifizieren?

Es fällt mir immer noch schwer, dir hier in Deutschland Männer zu nennen, die sich aktiv für ein neues Männerbild stark machen. Viele, die heteroxesuell sind, sprechen bewusst nicht über diese Themen, weil sie wissen, dass es nicht kommerziell ist. Denn schau dir mal die Medien an, Werbung, unsere Popkultur: Alle stellen den Mann immer noch als den coolen Aggressoren dar, der Menschen rettet und rumballert. Adam Eli ist toll, aber es sind vor allem auch Frauen, die sich für eine neue Männlichkeit einsetzen. Von bell hooks bis Liz Plank. 

Wie trägt man dieses Thema aus der Nische in den Mainstream?

Ich etabliere das ja schon. Ich habe mit Vogue.de eine Plattform, die sehr kommerziell ist. Ich habe mir in den letzten Jahren eine eigene Base erarbeitet. Auch mit meinen Social-Media-Kanälen habe ich ein kommerzielles Outlet. Mir schreiben dort viele heterosexuelle Männer und fragen mich nach Tipps, zum Beispiel danach, wie man seine Augenringe abdeckt. Außerdem habe ich gerade die erste Staffel einer neuen Serie abgedreht, die vom RBB produziert wird und im Dezember zu sehen sein wird. Den Namen der Serie darf ich noch nicht verraten. Aber wenn sie ausgestrahlt wird, ist der nächste Schritt, queeres Leben in deutschen Medien zu etablieren, sicherlich gemacht. 

Die vollständige Version dieses Interviews findest du in der Ausgabe 06/2019.

Bild: Fabian Hart

Fabian Hart setzt sich für eine alternative Maskulinität ein– zum Wohle von Männern und Frauen.

Morgane Llanque

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