Mariana ist erst acht Jahre alt, aber die ebenso junge wie tapfere Portugiesin nimmt es in ihrem Kampf um eine bessere und sicherere Zukunft für ihre Generation sogar mit Bundeskanzlerin Angela Merkel auf. Wegen der Klimakrise verklagte sie am Donnerstag Deutschland und 32 weitere Länder beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Mitkläger*innen bei dieser ungewöhnlichen Aktion sind zwei ältere Geschwister des Mädchens aus Leiria im Zentrum Portugals sowie drei Freunde. „Ich habe große Angst davor, auf einem kranken Planeten leben zu müssen, wenn nichts (gegen die Klimakrise, Anm. d. Red.) getan wird, bekannte Mariana im Interview der Deutschen Presse-Agentur dpa.
Der Tropfen, der das Fass für die sechs jungen Portugies*innen zum Überlaufen brachte, waren die verheerenden Brände von 2017 in ihrem Heimatland, bei denen 120 Menschen ums Leben kamen und riesige Waldgebiete zerstört wurden. „Da ist bei mir der Groschen gefallen. Wir haben die Folgen aus nächster Nähe erlebt, und ich habe gemerkt, wie dringend man handeln muss, um den Klimawandel zu stoppen“, erzählt Marianas Schwester Claudia, mit 21 die älteste der Gruppe.
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Die Bilder der Brände vor allem in der Region von Pedrogão Grande unweit von Leiria gingen damals – im Juni 2017 – um die Welt. Von den Flammen eingekesselte Autofahrer veröffentlichten erschütterende Live-Videos. Eine Landstraße wurde für knapp drei Dutzend Menschen zur Todesfalle, viele Opfer verbrannten in ihren Fahrzeugen bis zur Unkenntlichkeit. Tausende von Tieren starben elendig, Dutzende Häuser wurden dem Erdboden gleichgemacht.
Wissenschaftler*innen hätten bestätigt, dass die Klimakrise eine Rolle bei dieser Katastrophe gespielt habe, erklärt die Nichtregierungsorganisation Global Legal Action Network (GLAN), die die jungen Aktivist*innen beim Erstellen und Einreichen der Klageschrift unterstützte. Man müsse aber keine Expert*in sein, um die schlimmen Folgen der Klimakrise zu bemerken, sagt Catarina, die mit Claudia schon seit der Schulzeit eng befreundet ist.
Klimaklage gegen 33 Staaten eingereicht: Hitzewellen in Portugal
„Es gibt extreme und immer häufigere Hitzewellen. Das spüren wir in Portugal und ganz besonders in unserer Region, Leiria, sehr deutlich“, sagt die 20-Jährige. Sie lebe nahe der Küste und könne selbst mit ansehen, wie die Eisschmelze in den Polarregionen den Meeresspiegel steigen lässt. „Außerdem gibt es immer mehr Menschen mit Atemwegserkrankungen. Wenn nichts getan wird, werden solche Krankheiten schreckliche Ausmaße annehmen.“
Es gibt nicht nur Beobachtungen, sondern auch Zahlen, die eine deutliche Sprache sprechen. So führt die Hitzewelle in Lissabon im August 2018 laut GLAN zu einer Rekordtemperatur von 44 Grad. Und 2020 werde voraussichtlich das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen sein. Diese Tendenz muss auch und vor allem Kindern wie Mariana Sorgen bereiten. Wenn alles so bleibt wie bisher, sagen Prognosen einen Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperaturen um drei Grad bis zum Jahr 2100 voraus. Mariana wäre dann 88 Jahre alt. Für Portugal werden zu diesem Zeitpunkt Hitzewellen mit Temperaturen von über 40 Grad erwartet, die länger als einen Monat anhalten könnten.
Umso wütender – und traurig zugleich – macht Mariana Agostinho die Tatenlosigkeit der meisten Erwachsenen. Ihr Bruder Martim (17) ist dennoch optimistisch. „Vielleicht sind wir wie Zwerge, die gegen Riesen kämpfen“, sagt er. „Aber wir dürfen nicht vergessen, dass die Regierungen nur so viel Macht haben, wie wir ihnen geben.“ Den 27 EU-Staaten sowie Großbritannien, Norwegen, Russland, der Türkei, der Schweiz und der Ukraine werfen die jungen Portugiesen in der Klage vor, die Klimakrise verschärft zu haben und damit die Zukunft junger Generationen aufs Spiel zu setzen. Ziel der Klimaklage gegen 33 Staaten: Der EGMR soll die Länder dazu anhalten, ihre nationalen Klimaziele deutlich höher zu setzen sowie die von ihnen und ihren international tätigen Konzernen im Ausland verursachten Emissionen zu reduzieren.
Grenzübergreifend verursachter Klimawandel rechtfertigt Klage vor Europäischem Gerichtshof
GLAN bezeichnet die Klimaklage gegen 33 Staaten in Straßburg als „beispiellos“. Normalerweise müsse eine Person vor einem inländischen Gericht klagen, bevor sie einen Fall vor den EGMR bringen kann. Im Falle des Kampfes gegen die grenzübergreifend verursachten Klimakrise sei es für eine Gruppe von Heranwachsenden aber nicht möglich, ihr Anliegen in 33 verschiedenen Ländern vorzubringen und jeweils bis zu deren höchsten nationalen Gerichten zu verfolgen. Deshalb gehe man diesen bisher unbeschrittenen Pfad.
Der Hauptvorwurf der Kläger lautet: Es fehle ein global vereinbarter Ansatz zur Lastenteilung bei der Bekämpfung der Klimakrise. Das schaffe Unsicherheit über den „fairen Anteil“ eines jeden Staates, die von manchen Ländern genutzt werde, um „eigennützige Interpretationen zu wählen“. Der EGMR solle erzwingen, dass die EU sich als Ganzes verpflichtet, ihre Emissionen bis 2030 um mindestens 65 Prozent zu reduzieren. Nur so könne das angestrebte Ziel einer Erderwärmung von höchstens 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter erreicht werden.
André (12) aus Lissabon, der mit seiner Schwester Sofia Oliveira (15) bei der Klägergruppe dabei ist, hat bereits an zwei Klimademos teilgenommen. „Es ist ein so wichtiges und kompliziertes Thema, dass wir es nicht den Erwachsenen überlassen dürfen“, sagt er – und lacht. Man müsse „schon in einer Phantasiewelt leben, um keine Angst zu haben“. Was er Merkel gern persönlich sagen würde? „Ich würde mich bei ihr für all die Arbeit und Mühe bedanken – würde ihr dann aber sagen, dass nicht genug getan wird und uns die Zeit davonläuft.“
Waldbrand in Pampilhosa da Serra 2017: Ein für die Klage entscheidendes Ereignis waren die verheerenden Feuer in Portugal vor drei Jahren bei denen 120 Menschen ums Leben kamen und riesige Waldgebiete zerstört wurden.