Nachhaltiges Bauen

Dämmung aus dem Meer

Am Strand wird Seegras meistens als störend empfunden. Zwei deutsche Firmen sehen das anders. Sie verkaufen die abgestorbenen Meerespflanzen als ideales Dämmmaterial

Seegras hat kein gutes Image: Brechen die Halme in Tiefen von bis zu 40 Metern ab, wird es zu tausenden Tonnen an Strände angeschwemmt. Dort sieht es aus wie Heu, bedeckt den Strand und stinkt ziemlich, wenn es sich mit Algen vermischt. Deshalb stören die toten Pflanzen an Tourismusdestinationen. Die Strandreinigung entsorgt das Seegras meistens möglichst schnell.

Für zwei deutsche Firmen ist Seegras jedoch alles andere als Abfall. Sie verkaufen die toten Pflanzen als Dämmmaterial. Neben den guten Isoliereigenschaften hat Seegras eine bessere Ökobilanz als andere Stoffe, da es fast unverarbeitet verbaut wird. Zudem ist es resistent gegen Schimmel und Ungeziefer. Zum Vergleich: Herkömmliches Dämmmaterial wie Glaswolle oder Styropor ist aufwändig in der Herstellung, kostspielig in der Entsorgung und enthält teilweise giftige Zusatzstoffe.

Die eine Geschichte beginnt 2006 in Spanien: Der Architekt Richard Meier ist im Urlaub, will eigentlich Kite-Surfen, doch es weht kein Wind. Also spaziert er mit einem Freund am Strand entlang. Dieser ist bedeckt mit Seegras, das durch die Wellenbewegungen zu kleinen Bällen geformt wurde. „So unbrauchbar, die brennen nicht mal“, sagt sein Freund. Meier wird sofort hellhörig. Zurück in Karlsruhe ließ er die Bälle aus sogenanntem Neptungras vom Frauenhofer-Institut prüfen. Das Institut findet: Seegras eignet sich gut als Dämmstoff. 2007 erhält Meier das Patent für sein Produkt „NeptuTherm“. Das Startkapital: 25.000 Euro von IKEA, der Preis für einen gewonnen Ideenwettbewerb.

Für die Produktion knüpft Meier Kontakte zu Strandreinigern. In Italien beispielsweise steht ihm das Gesetz im Weg: Material vom Strand mitzunehmen ist nicht erlaubt. Fündig wird Meier schließlich in Tunesien und Albanien. Trotz langem Transportweg per Lkw ist die Ökobilanz immer noch besser als bei vergleichbarem Dämmmaterial.

Seegras-Dämmung boomt

Die Produktion ist relativ simpel: Nachdem Maschinen das Seegras von Sand gereinigt und kleingeschnitten haben, wird es beim Einbau in die Hohlräume geschüttet oder geblasen. Bis heute hat die Firma „Neptu“ ungefähr 100 Häuser vor allem in Deutschland, aber auch Frankreich, Luxemburg und in der Schweiz gedämmt. „Wir sind am Boomen“, sagt Melanie Meier, die je nach Auftragslage bis zu fünf Mitarbeiter beschäftigt. Bald sollen es mehr werden, um die Produktion zu steigern. Sie führt zusammen mit ihrem Sohn die Firma, seit ihr Mann 2016 tragischerweise an einem Herzinfarkt 69-jährig gestorben ist.

Seegras kommt aber nicht nur im Mittelmeer, s…

Titelbild: Seegrashandel

Seegras ist ein natürlicher Dämmstoff – mit besserer Ökobilanz als herkömmliche Stoffe

Fabian Gubser

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